Von Vätern und Söhnen
In zum Teil preisgekrönten Büchern befassen sich mehrere deutsche Schriftsteller mit türkischen Wurzeln mit Familienrollen, Migration und auch Männlichkeit.
Dinçer Güçyeter: „Unser Deutschlandmärchen“
Dinçer Güçyeters Buch „Unser Deutschlandmärchen“ ist zwar als Roman veröffentlicht, der Autor selbst vergleicht seinen Text aber mit einem Konzert aus unterschiedlichen Instrumenten und Stimmen. In diesem literarischen Konzert erzählt der 1979 im niederrheinischen Nettetal geborene Sohn türkischer Gastarbeiter aus verschiedenen Perspektiven seine Familiengeschichte – und lässt dabei die Frauen sprechen. Die Männer habe er ganz bewusst nicht zu Wort kommen lassen, sagt Güçyeter, denn die Frauen seien in seinem Leben präsent gewesen und hätten sehr viel bewegt.
Güçyeters „Deutschlandmärchen“ wurde 2023 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet und zeigt insbesondere aus der Perspektive seiner Mutter die Nöte wie auch die Freuden der sogenannten Gastarbeitergeneration in Deutschland. Es ist eine Erzählung, die Verständnis dafür weckt, warum die Menschen mit Arbeiten und Sparen beschäftigt waren und warum Integration zu kurz kam.
Fatih Çevikkollu: „Kartonwand. Das Trauma der Arbeitsmigrant/innen am Beispiel meiner Familie“
Bekannt ist Fatih Çevikkollu als Kabarettist und Schauspieler. Mit „Fatihland“, seinem ersten Soloprogramm, tourte er ab 2006 durch Deutschland. Mit „Kartonwand. Das Trauma der Arbeitsmigrant/innen am Beispiel meiner Familie“ ist der türkeistämmige Künstler nun unter die Autoren gegangen. Im Gegensatz zu seinem Bühnenprogramm gehört das Buch nicht zum Unterhaltungsgenre. Der 51-Jährige will die Leser nicht zum Lachen bringen, sondern exemplarisch aufzeigen, was für die Gastarbeiter die Migration nach Deutschland bedeutete.
Auslöser dafür, die eigene Familiengeschichte aufzuschreiben, war der Tod seiner Mutter. Sie litt unter einer Psychose und starb 2017 in der Türkei. Çevikollu stellt fest, dass er nichts über sie und auch nichts über seinen Vater wusste. Im Buch erklärt er es so: „Ich habe meine Mutter als eine sehr stille Frau in Erinnerung, mit uns Kindern sprach sie nicht viel, mein Vater auch nicht, und miteinander sprachen sie auch nicht, nicht im Sinne von Austausch. Der Alltag wurde organisiert, das war’s.“
Fikri Anıl Altıntaş: „Im Morgen wächst ein Birnbaum“
Warum bin ich nicht der Mann geworden, der ich hätte werden sollen? Fikri Anıl Altıntaş hat sich auf die Suche nach Antworten auf diese und weitere Fragen gemacht. Der Sohn türkischer Migranten reflektiert in seinem Debütroman die eigene Biografie und schont dabei seine Familie nicht – vor allem nicht den Vater. Denn der in Hessen geborene 31-jährige Autor beschäftigt sich in seinem Buch „Im Morgen wächst ein Birnbaum“ mit Männlichkeit. Schon als Heranwachsender stellt er fest, dass er den Erwartungen und Stereotypen nicht entspricht. Als Junge hat er damit zu kämpfen, als Erwachsener will er den Anforderungen gar nicht entsprechen.
Der in der politischen Bildungsarbeit und als Publizist tätige Altıntaş regt mit seinem autobiografischen Buch dazu an, stereotype Geschlechterrollen und die eigenen Annahmen über muslimische Männer zu reflektieren.
Deniz Utlu: „Vaters Meer“
Autobiografisch ist auch Deniz Utlus Roman „Vaters Meer“. Die Stadt Hannover ist Dreh- und Angelpunkt des Nachdenkens von Yunus, dem Ich-Erzähler, über seinen Vater Zeki. Yunus weiß nicht viel über seinen Vater. Der Ich-Erzähler ist noch ein Kind, als der Vater erkrankt und nach zwei Schlaganfällen unter dem Locked-in-Syndrom leidet. Er kann nur noch die Augenlider bewegen.
Yunus begibt sich auf Spurensuche; er will herausfinden, wer sein Vater war. Dabei stellt er fest: „Je tiefer ich eintauche, desto unergründlicher werden die Erinnerungen an baba.“ Es gibt keine eindeutigen Antworten in diesem rund 400 Seiten umfassenden Roman.
In „Vaters Meer“ steckt nicht nur der Name des Autors (der türkische Name Deniz bedeutet auf Deutsch Meer), sondern auch 15 Jahre Arbeit, wie der in Hannover geborene und aufgewachsene 40-jährige Autor betont.
Necati Öziri: „Vatermal“
Um einen abwesenden Vater geht es auch in Necati Öziris Erstlingswerk „Vatermal“. Anders als in Deniz Utlus Roman ist der Vater des Ich-Erzählers Arda nicht gestorben, sondern in die Türkei zurückgekehrt.
Arda hat eine unheilbare Immunerkrankung und lässt im Krankenhaus sein Leben Revue passieren; in einen imaginären Brief an den Vater erzählt er von sich, seinen Freunden, der älteren Schwester und der Mutter. „Du sollst wissen, wie es war, als deine alten Freunde mir auf die Schulter klopften und sagten, ich würde irgendwann werden wie du: Held einer gescheiterten Revolution. Ich werde diese Geschichten aufschreiben.“
Auch dieses Buch ist ein autofiktionaler Roman und thematisiert das Leben der ersten und zweiten Generation türkeistämmiger Menschen in Deutschland. Necati Öziri, Jahrgang 1988, wuchs mit seiner alleinstehenden Mutter im Ruhrgebiet auf und studierte Philosophie, Germanistik und Neue Deutsche Literatur. Er ist Dramaturg und schreibt unter anderem für das Berliner Maxim Gorki Theater, an dem er 2013 als Dramaturgie-Assistent anfing. Sein Buch „Vatermal“ wurde 2023 für den Deutschen Buchpreis nominiert.