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Geteilte Geschichte

Wie kein anderes außereuropäisches Land hat Vietnam die deutsch-deutsche Geschichte begleitet.

Kurt de Swaaf, 22.06.2015

Als Phan Huy Thao im Dezember 1989 in die DDR reiste, erwartete ihn eine besondere Überraschung. Der damals 24-jährige Vietnamese kam zusammen mit neunzig Landsleuten als Vertragsarbeiter nach Ostberlin. „Wir erfuhren aber erst bei der Ankunft, dass die Mauer gefallen war“, sagt er. Deutschland und Europa befanden sich im Umbruch – und sie landeten mitten im Geschehen. Zunächst verlief noch alles nach Plan. Phan nahm seine Arbeit im VEB Kombinat für Herrenbekleidung „Fortschritt“ in Berlin auf. Dort vermittelte er zwischen vietnamesischen Arbeitern und deren deutschen Kollegen – als Dolmetscher.

Phan war einer von vielen. Über 60.000 Vietnamesen holte die Regierung der DDR zwischen 1980 und 1990 in ihre volkseigenen Betriebe (VEB). Sie sollten den zunehmenden Arbeitskräftemangel ausgleichen. Vietnam war ein „sozialistisches Bruderland“. Beide Staaten unterhielten schon lange enge Beziehungen. Als 1955 der Vietnamkrieg ausbrach, nahm die DDR aus Solidarität hunderte vietnamesischer Kinder auf. Die Jungen und Mädchen gingen zur Schule und bekamen eine Berufsausbildung. Den Schülern folgten Lehrlinge, Studenten und Wissenschaftler. Viele kehrten später als gut ausgebildete Erwachsene in ihre Heimat zurück und übernahmen wichtige Rollen in der vietnamesischen Gesellschaft, auch als Politiker und Unternehmer. Daraus entstanden Netzwerke, die bis heute Bestand haben. Die Bundesrepublik nahm vor allem nach dem Vietnamkrieg Tausende von Vietnamesen auf. Fast 40000 Menschen, darunter viele „Boat People“ und Kriegswaisen, die von deutschen Familien adoptiert wurden, fanden in West-Deutschland relativ unbürokratisch Aufnahme.

Die Geschichte von Phan Huy Thao ist noch nicht zu Ende erzählt. Denn er war bereits vorher schon einmal in der DDR. Phan Huy Thao kam 1982 zur Ausbildung und wurde in Chemnitz für das Fach Maschinenbautechnologie eingeschrieben. Nach seinem erfolgreichen Studienabschluss trat er Anfang 1988 die Heimreise an. Zwei Jahre lang arbeitete er in einem Textilkombinat in Hanoi. „Dann bekam ich ein Angebot als Vertragsarbeitnehmer, und habe angenommen. Es war der Beginn eines neuen Lebensabschnitts.“ Fünf Jahre lang sollte er ursprünglich in Ost-Berlin bleiben, aber der Zusammenbruch der DDR-Staatswirtschaft machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Schon nach drei Monaten bekamen Phan und seine Landsleute die Kündigung. In den ersten Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung kehrten die meisten Vertragsarbeiter nach Vietnam zurück. Sie bekamen 3000 D-Mark Entschädigung und die Reisekosten erstattet. Doch tausende andere blieben, darunter auch Phan Huy Thao. Er musste sich mit Arbeitslosenhilfe durchschlagen, bekam eine Umschulung und arbeitete anschließend für gemeinnützige Organisationen. Später heiratete er, gründete eine Familie, studierte berufsbegleitend Sozialarbeit und wurde in Berlin heimisch. Seit 2006 arbeitet Phan Huy Thao als Migrationsberater für den Verein „Reistrommel“ im Berliner Stadtteil Marzahn.

Seine Story ist beispielhaft. Denn kein anderes außereuropäisches Land hat die deutsch-deutsche Geschichte so intensiv begleitet wie Vietnam. „Heute noch leben in Deutschland etwa 120.000 Menschen vietnamesischen Ursprungs, rund 20.000 davon in Berlin“, sagt Phan Huy Thao. Sie gelten als eine der am besten integrierten Einwanderergruppen in Deutschland. Und weitere, vor allem Studenten, kommen hinzu. Durch den zunehmenden Fachkräftemangel suchen deutsche Organisationen sogar aktiv Vietnamesinnen und Vietnamesen, die sich zu Pflegefachkräften in Deutschland ausbilden lassen wollen.