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Bewegt von Klima und Digitalisierung

Was die Teilnehmer der Vermächtnisstudie beschäftigt – und warum sie auch an Grapefruit und Leder riechen mussten. Interview mit Jutta Allmendinger.

04.10.2017
Jutta Allmendinger
© dpa

Wie es ist – und wie es sein sollte. Diesen Fragen geht die Vermächtnisstudie nach. Organisiert haben sie die Wochenzeitung Die ZEIT, das Marktforschungsinstituts infas und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Ein Interview mit der WZB-Präsidentin und Soziologin Jutta Allmendinger.

Frau Allmendinger, für die Vermächtnisstudie haben Sie mehr als 3.000 Menschen im Alter von 14 bis 80 Jahren nach ihrer Zukunft gefragt. Wie war die Resonanz? 

Um der Zukunft auf die Spur zu kommen, haben wir für jeden Bereich gleich drei Fragen gestellt. Wie ist es heute? Wie sollte es sein? Wie wird es werden? Erst dieser Dreiklang und der direkte Vergleich zwischen den Antworten haben uns verraten, was sich die Menschen von der Zukunft erhoffen und was sie erwarten.  Da alle Befragten sehr aufmerksam und reflektiert geantwortet haben,  ist eine kurze Zusammenfassung nicht leicht. Lassen Sie es mich versuchen: Die Menschen empfehlen den kommenden Generationen, sich gut zu informieren, insbesondere im Bereich der Digitalisierung, der Gesundheit, im Klimaschutz und in der Politik. Den Hype um das eigene Aussehen sehen sie kritisch. Und sie mahnen an, viel offener gegenüber Neuem zu sein und eine solidarische Umverteilung des Einkommens nicht in Frage zu stellen. All diese Empfehlungen beinhalten eine Menge Selbstkritik. So selbstgefällig und bräsig wie man oft sagt, sind die Menschen  in Deutschland also nicht.

Und wie stellen sie sich die Zukunft tatsächlich vor?

Da äußern die Befragten dann doch viel Sorge. Besonders befürchten sie den Verlust von Arbeitsplätzen, Orten der Begegnung und  Gemeinsinn. Sie sorgen sich zudem vor einer Dominanz der Technik und der Privatisierung unseres Sozialstaats.  Aber auch diese Punkte werden besonnen und gut begründet formuliert.

Der Filmwettbewerb zur Vermächtnisstudie ist für uns ein Geschenk.
Jutta Allmendinger

Sie haben in den Interviews auch mit neuen sensorischen Messungen gearbeitet: Die Befragten rochen an Grapefruit, Rose, Heu und Leder, fühlten Glas, Schmirgelpapier, Watte und Wellpappe. Was wollten Sie damit erreichen – und welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Wir wollten vermeiden, dass  Menschen hastig und unreflektiert antworten, vielleicht um uns so schnell wie möglich wieder los zu werden. Wir wollten Befragte, die sich ernsthaft mit ihrem Vermächtnis beschäftigen und ebenso ernsthaft darlegen, welche Entwicklungen sie erwarten. Daher haben wir mit den Düften begonnen und etablierte Frageformen aufgebrochen.

Mit Erfolg?

Ja. Die Menschen haben sich engagiert, sind in das  Thema eingetaucht, haben sich mit unserer Fragestellung identifiziert. Auch inhaltlich waren die Sinnesreize für uns wichtig. Wir haben entdeckt, dass die Menschen die Düfte mit ihrem Hier und Jetzt verbinden, die Oberflächen mit ihrem gesamten Lebensverlauf vergleichen und die Rhythmen für das Tempo ihres Erwerbsalltags stehen. Die weitere Forschung wird davon sehr profitieren. 

Aus den Ergebnissen der Vermächtnisstudie haben Studierende deutscher Filmhochschulen 22 Kurzfilme entworfen. Was empfinden Sie dabei, dass aus Forschung Kultur wird?

Das ist für mich und das gesamte Team des Wissenschaftszentrums, der ZEIT und von infas ein riesiges Geschenk. Es öffnet uns die Augen und ist gleichzeitig eine wunderbare Vorbereitung auf die nächste Erhebung, die wir im Jahr 2018 planen. Natürlich sind die Filme ein Stück Kultur, für uns sind sie aber auch Forschung auf einer anderen methodischen Grundlage. Kurz: Forschung und Kultur lassen sich so sauber nicht trennen. Das finde ich spannend.

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