Engere Partnerschaften
Es war ein deutliches Zeichen: In derselben Woche reisten Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz nach Afrika.
66 Namen sind es, die in weißer Schrift auf der schwarzen Grabtafel angebracht wurden. 66 Menschen, die im Februar 1906 in Songea im Süden Tansanias erst erhängt und dann geköpft wurden. Einige Meter vor dem Sammelgrab geht der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Knie und legt die um einen Trauerkranz gebundene schwarz-rot-goldene Schleife zurecht. Sein Kopf ist gesenkt, lange verharrt er an dem Grab.
Songea war einer der Hauptschauplätze des Maji-Maji-Krieges, in dem die damalige deutsche Kolonialmacht von 1905 bis 1907 einen Aufstand niederschlug, mit dem sich die Bevölkerung gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Zwangsarbeit und Folter wehrte. In der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika starben nach Schätzung Tansanias bis zu 300.000 Menschen. Es war einer der brutalsten Kriege des Kolonialzeitalters.
Steinmeier bittet Nachfahren der Opfer um Verzeihung
Anfang November 2023, beinahe 120 Jahre später, bittet Bundespräsident Steinmeier die Hinterbliebenen einiger Opfer um Verzeihung. „Ich verneige mich vor den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft. Und als deutscher Bundespräsident möchte ich um Verzeihung bitten für das, was Deutsche hier Ihren Vorfahren angetan haben“, sagt Steinmeier und bekommt dafür Beifall.
Auch wer in Deutschland mehr über deutsche Kolonialgeschichte wisse, müsse entsetzt sein über das Ausmaß der Grausamkeit, mit der die deutsche Kolonialbesatzung vorgegangen sei, sagt das deutsche Staatsoberhaupt. „Es beschämt mich.“ Dass er hierher eingeladen worden sei, sei „alles andere als eine Selbstverständlichkeit“, er sei zutiefst dankbar dafür.
Steinmeier verspricht Bereitschaft zur Aufarbeitung
Steinmeier betont, dass Deutschland bereit sei, diese Vergangenheit gemeinsam mit Tansania aufzuarbeiten. Deutschland sei auch zur Rückführung von Kulturgütern und menschlichen Überresten aus Museen bereit. Bereits seit einiger Zeit setzt sich die Bundesregierung verstärkt für die Aufarbeitung der deutschen kolonialen Vergangenheit ein – so wurden 2022 einige Benin-Bronzen an Nigeria zurückgegeben. Ein Jahr zuvor hatte Deutschland die Verbrechen an den Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama in Namibia als Völkermord anerkannt. Für die Nachfahren der Opfer des Maji-Maji-Krieges in Tansania ist die im Herbst 2023 erstmals vom Bundespräsidenten so deutlich ausgesprochene Entschuldigung Deutschlands ein wichtiges Symbol.
Ein weiteres Kapitel in den Beziehungen Deutschlands zu den afrikanischen Staaten schlägt Steinmeier einen Tag nach seinem Besuch in Tansania auf. Es reist nach Sambia – es ist der erste Staatsbesuch eines deutschen Staatsoberhaupts in dem afrikanischen Binnenland. In der Hauptstadt Lusaka besucht er unter anderem eine 2019 mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgebaute Berufsschule. Am Sambesi-Fluss informiert er sich anschließend über die dort zu spürenden Folgen des Klimawandels.
Steinmeier: Größere deutsche Aufmerksamkeit für Afrika
Zur gleichen Zeit wie Steinmeier ist auch Bundeskanzler Olaf Scholz in Afrika. Kurz vor Abflug des Bundespräsidenten nach Tansania brach er nach Nigeria und Ghana auf; Innenministerin Nancy Faeser besuchte in derselben Woche Marokko. Die Bundesregierung will die Beziehungen zu Ländern des Kontinents stärken.
Die Welt, wirtschaftliche Schwerpunkte, Märkte und Bündnisse veränderten sich, sagte Bundespräsident Steinmeier bei einem gemeinsamen Auftritt mit Sambias Staatspräsident Hakainde Hichilema in Lusaka. „Und das alles führt dazu, dass wir uns stärker jenseits unserer traditionellen Beziehungen auch um Regionen kümmern müssen und da sein müssen, wo sich Dinge tun, die vielleicht in der Vergangenheit etwas zu sehr außerhalb unseres Wahrnehmungsspektrums waren.“
Scholz in Nigeria und Ghana: Wirtschaft, Sicherheit und Migration
Für Bundeskanzler Scholz war sein Besuch in Nigeria und Ghana bereits die dritte große Afrika-Reise in seinen knapp zwei Jahren als Kanzler. Themen seiner Reise waren die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen, Kooperationen im Energiebereich, Stärkung der Sicherheit und Begrenzung der Migration. In der nigerianischen Hauptstadt Abuja traf Scholz Staatspräsident Bola Ahmed Tinubu. Nach dem gemeinsamen Gespräch betonte er, die bereits gute Kooperation vertiefen zu wollen. Im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sei bereits viel Potenzial da, „aber da geht noch mehr“, so Scholz. Im Jahr 2022 hat sich das deutsch-nigerianische Handelsvolumen bereits um 50 Prozent erhöht – von zwei auf drei Milliarden Euro. Auch bekräftigte der Kanzler, dass er das westafrikanische Nigeria als wichtigen Partner bei der Produktion von Wasserstoff und übergangsweise auch für den Bezug von Flüssiggas sieht.
Fachkräfteeinwanderung und Rückübernahmeabkommen
Beim Thema Migration sprachen Scholz und Tinubu über Möglichkeiten der Fachkräfteeinwanderung, aber auch über Menschen, die aus Deutschland nach Nigeria zurückkehren müssen. Es gehe darum, eine Rückführung von Menschen zu erleichtern, die kein Bleiberecht hätten, sagte Scholz. Gleichzeitig soll die Einwanderung von Fachkräften gefördert werden. Beides gehe „nur in enger Kooperation miteinander“. Auch im Bereich regionaler Sicherheit wollen Deutschland und Nigeria enger zusammenarbeiten. Demokratie und Resilienz der Staaten in der Region sollten gestärkt werden. Angesichts der wachsenden Bedrohung durch Terrorgruppen werde das immer wichtiger.
Enge Beziehungen zu Ghana
Auch in Ghana stand das Thema Sicherheit auf der Agenda von Bundeskanzler Scholz. Mit Blick auf die Lage im Sahelraum versicherten er und der ghanaische Staatspräsident Nana Akufo-Addo, dass sie gemeinsam alle Aktivitäten für Stabilität unterstützen. Die Beziehungen Deutschlands und Ghanas seien insgesamt eng, sagte Scholz: „Unsere Länder eint ein ähnlicher Blick auf die Welt“. Als Demokratien setzten sich beide Länder für eine regelbasierte Ordnung ein. Er sei daher der Auffassung, dass „afrikanische Staaten in internationalen Organisationen besser repräsentiert sein müssen und eine stärkere Stimme bekommen sollten.“
Es waren viele unterschiedliche Themen, die deutsche Politiker auf ihren Reisen im Gepäck hatten. Doch ob koloniales Erbe, Wirtschaft, Energie, Sicherheit oder Migration: Deutschland richtet seine Aufmerksamkeit auf Afrika und legt Wert darauf, die verschiedenen Bereiche gemeinsam und auf Augenhöhe mit den afrikanischen Partnern auszugestalten.
(mit dpa)