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Türkische Wurzeln, deutsche Politik

Sie engagieren sich für mehr als Integrationsthemen: Ekin Deligöz, Aygül Özkan und Aydan Özoğuz machen Politik in Deutschland.

27.12.2012
© Privat

Was verbindet Ekin Deligöz, Aygül Özkan und Aydan Özoğuz? Auf den ersten Blick ist es lediglich das „Ö“ im Nachnamen. Wer mehr über diese Politikerinnen wissen möchte und Medienberichte aus Deutschland heranzieht, wird vor allem auf zwei Gemeinsamkeiten hingewiesen: Alle drei sind türkischstämmig und muslimisch. Unabhängig davon, ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen ihrer Herkunft, Religion und politischen Karriere gibt: In bestimmten Positionen waren Deligöz, Özkan und Özoğuz in Deutschland die ersten Politikerinnen mit türkischen Wurzeln.

Deligöz wurde 1998 als erste türkischstämmige Abgeordnete der Grünen in den Bundestag gewählt, heute ist sie stellvertretende Vorsitzende ihrer Fraktion. Özoğuz wiederum war die erste türkischstämmige Politikerin, als sie 2001 für die SPD in die Hamburgische Bürgerschaft einzog. Inzwischen ist die 45-jährige Bundestagsabgeordnete. Und Özkan ist bundesweit die erste türkischstämmige Ministerin überhaupt. Seit 2011 verantwortet sie in Niedersachsen die Ressorts Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration. Im Dezember 2012 wurde sie in den Bundesvorstand der CDU gewählt.

Deligöz, Özkan und Özoğuz sind drei Frauen, deren Weg in die deutsche Politik ganz unterschiedlich verlief. Zwar sind sie Töchter türkischer Arbeitsmigranten, ihre Biografien sind aber nicht wirklich vergleichbar, ebenso wenig ihr Bezug zur Religion. Deligöz ist Alevitin, Özkan ist Sunnitin und Özoğuz ist Schiitin. Doch keine der Politikerinnen definiert sich über ihren Glauben, schon gar nicht öffentlich.

Ekin Deligöz war acht Jahre alt, als sie 1979 mit ihren Eltern nach Deutschland kam. Sie wuchs in Bayern auf, trat schon als 17-Jährige den Grünen bei und wurde 1998, im selben Jahr, in dem sie ihr Studium als Verwaltungswissenschaftlerin abschloss, in den Bundestag gewählt. Als ein Motiv, sich in der Politik zu engagieren, nannte Deligöz einmal, dass sie sich mit der ihr zugeschriebenen Rolle nicht zufriedengeben, sondern zur Veränderung der Gesellschaft beitragen wollte. „Merkmale, die mir in anderen Bereichen eher zum Nachteil gereichten, waren bei den Grünen von Vorteil: Ich war jung, eine Frau und Migrantin. Mit dem Einzug in den Bundestag merkte ich, dass man mir viel mehr Themen aber auch nicht zutraute“, so resümiert sie ihren politischen Werdegang. Die Quoten-Migrantin ihrer Partei wollte die inzwischen 41-Jährige aber auf keinen Fall sein und engagierte sich nicht in der Integrationspolitik, sondern widmete sich von Beginn an der Familien-, Bildungs- und der Finanzpolitik. An ihre „Grenzen“ stieß sie nach eigenen Worten im Herbst 2006. Islamisten reagierten mit Morddrohungen auf ihren Appell an Musliminnen, das Kopftuch abzulegen.

