Naturschutz ohne Grenzen
Mit dem Kaza-Projekt im südlichen Afrika unterstützt Deutschland den Aufbau des weltgrößten Naturschutzgebietes.
Die Männer aus Deutschland knien auf dem staubigen Lehmboden, klatschen in die Hände und neigen demütig ihr Haupt – so verlangt es das Protokoll. Es ist bereits ihr zweiter Besuch bei Seiner Majestät Inyambo Yeta, dem Stammesoberhaupt der Lozi in Sambia. Sie erhoffen sich etwas Zeit für ihr Anliegen, wenigstens ein paar Minuten.
Philipp Göltenboth und Ralph Kadel sind mit einer Vision nach Afrika gereist, für die es sich zu knien lohnt: Es geht um nichts Geringeres als das größte Naturschutzgebiet der Erde. Über die Grenzen von fünf Staaten im südlichen Afrika hinweg soll es entstehen – auf einer Fläche von mehr als 440000 Quadratkilometern. Bezahlt wird das Projekt vor allem von der deutschen Regierung. Anfang 2012 ging es los. Hilfsgelder mussten koordiniert, Behörden und Stammesfürsten gewonnen werden – dafür sind Göltenboth und Kadel als Projektleiter für den World Wide Fund for Nature (WWF) und die deutsche KfW-Entwicklungsbank ins südliche Afrika gereist.
Zwei Millionen Euro bezahlt der WWF jedes Jahr für das Naturschutzprojekt, weitere 20 Millionen Euro hat das Bundesministerium für wirtschafliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Berlin bisher zugesagt. Seit Februar 2011 fließt das Geld über die KfW an das Zentralbüro des Parks in Botsuana. Kavango Zambezi Transfrontier Conservation Area (Kaza), so heißt das Schutzgebiet. Natürlich geht es dabei um Artenschutz, aber auch um mehr Wohlstand für die Menschen, die in der Region leben. Der Park würde die Grenzen zwischen Sambia, Botsuana und Namibia überwinden. Weite Teile des Schutzgebiets liegen außerdem im vom Bürgerkrieg gezeichneten Angola sowie in Simbabwe. Es gibt einfachere Weltregionen, um ein Naturschutzprojekt dieser Größe aufzuziehen.
„Das funktioniert nur, wenn wir uns die Menschen vor Ort ins Boot holen“, sagt Kadel und klopft sich im Zeremonienraum vor Yetas Palast den Staub von der Hose. Er denkt dabei an die Stammesführer, aber auch an die Bauern der Region. Die Bevölkerung am Naturschutz zu beteiligen – in Afrika ist das noch nicht sehr weit verbreitet. Nach altem Kolonialgesetz gehören Grund und Boden dem Staat, der Landbevölkerung bleibt die Pacht. Profit machen die örtlichen Behörden und Investoren aus dem Ausland. Safarigeschäfte und Bergbau bringen Geld. Von den Gewinnen sehen die Menschen auf dem Land kaum etwas: Oft müssen sie wildern, um zu überleben. Mit dem neuen Park soll sich dies in Zukunft ändern.
Um für dieses Ziel zu werben, sind Göltenboth und Kadel zu Yetas Palast gekommen, einem Backsteinhaus inmitten eines tropischen Gartens. Hinter der Tür öffnet sich ein gewölbeartiger Raum – der Konferenzsaal des Königs, mit Porträts sambischer Stammesführer an den hellblau getünchten Wänden. Bevor der König eintritt, verteilen sich die Männer um den Konferenztisch, die Frauen quetschen sich in die letzten Reihen. So will es die Tradition. Und so will es Yeta, der Platz nimmt, aus seinem Ohrensessel heraus mit gedämpfter Stimme feierlich das Wort an seine Gäste richtet und beginnt, von den Problemen der Region zu sprechen: „Viel zu oft tritt der Sambesi über die Ufer, Landwirtschaft ist kaum möglich. Die Felder können mein Volk nicht ernähren. Wir brauchen einen Ausweg aus der Armut.“ Er will sein Stammesgebiet daher zur ersten Schutzgemeinde Sambias erklären. Erleichterung auf den Gesichtern der Gäste.
