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„Der digitale Raum schafft neue Freiheiten“

Zeitgenössische Kunst aus Afrika war in Deutschland lange kaum sichtbar. Das wollte die Kunsthistorikerin Yvette Mutumba ändern. Die von ihr mitgegründete Plattform „C&&“ ist eine Bühne für aufstrebende Künstler.

01.10.2015

Frau Mutumba, zahlreiche deutsche Museen widmen zeitgenössischen afrikanischen Künstlern aktuell Ausstellungen. Wie kommt es zu dieser großen Beliebtheit?

In ganz Europa und auch in den USA ist zwar aktuell von einem „Boom“ zeitgenössischer Kunst aus Afrika die Rede. Aber ich sehe das skeptisch. Ja, es gibt in Deutschland wirklich viele Ausstellungen mit Kunst aus afrikanischen Perspektiven. Ich wehre mich aber gegen das Etikett „afrikanische Kunst“. Zum einen, weil man Kunst aus Afrika nicht ohne weiteres als solche definieren kann – dafür ist sie viel zu vielfältig und kunsthistorisch zu komplex. Zum anderen, weil es an der Zeit ist, einen Schritt weiter zu gehen: Es ist doch vollkommen klar, dass bei Ausstellungen zu bestimmten Themen auch Künstler mit afrikanischem Hintergrund vertreten sind – und dass ihre Herkunft dabei keine oder zumindest eine untergeordnete Rolle spielt.

Zeitgenössische Kunstschaffende aus Afrika waren in Deutschland lange nur wenig sichtbar. Warum?

Europa und Nordamerika haben bis in die 1990er-Jahre eine stark normative Kunstgeschichte geschrieben, in der ein gewisser ästhetischer Anspruch erhoben wurde. Dieser Maßstab wurde auch an die Kunst außerhalb dieses Dunstkreises angelegt – und es wurde lange behauptet, Kunst aus Afrika werde dem nicht gerecht. Dabei hat man sich gar nicht wirklich intensiv mit der Kunst auseinandergesetzt.

Dem wollten Sie etwas entgegensetzen und gründeten 2013 mit Julia Grosse die Plattform „Contemporary And“ (C&). Wie kam die Idee zustande?

Junge Künstler in Afrika sind unheimlich aktiv, bilden Netzwerke, schaffen neue Kunsträume – dies wird international aber kaum wahrgenommen. Deshalb schufen wir „C&“. Von Anfang an war klar, dass es sich um eine Online-Plattform handeln würde, weil wir Menschen überall auf der Welt erreichen wollen. Das Internet bietet einfach viele Möglichkeiten: Wir haben ein Magazin aufgebaut, das auch gedruckt erscheint, und informieren über neue Ausstellungen, Kunstprojekte, Förderprogramme und Künstlerresidenzen. Zudem präsentieren wir neue Orte der Kunst. In unserer Serie „Inside the Library“ zum Beispiel stellen wir kleine, unbekannte Bibliotheken vor, die über wichtige Bücher oder etwa Manifeste verfügen. Ganz bewusst machen wir auch auf junge Künstler aufmerksam, die noch nicht von einer Galerie vertreten werden. Vor einiger Zeit etwa haben wir Samson Kambalu aus Malawi vorgestellt. Die Stevenson Gallery, eine der wichtigsten Galerien in Kapstadt, wurde über „C&“ auf ihn aufmerksam und nahm ihn in ihr Programm auf. Übrigens gibt es auf unserer Plattform in der Rubrik „Art Space“ auch digitale Ausstellungen. Zwar werden solche digitalen Projekte nie die physische Ausstellung ersetzen können. Das alles trägt letztlich aber zu einer Dezentralisierung der Branche bei. Im digitalen Raum können sich die Künstler frei bewegen – auch ohne Visum.

Wie erleben die afrikanischen Künstler ihre neue Sichtbarkeit auf dem internationalen Kunstmarkt?

