Maas: Deutschland hat geliefert
Zum Jahreswechsel enden die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und die Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Außenminister Maas ist unter dem Strich zufrieden.
Berlin (dpa) - Brexit-Handelsabkommen, EU-Haushalt, Corona-Hilfen: Gerade in der Schlussphase der EU-Ratspräsidentschaft hat Deutschland einiges abgeräumt. Außenminister Heiko Maas zeigt sich damit im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur unter dem Strich zufrieden. Seine Bewertung der Zeit im UN-Sicherheitsrat fällt weniger positiv aus.
Frage: Die Erwartungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft waren vor einem halben Jahr groß, gerade angesichts der Corona-Krise. Würden Sie sagen, dass Deutschland diesen Erwartungen gerecht geworden ist?
Antwort: Wir haben alle Finanzfragen geklärt in einem sehr, sehr schwierigen Prozess. Wir haben das Brexit-Abkommen in allerletzter Minute über die Ziellinie gebracht. Und wir haben das Thema europäische Souveränität - die Franzosen nennen es strategische Autonomie – beim letzten Außenministertreffen auf die Tagesordnung gesetzt. Ich glaube, wir haben in unserer Ratspräsidentschaft das geliefert, was auch von uns erwartet worden ist.
Frage: Es gibt aber auch Themen, bei denen man nicht weitergekommen ist, zum Beispiel Migration…
Antwort: Das stimmt, das ist und bleibt eine Leerstelle in der Europäischen Union. Da die Kommission aber ihren Vorschlag dazu auch erst Ende September vorgelegt hat, war es eigentlich klar, dass wir da nicht mehr zu einem Ergebnis kommen können. Das bleibt einer der großen Spaltpilze in der Europäischen Union. Das werden jetzt die Portugiesen als nächste Ratspräsidentschaft übernehmen müssen. Ich hätte mir gewünscht, auch da weiterzukommen, aber das ist aufgrund der Blockade einzelner Länder nicht möglich gewesen.
Frage: Im UN-Sicherheitsrat hat Deutschland einige Projekte angeschoben. Gleichzeitig waren die beiden Jahre von der gegenseitigen Blockade der ständigen Mitglieder geprägt. Ist das Gremium der derzeitigen Weltlage überhaupt noch gewachsen?
Antwort: So, wie der Sicherheitsrat in den beiden Jahren agiert hat, ist er allenfalls noch bedingt handlungsfähig. Das hängt damit zusammen, dass die Zusammenarbeit insbesondere zwischen den USA, Russland und China nicht funktioniert hat. Es war schwierig und teilweise auch ernüchternd im Sicherheitsrat in den letzten beiden Jahren. Dabei wird dieses Gremium gerade heute dringend gebraucht. Immerhin gibt es Hoffnung, dass mit der neuen amerikanischen Führung die Vereinigten Staaten auch ihre internationale Rolle anders wahrnehmen oder sie überhaupt wieder wahrnehmen.
Frage: Glauben Sie denn, dass es damit vielleicht auch eine neue Chance geben könnte, bei der Reform des Sicherheitsrats endlich weiterzukommen?
Antwort: Das hoffen wir sehr. Jetzt tritt ein amerikanischer Präsident an, der die internationale Zusammenarbeit hervorhebt, der wieder zurück will ins Pariser Klimaabkommen, der wieder zurück will in die Weltgesundheitsorganisation und uns hoffen lässt, dass er auch wieder zurückkommt ins Atomabkommen mit dem Iran. Das ist eine ganz andere Strategie in der Außen- und Sicherheitspolitik. Damit könnte eine neue Grundlage dafür entstehen, die Reform des Sicherheitsrates oder die Reform der Vereinten Nationen insgesamt wieder ernsthaft und zielgerichtet zu diskutieren. Es liegt aber auch nicht nur an den Vereinigten Staaten. Bisher haben Russland und China alles blockiert, was von Generalsekretär Guterres vorgelegt worden ist. Aber ich glaube, wenn diejenigen, die den Reformbedarf erkennen, wieder zusammenspielen, wird es auch wieder Chancen auf Ergebnisse geben.
