Zum Hauptinhalt springen

Von zerrissenen Fäden und neuen Verbindungen

Immer mehr israelische Modemacher setzen auf Berlin. Zieht sie nur die kreative Atmosphäre an – oder auch die eigene Geschichte?

14.03.2013
© Oded-Krni

Goldene Spiegel, moosgrüne Vorhänge und Kristallkaraffen – eine filmreife Ankleide für Männermode nach Maß. „Dandy of the Grotesque“ nennt Itamar Zechoval, 39, seinen Salon in Berlin. Seine deutsche Frau Nora von Nordenskjöld hat ihn entworfen, eine Innenarchitektin. Er wirkt wie aus einer Zeit, als Männer hier noch zu Frack, Zylinder und Kummerbund griffen. Und liegt günstig, nahe der Torstraße, in Berlin-Mitte, wo es heute viele Touristen hinzieht. Früher war die Gegend heruntergekommener Osten, nun Zentrum der Berliner Bohème, mit Cafés, Galerien und Boutiquen. Zechovals dunkle, romantische Mode tragen Marilyn Manson und Bela B., Sänger der deutschen Punkband „Die Ärzte“, aber auch die Angestellten des neuen Boutique-Hotels Stue am Tiergarten – von der Putzfrau bis zum Manager. „Meine Mode hat immer etwas Ironisch-Theatralisches. Kostümdesign reizt mich“, sagt der Sohn einer israelischen Künstlerin und eines Filmregisseurs, der in Ramat-Hasharon aufgewachsen ist.

Mit 21 hat Zechoval Mode in Mailand studiert, bei Dolce & Gabbana gearbeitet, dann in Shanghai gelebt. Nun entwirft er in Berlin. Was zieht einen israelischen Designer in eine Stadt, in der die Nationalsozialisten die „Endlösung“ beschlossen, die sechs Millionen Juden das Leben kostete? „Berlin nimmt dich sofort auf, ist lässig, günstig, voller Ideen und hat diesen Hauch Verfall. Ich erlebe hier die neuen Zwanziger“, schwärmt Zechoval. „Vielleicht bleibe ich nicht ewig“, sagt er. „Aber gerade fühlt es sich richtig an.“ Klingt unbeschwert. „Sicher, das erste Mal im Café in einem alten Gebäude war seltsam. Vor 75 Jahren hätte ich hier nicht gesessen“, gibt er zu. „Aber ich denke nicht jeden Tag daran, dass ich Israeli bin.“ Schwierig war anfangs nur: „Jemanden zu finden, der meine Entwürfe nähen kann.“

1930 hätte er kaum suchen müssen. Berlin war internationale Modestadt – und eine sehr jüdische dazu. 2000 Textilfirmen gab es. Die Hälfte gehörte deutschen Juden, auch drei der größten Kaufhäuser, Manheimer, Gerson, Nathan Israel, damals prächtig wie Harrods in London. Dann schalteten die Nazis die Branche gleich, zerstörten, was sie nicht an sich reißen konnten. Die Fäden von einst sind zerrissen. Wer heute aus Israel kommt, muss neu beginnen: Seit 2004 verkaufen nicht weniger als sieben israelische Modedesigner ihre Entwürfe in Berlin.

