„Jeder hier hat enge Beziehungen zum Nachbarland“
Die Gemeinde Büsingen ist eine Exklave inmitten der Schweiz. Bürgermeisterin Vera Schraner erzählt, wie es sich dort lebt.
Wer von der Schweizer Stadt Schaffhausen an der südlichen Grenze Deutschlands, ganz in der Nähe des Bodensees, einige Kilometer den Rhein entlang nach Osten fährt, ist plötzlich in Deutschland. Normalerweise muss man auf dem Weg in die Schweiz, die nicht Teil der EU ist, einen Grenzposten passieren. Hier ist davon nichts zu sehen, in der deutschen Exklave Büsingen am Hochrhein. Das kleine, nur 7,62 Quadratkilometer große Gebiet gehört zwar zu Deutschland, ist aber vom Rest des Landes abgeschnitten. Im Osten trennt das 1.500-Einwohner-Dorf ein 750 Meter langer Streifen von deutschem Staatsgebiet. Bürgermeisterin Vera Schraner ist in Büsingen aufgewachsen und hat auch einige Jahre in der Schweiz gelebt. Sie erzählt vom Leben in der deutschen Exklave.
Frau Schraner, wie unterscheidet sich Büsingen von anderen deutschen Städten?
Büsingen ist eine deutsche Insel in der Schweiz. Wer von Deutschland aus nach Büsingen reist, muss 750 Meter Schweiz passieren. Ein Staatsvertrag regelt unsere Integration in die Schweiz und in welchen Bereichen Schweizer Recht für uns gilt. Das ist einzigartig in Deutschland. Unsere Landwirtschaft unterliegt schweizerischem Recht und wir gehören zollrechtlich zur Schweiz. Obwohl wir in Deutschland leben, müssen wir Waren, die wir in Deutschland kaufen, in der Schweiz einführen.
Wie wirkt sich diese Situation auf den Alltag der Menschen in Büsingen aus?
Da gibt es viele Beispiele. Wir haben zwei Postleitzahlen, zwei Mobilfunknetze und verwenden zwei Währungen: den Euro und den Schweizer Franken. Unsere Sportvereine spielen in Schweizer Ligen. Wer in Büsingen aufwächst, besucht ab der fünften Klasse die weiterführende Schule entweder in Deutschland oder in der Schweiz. Wir beziehen Schweizer Strom, telefonieren im Schweizer Netz, nutzen Schweizer Trinkwasser und die Landwirte sind in den Verbänden der Schweiz. Außerdem können sich Bürgerinnen und Bürger von der deutschen gesetzlichen Versicherungspflicht befreien lassen und sich in vollem Umfang in der Schweiz versichern.
Das Leben in der Schweiz gilt als teuer im Vergleich zu Deutschland. Spürt man das auch in Büsingen?
Auf jeden Fall, zum Beispiel an den höheren Preisen im Restaurant. Und unsere Mieten sind sehr hoch, fast vergleichbar mit der Großstadt München; und das, obwohl wir hier auf dem Land sind. Es ist generell sehr teuer, hier zu leben. Die finanzielle Mehrbelastung versuchen wir abzumildern, zum Beispiel, indem wir die Mehrwertsteuer-Rückerstattung aus der Schweiz nutzen. Das Geld investieren wir so, dass es unserer Bevölkerung zugutekommt, zum Beispiel durch die Bezuschussung von Kindergartengebühren oder Schulgeld in der Schweiz.
Welche besonderen Herausforderungen begegnen Ihnen im Leben in der Exklave?
Unser Sonderstatus besteht schon so lange, dass wir uns an vieles gewöhnt haben. Beispielsweise hat die Feuerwehr immer zwei unterschiedliche Hydrantenschlüssel dabei: einen für deutsche und einen für Schweizer Hydranten. Auch die doppelten Postleitzahlen in Büsingen sorgen bisweilen für Verwirrung: Unsere Sportvereine wurden lange von der Schweiz finanziell unterstützt. Aufgrund der Schweizer Postleitzahl gingen die Behörden davon aus, dass wir auch eine Schweizer Gemeinde sind. Als bemerkt wurde, dass wir zu Deutschland gehören, wurden uns die Mittel gestrichen. Das war für die Vereine ein herber Verlust. Aktuell sind wir dabei, eine Lösung mit dem Kanton Schaffhausen zu verhandeln. Denn unsere Vereine spielen ja, wie gesagt, in den schweizerischen Ligen. Und in unsere Sportvereine gehen viele Schweizer Kinder mit Wohnsitz in Schaffhausen.
Welche Bedeutung haben nachbarschaftliche Beziehungen zur Schweiz für die Menschen in Büsingen?
Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich hier eher der Schweiz zugehörig, vor allem die alteingesessenen. Im Grundsatz sind wir aber Büsinger. Eine physische Grenze zur Schweiz existiert nicht, wir überqueren sie ständig: zum Arbeiten, in die Schule, Freunde besuchen. Schon beim Spazierengehen ist man schnell drüben in der Schweiz. Jeder hier hat enge Beziehungen zu unserem Nachbarland. In einem Fall führt der Grenzverlauf sogar mitten durch die Gartenwirtschaft eines Restaurants – ohne, dass sich jemand daran stören würde.
Wie Büsingen zur deutschen Exklave wurde
Die Entstehung der Exklave Büsingen geht auf das 18. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1770 verkaufte das Habsburgerreich, zu dem der Ort damals gehörte, die Landrechte eines Nachbardorfs an die Schweiz. Dadurch wurde Büsingen plötzlich von Schweizer Gemeinden umgeben und zu einer ausländischen Enklave auf Schweizer Gebiet. Der Ort war zunächst österreichisch, dann Teil des Großherzogtums Baden, Teil der Weimarer Republik, nach dem Zweiten Weltkrieg Teil Südbadens und ab 1952 Teil des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg. Heute ist Büsingen politisch gesehen deutsch, unterliegt aber wirtschaftlich Schweizer Recht. Die Besonderheiten des Zusammenlebens regelt seit 1967 ein Staatsvertrag.