Manche Künstler gehen sehr pragmatisch damit um und nutzen die neuen Möglichkeiten, indem sie zum Beispiel an Residenzprogrammen teilnehmen oder international ausstellen. Andere, vor allem jüngere Künstler, stärken mit Hilfe der neuen internationalen Kontakte vor allem ihre lokale Kunstszene.

Der Untertitel lautet „Plattform für internationale Kunst aus afrikanischen Perspektiven“. Was genau verstehen Sie unter diesen „afrikanischen Perspektiven“?

Der Titel unserer Plattform „C&“ spielt auf die Vielseitigkeit und Internationalität heutiger Kunst an. Während das „C“ ganz klar für „Contemporary“, also zeitgenössisch, steht, deutet das „&“ an, dass es um vieles mehr geht: Um Performance- und um Videokünstler ebenso wie um Maler und Fotografen. Sie stammen aus Angola, Nigeria oder Uganda, sind in England, den USA oder Deutschland aufgewachsen oder von Russland nach Kenia ausgewandert. Ihre persönliche Biografie ist sehr international, und genau das definiert sie. Auch wenn sie eine bestimmte, möglicherweise identitätsstiftende Verbindung zu Afrika haben – und das ist mit den afrikanischen Perspektiven im Untertitel gemeint – ist ihre Kunst nicht „afrikanisch“. Denn afrikanische Kunst gibt es ebenso wenig wie deutsche oder englische Kunst.

Der historische Hintergrund eines Landes und seiner Menschen schwingt trotzdem oft mit. Warum spielt das auch in der neuen Ausstellung des Frankfurter Weltkulturen Museums „A Labour of Love“, die ab 2. Dezember 2015 zu sehen ist und die sie gemeinsam mit der südafrikanischen Künstlerin Gabi Ngcobo kuratieren, eine wichtige Rolle?

Im Zusammenhang mit dem Hype um Kunst aus Afrika geht oft unter, dass Afrika auf eine Kunstgeschichte zurückblickt, die sich nicht auf traditionelle Holzskulpturen bezieht, sondern auf zeitgenössische Kunst. Und diese zeitgenössische Kunst bezieht Position. Etwa zu politischen oder historischen Ereignissen. In „A Labour of Love“ stellen wir Werke aus, die der deutsche Pastor Hans Blum 1986 in Afrika für das Weltkulturen Museum ankaufte. Zu einer Zeit also, in der sich Südafrika im Ausnahmezustand befand. Um ein Zeichen gegen das Apartheidregime zu setzen, kaufte Blum ausschließlich Werke schwarzer Künstler. Natürlich wäre es interessant gewesen, die Werke einfach in einer Ausstellung zu präsentieren und über ihren Kontext zu informieren.

Was genau ist die Idee der Ausstellung?

Wir gehen einen Schritt weiter, indem wir einen Bezug zur Gegenwart herstellen und zeigen, welche Relevanz die Kunstwerke heute haben. Deshalb luden wir vier junge Studierende einer Kunsthochschule in Johannesburg ein, sich damit auseinanderzusetzen. Sie sind so jung, dass sie die Apartheid nicht oder kaum mehr erlebt haben. Es war hoch spannend zu sehen, wie sie sich diesem Thema annäherten und neue künstlerische Positionen aufbauten. Diese „neuen“ und „alten“ Werke treten in der Ausstellung in einen spannenden Dialog.

Interview: Clara Görtz

„CONTEMPORARY AND“

Die Online-Plattform „Contemporary And“ (C&) berichtet seit Anfang 2013 über zeitgenössische Kunst aus afrikanischen Perspektiven. Seitdem hat sich das vom deutschen Institut für Auslandsbeziehungen initiierte und vom Auswärtigen Amt von Anfang an geförderte Projekt international etabliert. Gegründet wurde die Plattform von den Kunsthistorikerinnen Julia Grosse, die Chefredakteurin von C& ist, und Yvette Mutumba, die am Weltkulturen Museum Frankfurt am Main als Kuratorin arbeitet.

www.contemporaryand.com