Zur Verständigung beitragen
Das „Bundespräsident Johannes Rau Programm“ ermöglicht einen deutsch-türkischen Journalistenaustausch.
Gösta Neumann hat beruflich oft mit Menschen türkischer Herkunft zu tun; vor allem, seit er viel für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Köln arbeitet. Neumann ist Reporter für Hörfunk und Fernsehen und befasst sich immer wieder mit Themen rund um die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland. Im Mai 2014 berichtete er über den Köln-Besuch von Premier Recep Tayyip Erdoğan. „Mehr über die Türkei zu wissen hilft einem auch als Journalist in Köln“, sagt der freiberufliche Reporter.
Die Chance, die türkische Gesellschaft besser kennenzulernen und mehr über politische und wirtschaftliche Hintergründe zu erfahren, bekommt Neumann als Teilnehmer des „Bundespräsident Johannes Rau Programms“. Der 28-Jährige ist einer von zwölf jungen Journalisten, die sich im Herbst in der Türkei beziehungsweise in Deutschland aufhalten werden. Den Austausch organisiert der Verein Internationale Journalisten-Programme (IJP) seit 2006. Initiiert hat ihn Rüdiger Frohn, früherer Leiter des Bundespräsidialamtes. Mit der Idee des deutsch-türkischen Journalistenaustauschs wandte er sich seinerzeit an den IJP-Programmleiter Miodrag Soric und stellte den Kontakt zum Altbundespräsidenten her. „Johannes Rau erlaubte uns, seinen Namen zu verwenden“, berichtet Soric. Wie Rau, der Anfang 2006 verstarb, will auch das Journalistenprogramm „zur deutsch-türkischen Verständigung und zu einem guten Miteinander von Deutschen und Türken beitragen“, erläutert Nilüfer Şahin. Die aus der Türkei stammende deutsche Journalistin war selbst Teilnehmerin in der zweiten Runde des Programms und koordiniert seit 2010 den wechselseitigen Austausch, der auch türkische Journalisten nach Deutschland bringt.
Auch mit der Frage, ob deutsche Journalisten türkischer Herkunft als Stipendiaten zugelassen werden sollten, mussten sich die Organisatoren zunächst befassen. Der Verein Internationale Journalisten-Programme entschied sich dafür. „Aus der Türkei zu stammen bedeutet nicht per se, sich in dem Land auszukennen“, weiß Nilüfer Şahin aus eigener Erfahrung. Zehn der bisher rund 90 Alumni sind inzwischen türkischstämmige Journalisten aus Deutschland.
Das Austauschprogramm ist – etwa über Mund-zu-Mund-Propaganda – inzwischen auch unter türkischen Medienmachern bekannt; und so bewerben sich immer mehr Journalisten aus der Türkei. Eigentlich ist das Teilnehmerkontingent auf zehn Bewerber beschränkt, wird aber laut Nilüfer Şahin „meist auf zwölf oder vierzehn Teilnehmer erweitert“, um möglichst vielen qualifizierten Bewerbern die Chance zu geben, sich mit dem jeweils anderen Land vertraut zu machen. Das Stipendium besteht neben der Vermittlung von zweimonatigen Gastredakteursstellen aus einem Zuschussbeitrag von 3800 Euro, um die Aufwendungen für Reisekosten, Unterbringung und Verpflegung während des Auslandsaufenthaltes zu bestreiten; auch zählt eine dreitägige Einführungsveranstaltung zum Programmangebot. Finanziert wird das Bundespräsident Johannes Rau Programm vom Auswärtigen Amt, der Stiftung Mercator und der Vodafone Stiftung.
Der deutsche TV-Reporter Jens Eberl ist einer der Alumni. Auf seinen Arbeitsaufenthalt in Istanbul blickt er zufrieden zurück: „Ich konnte intensiver eintauchen in das Land, das ich nur aus Urlauben kannte.“ Schon allein wegen der drei Millionen Menschen türkischer Herkunft in Deutschland sei die Türkei ein wichtiges Partnerland. Sein Blick auf das Land sei vielfältiger geworden als das vereinfachende Bild, das in deutschen Medien immer noch auftauche. Eberl sagt, dass er noch immer von den Kontakten profitiere, die er 2007 geknüpft habe, auch außerhalb des Berufslebens.