Frage: Deutschland wird sich in sechs Jahren wieder für einen der rotierenden Sitze im Sicherheitsrat bewerben. Können Sie sich denn vorstellen, dass sich bis dann etwas getan hat?
Antwort: Wünschen würde ich mir, dass wir dann gar nicht mehr zu dieser Wahl antreten müssten, sondern dass wir bis dahin permanentes Mitglied im Sicherheitsrat sind. Aber Prognosen sind in dieser Frage aufgrund des derzeitigen Stillstands schwer. Die Notwendigkeit einer Reform des Sicherheitsrates und der Vollversammlung ist allerdings so offensichtlich, dass ich doch schwer hoffe, dass zum Zeitpunkt der nächsten deutschen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat ein Teil der Reformprozesse nicht nur abgesegnet sein wird, sondern auch schon umgesetzt ist.
Frage: Ist das Projekt eines gemeinsamen europäischen Sitzes im Sicherheitsrat mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU eigentlich gestorben?
Antwort: Das Projekt ist nach wie vor richtig und deswegen werden wir es auch weiter verfolgen. Aber da wir uns nicht darauf verlassen können, dass das in absehbarer Zukunft umgesetzt werden kann, wird ein eigener deutscher Sitz im Sicherheitsrat unser vordringliches Ziel bleiben.
Frage: Die Wiederbelebung der transatlantischen Beziehungen wird eines Ihrer Hauptprojekte im kommenden Jahr sein. Sie sprechen von einem «New Deal» und wollen der neuen Regierung von Präsident Joe Biden ein Angebot machen. Es gibt einige Punkte, bei denen die neue US-Regierung ganz konkrete Erwartungen an Deutschland hat. Was werden Sie da anbieten? Zum Beispiel bei der US-Forderung, die Pipeline Nord Stream 2 zu stoppen?
Antwort: Es wird auch weiterhin Themen geben, in denen wir unterschiedlicher Auffassung sind und auch bleiben können. Wir brauchen nicht über europäische Souveränität zu reden, wenn dann darunter verstanden wird, dass wir in Zukunft alles nur noch machen, wie Washington es will. Wichtig ist, dass wir in den zentralen strategischen und geopolitischen Fragen eine gemeinsame Linie haben, auf der gleichen Seite des Feldes stehen. Aber die Bundesregierung wird ihre Haltung zu Nord Stream 2 nicht verändern.
Frage: Wie sieht es mit dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato aus? Bisher hat sich die Bundesregierung ja nur dazu verpflichtet, bis 2024 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben.
Antwort: Wir haben uns zum Zwei-Prozent-Ziel bekannt, und wir haben einen Weg beschrieben, wie wir es erreichen können. Ich glaube, angesichts der Corona-Krise werden alle Staaten ihre Finanzen noch einmal ordnen müssen. Danach wird man darüber reden müssen, was bedeutet das für den eingeschlagenen Pfad und für das Ziel insgesamt. Aber bisher ist das die Haltung der Bundesregierung: Das Zwei-Prozent-Ziel gilt für uns.
Frage: Die USA erwarten auch, dass Deutschland sich weiter an der nuklearen Abschreckung beteiligt. In Ihrer Partei gibt es Zweifel daran…
Antwort: Das ist auch vollkommen in Ordnung, dass so etwas diskutiert wird. Das ist auch keine einfach zu beantwortende Frage. Aber man kann die Frage nicht nur mit Blick auf Deutschland beantworten, sondern man muss berücksichtigen, dass wir Teil eines Ganzen sind und damit auch Sicherheitsgarantien für unsere Nachbarn vorhalten müssen, insbesondere für die östlichen Nachbarn. Das kommt mir in der ganzen Debatte etwas zu kurz. Wenn man sagt, wir wollen als Deutschland aus der nuklearen Teilhabe aussteigen, muss man auch berücksichtigen, was das für unsere Partner bedeutet