„Ich will nicht wissen, was war“, sagt Maya Bash, 34, „lieber glauben, dass alles heute anders ist.“ Wie Schuhdesignerin Shani Bar entwirft sie in Tel Aviv. Beide haben eine Boutique in Berlin. Manche Häuser hier erinnern Maya Bash an ihre Kindheit in Nowosibirsk: „Ich kam erst mit 12 nach Israel.“ Nun verkauft sie in Moskau, Tokio und New York. Doch ein Shop in Berlin, davon hat sie immer geträumt. Warum? Nostalgie, ein später Sieg über die Geschichte? Vielleicht auch das. Nur einmal hat sie geweint, am Sowjetischen Ehrenmal: „Mein Großvater war in der Roten Armee, hat gegen Hitler gekämpft und ist im Krieg gefallen.“ Als sie der Großmutter in Jerusalem Fotos zeigt, ist die nicht verbittert, vielmehr neugierig auf das junge Berlin: „Wer hätte gedacht, hat sie gesagt, dass meine Enkelin hier mal ein Geschäft hat?“ In Berlin leben will Bash nicht. Aber stolz ist sie: „Hier kann ich eine andere Seite Israels zeigen. Mode zeigt, wie man sich fühlt, sein möchte.“ Unfertig, verspielt, ironisch sind ihre Schnitte, edel, bequem die Stoffe: Seide und japanische Baumwolle. Jacken kosten 1000 Euro, Kleider 160 Euro. Wer kauft in ihrer Boutique am Kollwitzplatz, wo junge Familien, viele Besserverdiener wohnen? „Frauen um 45, auch Männer, meist aus der Architektur- und Kunstszene“, sagt sie. „Sie sind neugierig auf israelische Mode.“

Manche israelischen Designer reden gar nicht oder nur ungern über ihre Herkunft. Sie wollen keine Sonderrolle einnehmen. Andere sind da offener wie Einat Zinger Feiler aus Haifa, 34: „Berlin ist wie ein zweites Zuhause. Ich finde auch, kennt man Menschen auf der anderen Seite des Traumas, kann man es besser verarbeiten.“ In New York arbeitete sie als Fotografin, studierte in Berlin. Über Textildrucke kam sie zur Mode. „Hazelnut“ heißt ihr Label, das in Bernau und im Erzgebirge gefertigt wird. In der Oderberger Straße, im „Flagshipstore“, hängen ihre eleganten Kleider aus dunkler Wolle. „Für Israel viel zu warm“, erklärt Zinger.

„Dort gibt es auch keine Tradition, sich schick anzuziehen“, sagt Roey Vollman, 36. Früher war er Journalist bei Globes und Maariv. 2008 gab seine Frau Nait Rosenfelder ihr Label „Nait“ in Tel Aviv auf, zog mit ihm und dem sechs Monate alten Sohn nach Berlin-Kreuzberg. „Wir brauchten eine Pause von Israel, wollten als Marke und als Familie neu anfangen“, sagt Roey. „Eva & Bernard“ heißt ihr Label. Bewusst deutsch sollte es klingen – und gut. Natürlich spielte eine Rolle, dass die Großeltern seiner Frau aus Bayern und dem Schwarzwald kommen. „In Lahr hatte der Vater meiner Großmutter eine Leder- und Taschenfabrik“, sagt die 42-Jährige. Schon mit 18 wollte sie nach Deutschland. „Meine Großeltern sprachen Deutsch, lebten wie in Deutschland und kleideten sich so“, erzählt sie. „Meine Großmutter trug fast nur Kleider. Oft denke ich, ich würde für sie entwerfen.“ 1936 musste sie aus Deutschland fliehen.

Heute sagt ihr Mann: „Berlin gibt einem Designer das Wichtigste, was er braucht: Zeit“. Paris sei zu teuer: „Berlin ist ideal, sicher, ein Hafen, keine kranke Stadt.“ Also doch ein Sehnsuchtsort? Nur keine falsche Romantik. Für die Designer aus Tel Aviv zählt der Wirtschaftsstandort vor allem: „Wer in Israel bleibt, verkauft nur dort. Wir wollten raus aus der Nische.“ Doch Berlin hat auch Nachteile: „Wir sprechen die Sprache nicht, entwerfen hier, produzieren aber in Italien“, sagt Rosenfelder. Immerhin hat sie hier die Farbe entdeckt, für die neue Kollektion Quallen in Neonpink auf weiße Seide gedruckt, Stoffe in Beige, Blaugrün und Wüstenrot bestellt. „Ich brauchte im grauen Berliner Winter unbedingt Töne, die mich an die Küste von Eilat und ans Tote Meer erinnern. Die Mode ist eben wie unser Leben, ein großer Mischmasch.“ ▪

Viola Keeve