Deutscher Herbst im Unterricht
Was Schüler an der Zeit des Terrors der Roten Armee Fraktion 1977 interessiert.
Deutschland. Isa-Yael Roth wird immer wieder auf eine Veranstaltung angesprochen, die sie vor Kurzem gemeinsam mit anderen Schülerinnen und ihrem Geschichtslehrer während einer Projektwoche organisiert hat. „Deutscher Herbst“ hieß das Thema, die Schul-Cafeteria war bis auf den letzten Platz gefüllt, sogar das Fernsehen war da und die Presse berichtete. Mit so viel Interesse hatte Yael nicht gerechnet, als sie sich für das Thema im Rahmen einer Geschichts-AG entschied.
Stelen auf dem Schulweg
Karl-Heinz Jörgens ist Geschichtslehrer am Kaiserin-Friedrich-Gymnasium in Bad Homburg. Jeden Tag kommen er und seine Schüler an den drei Stelen vorbei, die an das Attentat auf Alfred Herrhausen erinnern. Der Bankmanager wurde am 30. November 1989 durch eine Bombe getötet, nur wenige Meter vom Gymnasium entfernt. Tage später wird ein Bekennerschreiben verschickt, in dem die "Roten Armee Fraktion“ (RAF) die Verantwortung für den Mord übernimmt. Aber ist dies auch die Wahrheit? Für Jörgens war dieser Zweifel der Anlass, 40 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“, der wohl schwersten Krise in der Geschichte der Bundesrepublik, eine Projektwoche zum Thema anzubieten.
Bezug zu heute
Drei Schülerinnen meldeten sich aus den unterschiedlichsten Gründen. Isa-Yael Roth lebt in der Nähe Oberursel, wo 1977 der deutsche Bankmanager Jürgen Ponto von Mitgliedern der „Rote Armee Fraktion“ ermordet wurde. Ihre Eltern und Großeltern erzählten ihr viel über die Stimmung damals: die Angst vor dem Terror, aber auch die zeitweilige Sympathie vieler junge Menschen für die RAF.
Paula Schmidt, die schon immer ein großes Interesse an Geschichte hatte und gerade über die jüngere deutsche Geschichte viel gelesen hat, verfolgt den aktuellen Prozess gegen die rechtsextreme Terrorgruppe NSU und denkt immer wieder über das Zitat nach, das auf einer der Stelen am Ort des Herrhausen-Attentates steht: „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.“ Ein Satz der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, den Herrhausen häufig zitierte.
Johanna Barop hat es interessiert, dass es neben dem heute stark in den Medien präsenten islamistischen und rechtsextremen Terror in Deutschland in den 1970er-Jahren auch linksextremen Terror gegeben hat.
Immer neue Fragen
Im Unterricht haben sich die drei Schülerinnen intensiv mit dem „Deutschen Herbst“ auseinandergesetzt. Aber es stellten sich immer wieder neue Fragen. Also veranstalteten die Schülerinnen, eine Podiumsdiskussion zum Thema „40 Jahre Deutscher Herbst“. Sie wollten der Fragen nachgehen, was mehr wiegt: Die Wahrheit herauszufinden oder die Sicherheit des Staates zu garantieren? Und sie interessierte, ob die Antwort auf diese Frage von Zeit und Umständen abhängig ist, in denen sie gestellt wird.
Prominente Podiumsgäste
Für die Diskussion konnten sie Michael Buback und Klaus Pflieger gewinnen. Beide haben eine besondere Beziehung zum „Deutschen Herbst“. Buback ist der Sohn des 1977 von RAF-Terroristen ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback. Wer die tödlichen Schüsse auf ihn abgegeben hat, ist bis heute ungeklärt. Michael Buback ist überzeugt, dass bei der Aufklärung des Mordes an seinem Vater gravierende Fehler gemacht wurden. Klaus Pflieger war als junger Jurist bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart und in verschiedenen Funktionen eng in mehrere Prozesse gegen RAF-Terroristen eingebunden. Er widersprach dem Vorwurf, dass Behörden die Untersuchungen bewusst behindert hätten.
Die Schülerinnen führten in das Thema ein und es entwickelte sich eine lebhafte, auch kontroverse Diskussion. Letztlich konnte die Frage „Wahrheit oder Sicherheit des Staats?“ zwar nicht beantwortet werden. Aber deutlich wurde: Der „Deutscher Herbst“ bewegt auch junge Menschen bis heute.