Die neue Seidenstraße
Nach China hat jetzt auch die EU eine Seidenstraßen-Strategie vorgestellt. Was China und die EU verbindet – und was sie (noch) trennt. Asien-Expertin Margot Schüller erklärt es.
Frau Schüller, China verfolgt seit 2013 das Seidenstraßen-Projekt „One Belt, one Road“. Was sind die Hintergründe?
Die Belt and Road Initiative, kurz: BRI, wie das Seidenstraßen-Projekte von chinesischer Seite genannt wird, hat verschiedene Dimensionen. Es ist zunächst eine außenpolitische Initiative, die Chinas Sichtbarkeit und zentrale Rolle als globaler Akteur demonstriert. Im Gegensatz zu den Abschottungstendenzen der derzeitigen US-Regierung, die nur auf bilaterale „deals“ setzt, ist es ein multilateral ausgerichtetes Projekt, das von China ausgeht. Es bezieht mehr als 60 Länder entlang der traditionellen Seidenstraße auf dem Landweg und der maritimen Seidenstraße ein. Weiterhin geht die BRI geht von einem de facto bestehenden Bedarf an Infrastruktur in den Ländern entlang der Seidenstraße aus. Eine Verbesserung hier könnte die wirtschaftliche Zusammenarbeit beispielsweise zwischen Asien beziehungsweise China und Europa stärken. Es geht dabei in erster Linie um den Ausbau der Transport-Infrastruktur und Energie-Infrastruktur. Dies betrifft nicht nur die zentralasiatische Region, sondern auch elf EU-Mitgliedsstaaten in Zentral- und Osteuropa sowie die fünf EU-Beitrittskandidaten im Westbalkan. Diese Länder sind in der „16+1“-Initiative der chinesischen Regierung präsent und sehr an einer Zusammenarbeit mit China interessiert, das bereits Finanzmittel für den Bau der Infrastruktur bereitgestellt hat.
Im September 2018 hat die EU eine eigene Seidenstraßen-Strategie vorgestellt. Ist das eine Antwort auf die Initiative Pekings?
Ja, das könnte so interpretiert werden. Chinas BRI wird zwar generell begrüßt, doch es gibt auch Interessenskonflikte. Vergleichbar mit der gemeinsamen Handelspolitik, die für alle EU-Mitgliedsländer durch die EU-Kommission gegenüber Drittstaaten durchgesetzt wird, gehört die Transportpolitik auch in den Kompetenzbereich der EU-Kommission und wird zentral – in Abstimmung mit den Nationalstaaten – entschieden. Für die Entwicklung des EU-weiten einheitlichen Wirtschaftsraums ist eine harmonisierte Transportpolitik von zentraler Bedeutung. Hierbei geht es um einheitliche technische Standards, EU-weite Ausschreibungen auf der Basis des EU-Wettbewerbsrechts, um Passierrechte und eine einheitliche langfristige Planung und Förderung von ausgewählten Transportkorridoren innerhalb der EU. Wenn Drittländer wie China durch die „16+1-Initiative“ nun in die Entscheidungsbereiche eingreifen, erzeugt dies zunächst Irritation. Vor diesem Hintergrund wurde auf dem EU-China Gipfel im Juni 2015 eine gemeinsame Konnektivitätsplattform gegründet, um eine Abstimmung in wichtigen Fragen zu erreichen .
Was sind denn die Unterschiede zwischen der chinesischen Initiative und der europäischen Strategie?
Das im September vorgelegte Strategiepapier der EU-Kommission mit dem Titel „Connecting Europe and Asia – Building blocks for an EU Strategy“ enthält – im Gegensatz zur BRI – klare Aussagen über die Normen und Werte, die die Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Asien und der EU bilden sollen. Ausgehend von den eigenen Erfahrungen beim Aufbau des EU-weiten Transportnetzes im gemeinsamen Markt werden als wichtigste Merkmale des „europäischer Wegs“ die Attribute nachhaltig, umfassend und regelgebunden für die Konnektivität hervorgehoben. Konkret geht es bei der Nachhaltigkeit von Investitionen in die Infrastruktur um Markteffizienz und fiskalischer Durchführbarkeit. Daneben sollen ökologische und soziale Standards, Transparenz und öffentliche Anhörung bei Projekten garantiert werden. Die umfassende Konnektivität bezieht sich auf alle Formen von Netzwerken im Transportsektor zu Land, Wasser und in der Luft sowie auch auf digitale und Netzwerke im Energiesektor. Bei der regelgebundenen Konnektivität geht die EU-Kommission davon aus, dass international akzeptierte Regeln und Praktiken und technische Standards als Grundlage herangezogen werden müssen, die auch für die Ausschreibung von öffentlichen Aufträgen von Infrastrukturprojekten gelten sollen .
China hat schon Milliardenbeträge in über 60 Ländern bis hin nach Mittel- und Osteuropa investiert. Kommt die EU-Initiative nicht ein bisschen spät?
Chinas Investitionen in die BRI sind zwar beträchtlich, vor allem hinsichtlich des Ausbaus von Häfen, Eisenbahnen und Autobahnen in Asien und Afrika, stehen insgesamt jedoch erst am Anfang einer längeren Phase der Entwicklung von verbesserter Infrastruktur weltweit. Die EU-Initiative kommt deshalb nicht zu spät. Sie bietet ebenfalls Möglichkeiten der Finanzierung über verschiedene Fazilitäten. Beispielsweise wurden über die Asia Investment and Central Asia Investment Fazilität bereits 4,2 Milliarden Euro im Zeitraum 2010 bis 2018 investiert. Hinzu kommen Möglichkeiten der Co-Finanzierung über den „Investment Plan for Europe“. Weiterhin wird gerade in der EU die Entwicklung eines neuen Finanzierungsrahmens für die Zeit 2021 bis 2027 diskutiert, der auch globale Dimensionen hat und Asien einschließt.
Befürworter der Seidenstraßen-Initiative loben die Verbesserung der „Konnektivität“ und die Erschließung von Drittmärkten, Kritiker befürchten eine zunehmende Abhängigkeit mancher Länder von China. Wie sehen Sie das?
Grundsätzlich ist Chinas Initiative positiv zu bewerten, da sie im Ansatz multilateral ausgerichtet ist.. Allerdings ist die Frage, ob die BRI zu einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten führt, noch offen. Voraussetzung hierfür ist, dass an den Ausschreibungen nicht nur die großen chinesischen Konzerne beteiligt sind, sondern auch die lokalen Unternehmen und internationale Bieter. Hier gibt es sicherlich berechtigte Kritik verschiedener Institutionen, die darauf hinweisen, dass dies bisher noch unzureichend der Fall ist. Hinsichtlich der chinesischen Investitionen in kleineren Entwicklungsländern stellt sich die Frage der nachhaltigen Finanzierung und Beteiligung lokaler Unternehmen. Hierzu gibt es bisher Untersuchungen mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen, so dass noch kein abschließendes Urteil über die Auswirkungen möglich ist.
Die Fragen stellte Martin Orth
Dr. Margot Schüller ist Vorstandsmitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde in Hamburg und forscht am Hamburger Giga Institut für Asien-Studien.