Auch Aygül Özkan erhielt Drohungen – zuletzt 2011, aber auch schon, bevor sie als Ministerin vereidigt wurde – weil sie in einem Interview gesagt hatte, dass Kruzifixe nicht ins Klassenzimmer gehörten. Bis zur ihrem Einzug ins niedersächsische Parlament war Özkan außerhalb ihrer Geburtsstadt Hamburg kaum bekannt. Die politische Karriere der 41-Jährigen ist eine steile: Erst mit 33 Jahren trat sie in die CDU ein und zog vier Jahre später – 2008 – in die Hamburgische Bürgerschaft ein. Sie war Sprecherin für Wirtschaft und Industrie und Mitglied im Sozial- und Gleichstellungsausschuss sowie im Wirtschaftsausschuss. Auch wenn die Tochter eines Schneiders, die Jura studierte, selbst nie diskriminiert wurde, wie sie sagt, war ihr doch bewusst, dass gerade Jugendliche aus Einwandererfamilien oftmals benachteiligt sind und besondere Unterstützung brauchen. Daher engagierte sie sich in ihrer Hamburger Zeit besonders stark für diese Gruppe.

Integration und der deutsch-türkische Dialog: Mit diesen Themen beschäftigte sich Aydan Özoğuz auch schon vor ihrem Gang in die Politik und zwar von 1994 an bei der Körber-Stiftung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin organisierte sie Dialogveranstaltungen und Integrationsprojekte. Als Özoğuz von den Hamburger Sozialdemokraten angefragt wurde, für die Bürgerschaft zu kandidieren, stimmte sie zwar zu, lehnte es aber zunächst ab, SPD-Mitglied zu werden. Erst später trat sie in die Partei ein. Von 2001 bis 2008 war sie Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und dort migrationspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Seit 2009 ist Özoğuz Bundestagsabgeordnete. Im Frühjahr 2010 ernannte die SPD-Bundestagsfraktion sie zur Integrationsbeauftragten, im Dezember 2011 wurde sie zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD gewählt.

Für Aufmerksamkeit sorgte 2010 der damalige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU): Er holte die Hamburgerin Özkan als Ministerin in sein Kabinett. Dass ausgerechnet die konservative Christliche Demokratische Union als erste Partei solch einen Posten mit einer türkischstämmigen Politikerin, die zudem Muslima ist, besetzte, verwunderte manchen. Bis dahin hatte nämlich, wie unter anderem die Parteienforscher Andreas Wüst und Karen Schönwälder feststellten, die CDU weder besonderes Interesse an türkischstämmigen Wählern noch an Mandatsträgern gezeigt. Umgekehrt war aber auch die Partei mit dem „C“ vergleichsweise wenig attraktiv für Bürger mit türkischen Wurzeln gewesen. Mittlerweile finden einige von ihnen auch bei den Christdemokraten ihre politische Heimat. Ein aktuelles prominentes Beispiel ist die 32-jährige nordrhein-westfälische CDU-Landtagsabgeordnete Serap Güler (Foto) – auch sie wurde im Dezember 2012 in den Bundesvorstand der CDU gewählt.

Inzwischen gibt es auch andere türkischstämmige Ministerinnen: Bilkay Öney (SPD) ist in der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg für Integration zuständig. Die Sozialdemokratin Dilek Kolat ist seit November 2011 Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration des Landes Berlin. Es gebe, stellte Kolat in einem Interview fest, „jenseits der parteipolitischen Unterschiede, sehr große Gemeinsamkeiten“ zwischen den türkischstämmigen Politikerinnen. Diese Gemeinsamkeiten sieht sie in den Biografien – in dem Sinne, dass sie alle sich ihren Platz in Deutschland hätten erarbeiten müssen.

Ekin Deligöz wiederum beschreibt ihren politischen Werdegang so: „Ich entschied mich für den Bereich Familienpolitik, denn ich wollte erreichen, dass jedes Kind unabhängig von seiner Herkunft die Chance auf sozialen Aufstieg bekommt.“ Wenn sie auch in unterschiedlichen Parteien sind und verschiedene Themenschwerpunkte haben, Ekin Deligöz, Aygül Özkan, Aydan Özoğuz engagieren sich dafür, dass die nächsten Generationen von Einwanderern ein selbstverständlicher Teil der deutschen Gesellschaft werden. Damit sind sie nicht allein.

Canan Topçu