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Faust in Frankfurt

Das Schauspiel Frankfurt startet mit Goethes zentralem Lebenswerk „Faust“ in die Spielzeit. Eine außergewöhnliche Herausforderung für Intendant Oliver Reese.

14.09.2012
© Birgit Hupfeld/Schauspiel Frankfurt

Herr Reese, Ihre vierte Spielzeit in Frankfurt beginnt. Welche Bilanz würden Sie ziehen?

Obwohl ich anfangs vor der angeblich kühlen und zugigen Bankenmetropole Frankfurt gewarnt wurde, habe ich diese Stadt lieben und schätzen gelernt. Es ist eine Stadt mit Herz. Gleichzeitig bietet Frankfurt alle Vorteile einer Weltstadt – mit einer international renommierten Kulturlandschaft. Meine persönliche Konsequenz daraus konnte nur sein: großstädtisches Theater.

Davor waren Sie viele Jahre in Berlin. Was war dort anders?

In einer Metropole wie Berlin muss sich das Theater viel stärker profilieren und spezialisieren, um wiedererkennbar und konkurrenzfähig zu sein. In Frankfurt habe ich dagegen mit dem Schauspiel die Möglichkeit – und auch den Auftrag –, das ganze Spektrum eines Stadttheaters abzudecken, von Projekten für Kinder und Jugendliche über Uraufführungen, theatrale Experimente und eben auch die großen Stoffe der Weltliteratur. Das ist für mich ungeheuer reizvoll.

Phädra, Emmy Göring, Lolita oder Paula Spencer – haben Sie eine Vorliebe für Frauen mit besonderem Schicksal?

Ja, denn in meinen Regiearbeiten interessieren mich zunächst die Konfliktsituationen, die extremen Ausschläge der menschlichen Triebnatur – und die inneren Widersprüche einer Figur. Neben der psychologischen Seite fasziniert mich vor allem die jeweilige Sprache, mit der diese Figuren sich ausdrücken: Paula Spencer spricht derb, krass und trotzdem sehr persönlich und anrührend. Phädra gießt ihre Gefühle in höchst artifizielle Verse. Diese unterschiedlichen Sprachen sind es, die ich im Theater untersuche.

Sie inszenieren gern Romane oder andere nichtdramatische Texte – was reizt Sie daran?

Authentisches Material wie etwa Romane, Tagebücher, Briefe oder Interviews können sich als ebenso theatral erweisen wie fertige Dramentexte. Entscheidend ist der darin verborgen liegende Konflikt, die Situation und die Komplexität von Figuren. Alle Texte, egal in welcher Ausgangsform, sind lediglich das Material einer Theaterarbeit. Sie werden schließlich lebendig durch die aufregende Arbeit mit den Schauspielern, die sich diese Texte aneignen.

Anlässlich der Goethe-Festwoche 2012, bringen Sie beide Teile von Goethes „Faust“ auf die Bühne. Inszeniert von zwei Regisseuren, zum Teil in Doppelvorstellungen. Was erwartet die Zuschauer?

Mit „Faust“ steht einer der wichtigsten deutschen Mythen auf dem Programm. Und es ist das Stück der Stunde: Die faustische Suche nach grenzenloser Erweiterung, die Hybris und der Anspruch auf fortwährenden Zuwachs sind zur Schicksalsfrage des modernen Menschen geworden. Goethe selbst hat sich ein Leben lang mit diesen Fragen beschäftigt: Zwischen den ersten Szenen, die seinen „Urfaust“ begründeten, und den letzten Versen des maßlosen zweiten Teils liegen mehr als 60 Jahre. Deshalb möchten wir den „Faust“ als Thema etablieren – mit beiden Teilen von Goethes großer Fortschrittstragödie.

Welche Stücke wollen Sie unbedingt noch auf die Frankfurter Bühne bringen?

„Faust“ ist immer eine außergewöhnliche Herausforderung, die ich dem Ensemble auch nicht gleich im ersten Jahr, sondern erst jetzt zumuten wollte. Und ich möchte mit dem Theater neue Spielorte erobern wie im Dezember das Senckenberg Naturmuseum. Nach wie vor bin ich immer auf der Suche nach talentierten Gegenwartsautoren, die man auch auf der großen Bühne inszenieren kann. Jedes Jahr sehen Sie das eine oder andere meiner Lieblingsstücke. „Die Cocktail Party“ von T. S. Eliot gehört auch dazu.

Interview: Friederike Schön für Societäts-Medien