Das Erfolgsrezept des Tohru Nakamura
Der Sternekoch verbindet in „Geisels Werneckhof“ in München die europäische und japanische Kochkunst.

Es ist ein fast unwirklich schöner Spätsommertag. Still und friedlich liegt die Werneckstraße da, ein Altmünchner Idyll zwischen der belebten Schwabinger Amüsiermeile und dem Englischen Garten. Wer die schmale Seitengasse entlang geht, ahnt nicht, dass sich hinter den spiegelnden Fensterscheiben des Hauses mit der Nummer 11 derzeit eines der angesagtesten Restaurants in ganz München verbirgt. Seit drei Jahren versetzt Küchenchef Tohru Nakamura die Gourmetwelt mit seinen Kreationen in Verzückung. Mit spielerischer Leichtigkeit hebe er Altbekanntes in neue Hemisphären, schwärmen Gastro-Kritiker. Selbst einem italienischen Klassiker wie dem Risotto hauche er eine japanische Seele ein. „Ja, das japanische Risotto“, sagt der in München aufgewachsene Sohn eines Japaners und einer Deutschen, er lächelt. Der mit Zutaten wie Sake und Misopaste neu komponierte Klassiker gehörte zu den Lieblingsgerichten des Küchenchefs, der alle sechs bis acht Wochen neue Menüfolgen kreiert. An diesem Vormittag sitzt Tohru Nakamura an einem gemütlichen Ecktisch im holzgetäfelten Gastraum und trinkt einen doppelten Espresso. Es ist spät geworden am Vortag, weit nach 22 Uhr gingen noch Bestellungen ein. Der 33-Jährige, in schwarzer Arbeitskleidung, wirkt dennoch entspannt und gelassen.
Dazu hat er auch allen Grund. Ein halbes Jahr nachdem Tohru Nakamura in „Geisels Werneckhof“ die Leitung übernommen hatte – es ist seine erste Stelle als Küchenchef – krönte Michelin seine Leistungen mit einem Stern. Der Gault Millau vergab im Jahr darauf 17 Punkte an den „Aufsteiger des Jahres 2014“ und das Magazin „Der Feinschmecker“ zeichnete ihn als „Koch des Jahres 2015“ aus. Eine rasante Karriere, die den jungen Sternekoch beflügelte. „Es ist natürlich eine große Chance, sich von Anfang an so präsentieren zu können und Gäste bekochen zu dürfen, die Vorstellungen vom guten Kochen haben und es auch wertschätzen“, stellt Nakamura fest. Auf der anderen Seite war da auch der unbedingte Wille, sofort alles zu zeigen, was er gelernt hatte und zwar möglichst auf einmal. „So entstanden sehr komplexe und komponentenreiche Gerichte.“ Inzwischen sehe er stärker das Gesamterlebnis. Und der Teamgedanke ist dem jungen Küchenchef wichtig. „Ich tue mich schwer, von meiner Küche oder meinem Stil zu sprechen“, betont er. „Das funktioniert nur im Verbund.“ Nach wie vor steht Tohru Nakamura mit in der Küche, filetiert Fisch oder rührt Risotto. „Niemand würde sehen, wer der Chef ist“, sagt er und lacht.
Die Begeisterung für das professionelle Kochen entwickelte er als 15-jähriger Praktikant bei der auch als Fernsehköchin bekannten Lèa Linster in Luxemburg. Nach der Ausbildung zum Koch schickte sein Lehrmeister, Sternekoch Martin Fauster, den talentierten Schüler auf Reisen und empfahl ihn weiter an renommierte Adressen im In- und Ausland, auch in Tokyo. Was er an seinem Beruf besonders schätzt, ist die Verbindung zwischen dem Handwerk, der auch körperlich fordernden Arbeit in der Küche, und dem kreativ-künstlerischen Prozess. Wochenlang feilen Tohru Nakamura und sein Team an der Zusammenstellung von Gerichten, die sich an den Jahreszeiten und den jeweils in höchster Qualität verfügbaren Produkten ausrichten. In diesen Tagen ist es wieder so weit. Noch passt die Gurkenvielfalt, die zu Blackmore Wagyu Pastrami, Tofu und Yuzu gereicht wird, bestens zum spätsommerlichen Flair, ebenso wie der gebeizte Toro mit Holunderblüte. Doch der Herbst steht schon vor der Tür. „Das ist wirklich immer wieder eine Herausforderung“, sagt der für seine Aroma-Offensiven gefeierte Sternekoch. Kein Produkt wird mehrfach verwendet und auch die Zubereitung der Fisch- und Fleischspeisen variiert innerhalb der Menüfolge.
Ideen holt sich der Küchenchef gerne im Garten. Geisels Werneckhof arbeitet mit zwei Gärtnereien zusammen, in deren Beeten japanische Kamo- und Aodaruma-Auberginen ebenso gedeihen wie Litschitomaten, Artischocken oder japanische Schlangengurken. Zweimal in der Woche verbringt Tohru Nakamura hier einige Stunden Zeit und sieht den Pflanzen beim Wachsen und Gedeihen zu. Im Sommer verlegte er den Restaurantbetrieb gleich ganz ins Grüne und bewirtete seine Gäste unter dem Motto „The Garden Table“ an einer langen Tafel im Gewächshaus. „Es ist sehr inspirierend zu beobachten, was gerade wächst, und sich zu überlegen, was wann wie besonders gut schmecken könnte“, erzählt er. „Aber natürlich spielen auch Erinnerungen an die Kindheit, an Gerichte, die man gerne gegessen hat, eine große Rolle bei der Ideenfindung.“
Die Einflüsse der japanischen Küche hat er schon als Kind verinnerlicht. „Selbst beim Würzen einer klassischen Hühnersuppe greife ich eher zu Sojasauce als zu Salz“, erzählt er. „In der Küche verbinde ich wie von selbst beide Welten miteinander, die europäische und die japanische.“ Die Eltern legten großen Wert auf eine gute Esskultur und gemeinsame Mahlzeiten. Mittags kochte die Mutter Hausmannkost, am Abend, während der Vater mit dem Sohn noch für die japanische Schule lernte, bereitete sie japanische Gerichte zu. „Dann gab es immer ein tolles Essen zur Belohnung.“ Selbst nach fünf langen Arbeitstagen in der Sterneküche kocht Tohru Nakamura, der mit einer Köchin verheiratet ist, auch an den Wochenenden leidenschaftlich gerne. „Das ist für mich Entspannung!“ Eine Portion klassisch gekochter Reis zählt für ihn bis heute zu den Gerichten, auf die er nicht verzichten kann. Und den isst inzwischen auch sein zweijähriger Sohn gerne mit. ▪