Digitale Freiheiten, digitale Rechte
Eindrücke vom zweiten Tag der Internetkonferenz re:publica 2017 – vom Einsatz für eine #DigitalCharta bis zum lockeren Umgang mit Hasskommentaren.
Virtual-Reality-Brillen, die Zukunft des Autos, digitale Grundrechte und ein Bingo-Spiel mit Hasskommentaren – der zweite Tag der re:publica zeigte zahlreiche Facetten der Digitalisierung.
Aus den Augen eines Ferkels
Wie fühlt es sich wohl an, in einem Massentierstall zur Welt zu kommen und kurz nach der Geburt von der Mutter getrennt zu werden? Wie lebt es sich in dieser engen, schmutzigen Umgebung – und schließlich: Wie stirbt es sich darin? Das wenig freudvolle Leben eines Mastschweines erfahren die Besucher der re:publica unmittelbar. Mit einer Virtual-Reality-Brille der Tierschutzorganisation Animal Equality können sie Enge und Grausamkeit eines Massenstalls aus den Augen eines Schweins betrachten. Die Tierschutzorganisation klärt auf Veranstaltungen wie der re:publica mit VR-Brillen über das qualvolle Leben von Masttieren auf. Dass sich VR-Brillen gut zu Bildungszwecken nutzen lassen, zeigen auch andere Aussteller der re:publica 2017. Der Film „Inside Auschwitz“ des Westdeutschen Rundfunks (WDR) inszeniert einen virtuellen 360-Grad-Rundgang durch die Überreste des Vernichtungslagers. Ebenfalls mit einer VR-Brille können sich Besucher im Kölner Dom frei bewegen, einem privaten Chorkonzert lauschen oder Restauratoren bei der Arbeit über die Schulter schauen.
Eine Charta für digitale Grundrechte
Es sind große Freiheiten, die das Internet seinen Nutzern bietet. Gleichzeitig schränkt es auf ungewohnte Weise ein: Staatliche Überwachung und Zugriffe mächtiger Konzerne wirken zunehmend bedrohlich. „#DigitalCharta – Brauchen wir Grundrechte für das digitale Zeitalter?“ war daher der Titel einer Veranstaltung am zweiten Tag der re:publica. Eine solche „Charta der digitalen Grundrechte für die Europäische Union“ hat eine Gruppe von 27 Bürgern erarbeitet und im Dezember 2016 erstmals vorgestellt. Drei der Initiatoren, re:publica-Mitgründer Johnny Haeusler, die Soziologin Jeanette Hofmann und Jan Philipp Albrecht, Abgeordneter des Europäischen Parlaments, diskutierten mit Christoph Kucklick, Chefredakteur des Magazins GEO, über den aktuellen Stand der Charta. Kucklick hatte den ersten Entwurf der Charta nicht unterschreiben wollen, weil ihm viele Punkte unklar waren. Überhaupt – das machte die Diskussion deutlich – sind zahlreiche Inhalte auch im Kreis der Initiatoren strittig. Zum Beispiel die Frage, ob wirklich neue Rechte nötig sind, oder ob nicht die bereits bestehenden Grundrechte auch zum Schutz der Menschen im digitalen Raum ausreichen – wenn sie vielleicht auch neu interpretiert werden müssen. Genau das aber ist, darin waren sich die Initiatoren einig, Zweck des Entwurfs einer Charta: eine öffentliche Diskussion über Grundrechte im digitalen Zeitalter anzustoßen.
Mobilität von morgen
Vier Buchstaben beschreiben aus Sicht des deutschen Automobilkonzerns Daimler die Zukunft der Mobilität: CASE, also „Vernetzung (Connected)“, „ autonomes Fahren (Autonomous)“, „flexible Nutzung (Shared & Services)“ und „elektrische Antriebe (Electric)“. CASE – das ist auch der Name eines von Daimler gegründeten Think Tanks zur Zukunft der Mobilität. Axel Harries, Leiter von CASE, gab Antworten auf zentrale Fragen zu emissionsfreien Antrieben und stellte innovative Konzepte vor: Künstliche Intelligenz soll das Autofahren in Zukunft noch komfortabler machen. Autos werten Verhaltensmuster ihrer Fahrer aus und schlagen ihnen wahrscheinlich gewünschte Routen vor. Außerdem kann das Auto über Sensoren im Lenkrad oder eine Smartwatch den Puls des Fahrers abfragen und daraus den Gesundheitszustand ableiten.
Spielerischer Umgang mit Hasskommentaren
Schon der Titel dieses Forums mutete skurril an: „Treffen sich eine Jüdin, eine Feministin, ein Journalist und ein schwarzer, homosexueller Mann.“ Was dann passiert? Die vier unterhalten sich über Hasskommentare im Internet – denn das ist es, was sie alle verbindet. Juna Grossmann bloggt über jüdisches Leben, Lydia Meyer ist Journalistin eines feministischen Youtube-Formats für junge Mädchen, Patrick Stegemann ist Redakteur, Tarik Tesfu macht Videos zu Genderkrisen. Ihre Arbeit sorgt im Netz nicht nur für Begeisterung, sondern auch für zum Teil menschenverachtende Kommentare und Anfeindungen. Wie geht man damit um? Während Lydia die Diskussion sucht, reagiert Juna mal mit „Liebe“ mal mit einer Anzeige, Tarik dagegen ignoriert Hasskommentare, Patrick löscht sie. Jedenfalls betrachten die Vier Hasskommentare mit großer Lockerheit – davon zeugt auch die Tatsache, dass das Panel in ein Bingo-Spiel umfunktioniert wurde: Der Reihe nach lasen die vier Netzaktivisten ausgewählte Hasskommentare vor – bis jemand aus dem Publikum „Bingo“ rief. Zur Belohnung wurden Schnäpse spendiert.
re:publica 2017: Eindrücke vom ersten Tag
„Auch im Internet Zivilcourage zeigen“: Interview mit re:publica-Rednerin Kübra Gümüşay