500 Jahre Reformation und der Blick von außen
Internationale Gäste besuchen die Wartburg bei Eisenach und fragen nach Luthers Einfluss auf die deutsche Gesellschaft.
Der Luther-Pfad führt von der Wartburg durch den Wald hinunter nach Eisenach. An einem Sommertag im Juni, an dem 15 internationale Gäste des Besucherprogramms der Bundesrepublik Deutschland auf Luthers Spuren unterwegs sind, hat der Regen die Erde zum Dampfen gebracht. Es riecht nach Moos und Rinde und aus dem dichten Blätterdach tropft das Wasser. „Ein wunderbarer Ort, um allein zu sein und zu meditieren“, sagt Abraham Mengesha Mitku aus Äthiopien. Der Präsident der Zentralsynode der äthiopischen evangelischen Kirche Mekane Yesus ist einer der Besucher, die den Ort erkunden, an dem Martin Luther ab Mai 1521 ein Jahr lang in einer kleinen Kammer die Bibel übersetzt hat.
„Es ist faszinierend, Luther auf der Wartburg in seinem historischen Kontext lokalisieren zu können“, sagt auch Marianne Wilson. Sie koordiniert das Reformationsprogramm der Nationalen Archive von Großbritannien. Die Wege zu gehen, die Szenerie zu erleben, den Raum zu betrachten, in dem der Reformator sich aufhielt: Das genießt die gesamte Gruppe – aber nicht ohne kritische Distanz.
„Ausgeglichene und ehrliche Darstellung“
Ágnes Pángyánszky interessiert sich auf der Wartburg besonders für die nationale Sonderausstellung „Luther und die Deutschen“. „Was wird da an Wissen integriert, was wird weggelassen? Was interessiert die Deutschen an ihrer Geschichte, wie wird sie in Szene gesetzt?“, möchte die ungarische Pastorin wissen, die an der Lutherischen Theologischen Universität in Budapest lehrt. Als ausgeglichen und ehrlich wertet sie nachher die Darstellung. „Auch die Geschichte der protestantischen Kirche im Nationalsozialismus fehlt nicht“, sagt sie und ist beeindruckt vom schlichten, aber klaren Resümee der Ausstellung. „Luther war ein Mönch, der an etwas glaubte, und das hatte eine Menge Konsequenzen.“
Diese Konsequenzen beschäftigen auch den Philosophen und Religionswissenschaftler Zhejun Yu von der Fudan Universität in Shanghai. Yu übersetzt Max Webers protestantische Ethik ins Chinesische und forscht über Religion und Öffentlichkeit. „Ich erlebe hier, wie sehr die Deutschen sich jenseits des Reformationsjubiläums über ihr ambivalentes Verhältnis zur Religion bewusst sind.“ Die Programmpunkte zum interreligiösen Dialog gefallen ihm deshalb am besten.
Übersetzung der Bibel in äthiopische Landessprachen
Pater Marco Tulio Martinez Salazar wundert sich nicht über die deutsche Diskussionsfreude. Für ihn hat sie mit dem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel durch die Reformation zu tun. Der Rektor der 1961 von Jesuiten gegründeten Universität Rafael Landívar in Guatemala meint, Luther habe die Diskussion über den Glauben etabliert, nachdem die katholische Kirche bis dahin eine Art Globalisierung des Glaubens verfolgt hatte. „Mit seiner Bibelübersetzung hat er gelehrt, alles in Frage zu stellen und auch das Lokale wieder zu berücksichtigen. Das ist heute sehr modern und stimmt mich nachdenklich.“
Abraham Mengesha Mitku schritt in dieser Hinsicht schon in Luthers Fußstapfen. Er hat sich in Äthiopien für die Übersetzung der Bibel in die wichtigsten lokalen Sprachen des Landes eingesetzt. Dafür habe man ihn heftig kritisiert und ihm vorgeworfen, er säe Zwietracht, wenn er die unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Identitäten in Äthiopien unterstütze. „Für mich ist das ganz im lutherischen Sinne: Vereint unter einem Kirchendach, braucht es aus Bildungsgründen regional spezifische Zugänge zur heiligen Schrift.“
Im Gespräch mit Feridun Zaimoglu
Am Abend beschäftigen sich die Gäste erneut intensiv mit der Person Luthers und seinem Leben als Verbannter – bei einer Lesung mit Feridun Zaimoglu. Der deutsche Schriftsteller hat mit „Evangelio“ einen Roman über Luthers Zeit auf der Wartburg vorgelegt. Ein Mensch mit Gefühlen und Gebrechen wird sichtbar – der Lesung folgt ein angeregtes Gespräch über Geschichte und Fiktion, Wahrheit und Lüge.
Marianne Wilson möchte wissen, was der Schriftsteller Menschen erwidere, die historische Fiktion irreführend finden. Zaimoglu antwortet, er glaube an eine bessere Lesbarkeit der Welt, wenn er das Leben in eine Geschichte übersetzt. Der Historiker und Archivar Thomas Şindilariu aus Rumänien gibt ihm schmunzelnd Recht. „Einzig sicher ist ohnehin nur die Zukunft, weil die Vergangenheit sich andauernd ändert“, sagt er und bedankt sich für die Lesung. „Sie haben mir Luther verdichtet.“