Vom Bauhaus lernen
Die Weiße Stadt in Tel Aviv ist Teil der deutsch-israelischen Geschichte – und der Gegenwart: Am Umbau des Max-Liebling-Hauses arbeiten Deutsche und Israelis gemeinsam.
Mit dem Bauhaus hat sich Laura Reti in ihrer Ausbildung zur Tischlerin wenig beschäftigt. Das änderte sich mit einem Workshop im Max-Liebling-Haus in Tel Aviv: In der 1934 von Dov Karmi im Bauhaus-Stil erbauten Villa sanierte die Berlinerin gemeinsam mit israelischen Designstudierenden zwei „Frankfurter Küchen“. Sie gelten als Urtypen der modernen Einbauküche, die der Frau die Hausarbeit erleichtern sollte. Im Umgang mit den originalen, mehr als 80 Jahre alten Holzteilen lernte die Auszubildende nicht nur traditionelle handwerkliche Techniken kennen. Was die junge Frau besonders beeindruckte, war die bis ins Detail ausgefeilte Ausstattung: „Mit diesen Bauten begann eine neue Ära“, sagt sie voller Anerkennung.
Weltkulturerbe Weiße Stadt
Das Liebling-Haus zählt zu den etwa 4.000 Gebäuden der Weißen Stadt Tel Aviv. Die in der Sonne leuchtend weißen Fassaden gaben dem beeindruckenden Ensemble seinen Namen, seit 2003 ist es Teil des Weltkulturerbes der UNESCO. Jüdische Architekten bauten die Wohnstadt mit den flachen Dächern und abgerundeten Balkonen, viele von ihnen waren in den 1930er-Jahren aus Deutschland geflüchtet. Sie brachten ihre vom Bauhaus beeinflussten Ideen mit nach Israel, passten sie dem Klima der Mittelmeermetropole an und prägten den in Tel Aviv so genannten „Internationalen Stil“ der Moderne. Das weltweit einzigartige Ensemble historischer Gebäude im Bauhausstil ist Teil der deutsch-israelischen Geschichte. Doch das gemeinsame Erbe bröckelt: Von den einst strahlenden Fassaden löst sich der Putz, viele Häuser sind einsturzgefährdet.
Deutsche und israelische Denkmalschützer engagieren sich bereits seit Jahren im „Netzwerk Weiße Stadt“ für den Erhalt der Bauhausarchitektur und den Aufbau eines Zentrums für Architektur und Denkmalschutz. Vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) wird das deutsch-israelische Gemeinschaftsprojekt bis 2025 mit drei Millionen Euro unterstützt. Mit der offiziellen Eröffnung des White City Centers im September 2019 rückt das Ziel, gemeinsam Strategien für eine effiziente, nachhaltige und zugleich denkmalgerechte Sanierung zu entwickeln, in greifbare Nähe: Im Max-Liebling-Haus entsteht ein Ort des lebendigen Austauschs, an dem sich Experten treffen, Handwerker und Restauratoren in Schulungen weiterqualifiziert und junge Menschen aus Tel Aviv für das Kulturerbe ihrer Stadt sensibilisiert werden.
Das Bauhauserbe bewahren
Die roten Bauhelme am Messestand, mit dem sich das White City Center im November 2018 auf der Leipziger Fachmesse „denkmal“ präsentierte, sind Programm. Die breit angelegte Kampagne „open for renovation“ lädt zu Rundgängen, künstlerischen Aktionen oder Workshops ein und gestaltet den Umbau als offenen Prozess. Die Renovierung des Liebling-Hauses an der Idelson Street 29 wird selbst zum Projekt, in das die Öffentlichkeit eingebunden wird: Besuchergruppen streifen durch die leeren Räume und lernen das Leben früherer Bewohner kennen, junge Handwerker legen Putze frei und setzen Fenster in Stand, Anwohner pflegen den neuangelegten Biogarten und erfreuen sich an dem kreativen Schaffen nebenan.
