Von Jakutsk nach Hamburg
Gemeinsam tanzen, gemeinsam Brücken bauen. Ein Blick nach Hamburg auf eine besondere Begegnung im Deutsch-Russischen Jahr des Jugendaustauschs.
Ungewohnte Klänge sind aus dem Foyer des Ernst-Deutsch-Theaters im Hamburger Norden zu vernehmen: Während auf der Straße Regentropfen prasseln, erklingen drinnen die rhythmischen, metallenen Klänge des Khomus, der Maultrommel aus der Republik Sacha (Jakutien) im fernen Osten Russlands.
Was sich hier abspielt, ist der Auftakt zu einer von rund 700 Jugendbegegnungen im Jahr des Deutsch-Russischen Jugendaustausches 2016/2017. Aus den vielen lebendigen Begegnungen hebt sich das Treffen der Gruppen aus Hamburg und Jakutsk hervor, nicht nur wegen der großen Distanz von fast 10.000 Kilometern zwischen den Städten an Elbe und Lena. Bemerkenswert ist auch das ambitionierte Ziel, das sich die Jugendlichen des Vereins „Tanzbrücke Hamburg“ und der inklusiven Theatergruppe „Kleiner Prinz“ aus Jakutsk gesteckt haben: Nach nur anderthalb Tagen Kennenlernzeit und wenigen, intensiven Probestunden wollen sie gemeinsam auf der Bühne stehen.
So klingt Russlands ferner Osten
„Es ist aufregend“, erzählt Mathias Burghardt, der Initiator des Projekts. Dabei ist es für den Hamburger Russisch- und Physiklehrer bei Weitem nicht der erste Austausch. Vor elf Jahren, sagt Burghardt, habe er in St. Petersburg die russische Tradition des festlichen Schuljahresabschlusses kennengelernt. Seitdem findet das „letzte Schulklingeln“ nach russischer Art jährlich auch in Hamburg statt – bei der diesjährigen elften Auflage mit einem besonderen Programm, das die geografische Weite Russlands spürbar werden lässt.
„St. Petersburg – Fenster nach Europa“ heißt das Stück, das die Jugendlichen der Tanzbrücke einstudiert haben und das auch die 60-jährige Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und St. Petersburg würdigt. Durch die Anwesenheit der jakutischen Gäste öffnet das Bühnenprogramm das Fenster des Austausches besonders weit: Die Tänze, die Klänge der Maultrommel, die Gesänge in jakutischer Sprache lassen Traditionen aus dem asiatischen Teil Russlands erlebbar werden.
In Berlin werden die beiden Gruppen ein weiteres Mal gemeinsam auf der Bühne stehen, wenn das Jahr des Deutsch-Russischen Jugendaustausches mit einem mehrtägigen Festival vom 13. bis zum 15. Juli endet.
„Eine große Chance“
„Für unsere Jugendlichen ist dieser Austausch eine große Chance“, erklärt die mitgereiste Leiterin der jakutischen Stiftung „Charyschal“, Vera Duschkewitsch. Die Stiftung fördert auch das inklusive Theaterprojekt. „Wir hatten einmal einen Auftritt in Moskau. Schon das war etwas Besonderes, aber dies hier wird die Gruppe noch einmal mehr zusammenschweißen.“ Die Vorfreude auf die Auftritte ist spürbar, doch bleibt den jakutischen Jugendlichen zwischen den Proben nur kurz Zeit, um über die noch ganz frischen ersten Eindrücke aus Hamburg und Deutschland zu berichten. Die 17-jährige Nastja ist beeindruckt von Hamburg. „Die Stadt ist sehr schön“, pflichtet ihr der 15-jährige Ruslan bei und lobt sogleich das deutsche System von Mülltrennung und Recycling. Die ersten Begegnungen mit den Austauschpartnern nennen die beiden „interessant“, aber auch „ungewöhnlich“.
Bei der Verständigung hilft die Tatsache, dass viele der Gastgeber ebenfalls Russisch sprechen – gegründet wurde die „Tanzbrücke“ 1997 als Verein, der insbesondere die Integration der Kinder russischsprachiger Einwanderer in Hamburg zum Ziel hatte. „Mittlerweile sind wir aber ziemlich breit aufgestellt, es sind auch Kinder dabei, die nur Deutsch können“, erklärt die 19-jährige Abiturientin Maria, geboren im russischen Kaliningrad, die seit neun Jahren in Deutschland wohnt und schon acht Jahre bei der Tanzbrücke aktiv ist. „Damals“, erinnert sich Maria an ihre erste Zeit in Hamburg, „hat der Verein mir bei der Integration sehr geholfen, war sozusagen meine erste Stütze hier.“
Inzwischen engagiert sich Maria selbst im Verein, der für sie eine Brücke zwischen alter und neuer Heimat ist, und gibt ihre Erfahrungen an eine neue Generation weiter. Dafür wurde sie an ihrer Schule mit einem Preis für soziales Engagement ausgezeichnet. „Bei uns“, so Maria, „gibt es ein wirkliches Brückenschlagen durch Kulturen. Mich hat das sehr verändert.“ Dann verabschiedet sie sich wieder auf die Bühne, wo sie weiter gemeinsam proben, Kinder und junge Erwachsene aus Europa und Asien, mit und ohne Behinderung, Deutsche, Russen, Hamburger und Jakuten.