Programmkoordinatorin Nilüfer Şahin verfolgt die Berichterstattung über die Türkei und die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland seit vielen Jahren aus persönlichem Interesse wie aus beruflichen Gründen. Sie stellt fest, dass sich die Qualität der Berichte verbessert hat: „Früher waren viele Beiträge voll von Klischees und nicht besonders differenziert.“ Sie führt das darauf zurück, dass viele deutsche Journalisten die Türkei kaum kannten und auch nicht über Netzwerke verfügten, die ihnen bei den Recherchen hätten helfen können. „Heute“, meint Şahin, „ist die Berichterstattung nuancierter und vielen Beiträgen ist anzumerken, dass sie besser recherchiert wurden.“ Sie achte auf die Autorennamen und freue sich, wenn sie Teilnehmer des Bundespräsident Johannes Rau Programms entdecke. Diese Freude ist in gewisser Weise der Lohn für ihre Arbeit, denn die freiberufliche Journalistin koordiniert das Austauschprogramm ehrenamtlich – weil ihr der differenzierte Blick auf beide Länder wichtig ist. Zerrbilder, die via Medien über Deutschland und die Türkei transportiert würden, sorgten für Anfeindungen und Missstimmung in der jeweiligen Gesellschaft.
Wie wichtig der Austausch in beide Richtungen ist, betont Ceren Dilekçi. Die türkische Journalistin war 2010 Stipendiatin des Türkeiprogramms. Nach Berlin gereist sei sie auch mit in der Türkei verbreiteten Vorstellungen, dass Deutsche unfreundlich, reserviert, gar türkenfeindlich seien. Dieses Image werde über die Medien häufig verbreitet, sagt die 28-Jährige. In Berlin habe sie mit Hilfe der dort geknüpften Kontakte ihr Deutschlandbild revidiert. Verwundert war Dilekçi, wenn sie beobachtete, wie sich manche türkischen Einwanderer abschotteten. Dass Menschen aus der Türkei es nach 30 oder 40 Jahren nicht geschafft haben, Deutsch zu lernen, versteht sie nicht.
Ohne allzu konkrete Erwartungen will sich Gösta Neumann auf den Weg in die Türkei machen. „Ich bin einfach nur neugierig auf Land, Leute und auch auf die Arbeit in der Gastredaktion“, sagt der junge Journalist aus Köln. Seit den sogenannten Gezi-Protesten im Frühjahr 2013 sei ja sehr viel über die Türkei berichtet worden – „auch darüber, dass die Medien nicht frei sind“. Wie sehr findet Zensur tatsächlich statt und wie wirkt sie sich auf die konkrete Arbeit aus? Er hofft, Antworten auf diese und andere Fragen zu finden.
Über die Türkei und Deutschland berichten die Stipendiaten während ihres Arbeitsaufenthaltes für Gast- wie Heimatredaktion und weitere Medien. Deutsche Kooperationspartner waren bislang der Bonner General-Anzeiger, die Kölnische Rundschau, der Berliner Tagesspiegel, die Rundfunksender WDR, RBB sowie die Deutsche Welle; in der Türkei waren unter anderem Redaktionen bei CNN Türk, Cumhuriyet, der Doğan Nachrichten Agentur, Turkish Daily News, Radikal, Referans, NTV Radyo und Zaman beteiligt.
Sprachkenntnisse des jeweiligen Landes braucht es für die Bewerbung nicht zwingend – vorausgesetzt werden Englischkenntnisse. Dass man damit nicht immer weiterkommt, hat beispielsweise Björn Finke von der Süddeutschen Zeitung erlebt. Ihm sei nicht bewusst gewesen, „dass jenseits der Touristenviertel in Istanbul die Menschen in der Regel keinerlei Fremdsprache sprechen“. Das Hindernis bei der Kontaktanbahnung hat sein Interesse an der Türkei nur verstärkt: „Ich lerne nun nebenher Türkisch“, berichtet Finke, der derzeit als Korrespondent in London arbeitet. ▪
Canan Topçu