Was der König eine Schutzgemeinde nennt, ist eine kleine politische Revolution, die vor allem der WWF seit Jahren vorantreibt. In sogenannten Conservancies sollen sich Dörfer in Selbstverwaltung zusammenschließen. König Yeta kann mit der Conservancy seinen Machtbereich vergrößern. Und es bringt Geld. Profitieren würden aber auch die kleinen Leute: Sie bekämen in den Conservancies das Recht, Land zu erwerben. Bauern könnten dann ganz legal nutzen, was auf ihrem Land lebt oder wächst, nach einer durch die Regierung festgelegten Jagd- und Einschlagsquote. Die Gemeinden dürften ihr Land sogar an Tourismusunternehmen verpachten oder Lizenzen an ausländische Safaribetreiber verkaufen. Wie so etwas funktionieren kann, sieht man in Namibia, wo es bereits Conservancies gibt. Dort führen Unternehmen fünf bis zehn Prozent ihres Umsatzes an die Gemeinden ab. Für die Conservancies in Namibia bedeutet das wirtschaftlichen Fortschritt: Während sie 1998 insgesamt nur 60000 Euro einnahmen, waren es 2009 bereits 3,5 Millionen Euro.
Eines der größten Probleme im Kaza-Projekt jedoch ist, wie Menschen und Wildtiere miteinander auskommen. Bestehende Schutzgebiete – 36 Nationalparks und viele Reservate – sind voneinander isoliert, getrennt durch dicht besiedelte Landstriche. Die Kaza-Landkarte ähnelt einem Flickenteppich, auf dem verarmte Bauern Vieh züchten und die karge Ernte ihrer Felder oft mühsam gegen Elefantenherden verteidigen.
„Gerade die haben sich mancherorts so stark vermehrt, dass sie gewaltige Flurschäden anrichten“, sagt der Elefantenforscher Michael Chase, der die beiden deutschen Naturschützer unterstützt. „Im Okavango-Delta in Botsuana gab es in den 70er-Jahren noch keinen Elefanten. Heute leben dort 60000.“ Weit mehr, als die Menschen und die Vegetation verkraften. Nachbarländer wie Angola dagegen haben viele Elefanten durch Landminen und Wilderei im Bürgerkrieg verloren – sie würden gern welche aufnehmen. Durch die Umverteilung würden Regionen im Kaza-Gebiet entlastet. Der Park wäre eine Schneise für die Tiere über die Landesgrenzen hinweg.
Bis es soweit ist, werden die Kaza-Gründer noch viel überwinden müssen: Die Rechtssysteme in den Staaten sind grundverschieden. Sambia etwa orientiert sich am Stammesrecht traditioneller Könige. Angola kämpft noch mit den Folgen des Bürgerkriegs, auch deshalb hat Naturschutz dort noch wenig Gewicht. Und dann ist da noch Simbabwe, wo die politische Situation schwierig und die Wilderei weit verbreitet ist. Die Mehrzahl der Projekte, die KfW und WWF unterstützen, beschränkt sich daher auf Sambia, Namibia und Botsuana. Doch auch dort gab es in der Anfangszeit Schwierigkeiten. In Botsuana sei in Gemeindeschutzgebiete zu schnell zu viel Geld geflossen, sagt Kadel. Die Zahlungen seien häufig in die falschen Taschen gewandert. „Lehrgeld“, sagt er. Es habe eben wenig Sinn, eine Rangerstation in den Busch zu bauen, ohne den Leuten zu zeigen, wie man sie instand hält.
Trotz aller Widrigkeiten scheint Kaza auf einem guten Weg zu sein: Im März 2012 wurde der Park eröffnet. Für Göltenboth und Kadel ist das ein gewaltiger Schritt. Das öde Savannenland der Lozi, dessen Felder heute der Sambesi überspült, könnte sich wieder mit Tieren füllen und Touristen anlocken. Und vielleicht, so hoffen die beiden Naturschützer, zählt eines Tages Yetas Stammesgebiet zu den schönsten und dabei am wenigsten entdeckten Reisezielen Sambias. ▪
Kirsten Milhahn