„In Tel Aviv ist ‚Bauhaus‘ eher ein Maklerslogan, der den Verkauf von Immobilien befördert“, sagt Programmdirektorin Sharon Golan Yaron. „Uns geht es deshalb vor allem darum, einen emotionalen Bezug zur Idee des Bauhaus zu vermitteln und so die Wertschätzung für diese Architektur der Moderne zu fördern.“
Während die Weiße Stadt zum Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt geworden ist, pflegen die Einwohner selbst einen pragmatischen Zugang zu dem baugeschichtlichen Erbe. Es fehle nicht nur teilweise das Know-how, um die Häuser fachgerecht zu sanieren, sondern auch ein Bewusstsein für ihren kulturellen Wert, sagt Architektin Sharon Golan Yaron. „Israelis interessieren sich eher für praktische Fragen, sie passen die Häuser ihrem Lebensstil und ihren persönlichen Bedürfnissen an.“ Gebäude werden aufgestockt und vor Erdbeben oder Raketen geschützt, originale Holzfenster gegen neue mit Doppelverglasung ausgetauscht, alte Terrazzofliesen landen im Container.
Schwerer Stand für Denkmalpfleger
In einer so schnell wachsenden Stadt wie Tel Aviv, in der Wohnraum knapp ist und die Mieten explodieren, hat die Denkmalpflege einen schweren Stand. Auflagen zur Erhaltung der historischen Bausubstanz werden von Bauherren, Architekten und Mietern durchaus kritisch gesehen. „Die meisten der Häuser sind in Privatbesitz“, gibt Baustaatssekretär Gunther Adler am Rande der Messe in Leipzig zu Bedenken. Er gehört dem Kuratorium des White City Centers an und begleitet das Gemeinschaftsprojekt von Anfang an. „Wichtig ist, Interesse zu wecken und Anreize zu schaffen“, betont Adler. Mit dem Liebling-Haus lasse sich ein Prototyp schaffen, der Eigentümern beispielhaft und auf anschauliche Weise Know-how vermitteln könne.
Das scheint zu gelingen. „Früher wurden Fenster einfach ausgetauscht, inzwischen fragen uns viele wie es gemacht wird“, erzählt Sharon Golan Yaron und zeigt auf ein Fenster aus Holz an der Rückwand des Messestandes. „Es wird gesehen, was möglich ist.“ Die Rekonstruktion eines Fensters aus dem Liebling-Haus ist Teil des Projekts Israeli German Sustainable Building Education (IGSBE), das vom Architekten Robert K. Huber mit israelischen und deutschen Teilnehmenden in Berlin und Tel Aviv umgesetzt worden ist.
Darauf aufbauend als Best-Practice-Projekt sanierten Auszubildende, Studierende, interessierte Fachleute und Laien drei Wochen lang unter Anleitung eines erfahrenen Handwerksmeisters vom Berufsförderungswerk des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg Fenster und Balkontüren im Max-Liebling-Haus. „Es war schon eine Herausforderung, mit den sehr unterschiedlichen fachlichen Voraussetzungen umzugehen“, berichtet Robert Huber vom Berliner Büro „zukunftsgeraeusche“. Eine duale Ausbildung wie in Deutschland gibt es in Israel nicht, der Zugang ist eher akademisch. Viele Handwerker wiederum sind ungelernt und bringen wenig Fachwissen mit. „Es wäre gut, wenn wir auch in Zukunft Auszubildende mit Studierenden zusammenbringen können“, betont Huber. Der Grundstein ist gelegt: „Unser Ziel war es, mit der Lehrbaustelle ein Format vorzustellen, das sich auch auf andere Baustellen übertragen lässt.“
Offen über die Vergangenheit sprechen
Alle Schritte wurden in einem Leitfaden festgehalten, die eigens eingerichtete Werkstatt kann für nachfolgende handwerkliche Workshops genutzt werden. Die Erfahrungen wirken jedoch weit über das Fachliche hinaus. „Diese Form der Zusammenarbeit bietet wunderbare Möglichkeiten sich kennenzulernen und auszutauschen“, so Huber. „Das Thema Auswanderung ist in diesem Haus so präsent, dass man während der praktischen Arbeit zwangsläufig und offen über die gemeinsame Vergangenheit spricht – wobei das gemeinsame positive Erbe der modernen Baukultur ein wertvolles Gut ist.“