Auf die Zivilgesellschaft setzen
Das Thema Asyl beschäftigt Deutschland. Sozialpsychologe Harald Welzer über eine Debatte, die das gesellschaftliche Klima verändert.
Herr Welzer, Sie haben die Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen 2015 und 2016 und das gesellschaftliche Engagement für die Schutzsuchenden als „Sternstunde der Demokratie“ gelobt. In der Zwischenzeit gab es allerdings eine heftige Asyldebatte.
Unglücklicherweise ist es nach 2015 versäumt worden, das demokratische Engagement, das sich in der Flüchtlingshilfe äußerte, systematisch zu unterstützen. Stattdessen gab es eine andauernde Zuspitzung auf die Klage, es kämen zu viele Flüchtlinge, was eine Gefahr für unser Land darstelle. Insofern haben wir heute eine völlig andere Situation.
Was hat zu dieser Situation geführt?
Die Politik fühlte sich offenbar getrieben von der rechtspopulistischen AfD. Gleichzeitig gab es in der medialen und politischen Debatte fast eine Monothematisierung – es ging nur noch um Flüchtlinge und Migration. Das war das Thema, mit dem sich die Menschen hier in den vergangenen zweieinhalb Jahren konfrontiert sahen, obwohl es eigentlich noch ein paar andere Dinge gibt, die für dieses Land wichtig sind. Aus sozialpsychologischer Sicht muss man leider sagen, dass genau diese Monothematisierung Veränderung schafft. Menschen nehmen Themen anders wahr, wenn sie so kommuniziert werden wie derzeit die Asylfrage.
Es gab zuletzt auch viel Kritik an einer „vergifteten Sprache“, die in der Debatte verwendet werde. Sehen Sie darin ebenfalls einen Teil des Problems?
Sprache ist ein wesentlicher Faktor gesellschaftlichen Wandels. Alle Rechtspopulisten nutzen die Ausweitung des Sagbaren als erfolgreiche Strategie. Schlimm ist, wenn plötzlich auch im konventionellen Lager die Grenzen des Sagbaren überschritten werden, wie etwa mit dem Begriff „Asyltourismus“.
Was macht Ihnen Hoffnung?
Einiges. Seit ein paar Wochen gibt es in vielen deutschen Städten Demonstrationen, die auf die Seenotrettung als Recht pochen. Die Menschen wehren sich gegen die Kriminalisierung von Rettern und Helfern. Wir selbst starten jetzt gemeinsam mit anderen Organisationen die Kampagne „Nicht in meinem Namen“. Es gibt wahrscheinlich sehr viele Menschen, die mit dem Wechsel der Sprache und Programmatik nicht einverstanden sind, sich aber keiner Partei oder Organisation zuordnen können.
Sie setzen also auf die Zivilgesellschaft?
Auf wen denn sonst? Die Politik macht das, was die Zivilgesellschaft vorgibt. Die Mehrheit hat zu sehr geschwiegen in der jüngeren Zeit. Die anderen sind lauter und haben es geschafft, der Politik zu suggerieren, ihre Forderungen seien die wichtigen. Jetzt müssen die „Guten“ eben auch laut werden.
Harald Welzer ist Mitgründer und Direktor von Futurzwei – Stiftung Zukunftsfähigkeit und hat eine Professur für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg. Zuvor war er Direktor des Centers for Interdisciplinary Memory Research und Leiter verschiedener Projekte am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen (KWI).
Interview: Helen Sibum