Auf nach Jamaika?
Vier Parteien wollen gemeinsam regieren. Wie kann das funktionieren? Das sagt der renommierte Politikwissenschaftler Thorsten Faas dazu.
Deutschland. In Sondierungsgesprächen suchen derzeit CDU, CSU, FDP und die Grünen nach Kompromissen, auf deren Basis sie die nächste Bundesregierung bilden können. Schwarz-Gelb-Grün – noch nie zuvor gab es im Bundestag eine sogenannte Jamaika-Koalition. Sie müsste große Gegensätze überbrücken. Professor Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, erklärt, warum Koalitionsregierungen in Deutschland Tradition haben.
In Deutschland sind Koalitionsregierungen die Regel – liegt das am Wahlsystem?
Wegen des Verhältniswahlsystems sind absolute Mehrheiten in Deutschland die große Ausnahme. Da es zudem keine politische Kultur für Minderheiten gibt, bleiben nur Koalitionsregierungen.
Derzeit verhandeln CDU, CSU, FDP und Grüne über die Bildung der nächsten Regierung. Eine Konstellation, die es im Bund bisher noch nie gab. Wer muss sich in den Verhandlungen am weitesten bewegen?
Eine geradezu klassische Regierung für Deutschland wäre ein Bündnis von CDU/CSU und FDP, wie wir es über viele Jahre und Jahrzehnte auch schon hatten. Insofern sind es die Grünen, die dieser alt bewährten Koalition zu einer neuen Mehrheit verhelfen würden. Sie müssten gewissermaßen die Seiten wechseln. Man darf aber auch nicht vergessen: Die letzte Koalition zwischen CDU/CSU und FDP 2009 bis 2013 war sehr schwierig, gerade für die FDP – das macht auch das Bündnis zwischen diesen Partnern dieses Mal deutlich schwieriger.
Kann eine Regierung, die sich auf viele Kompromisse gründet, erfolgreich sein? Welche Vor- und Nachteile haben Koalitionsregierungen?
Millionen Menschen machen in Demokratien Politik – am Ende stehen trotzdem einzelne Entscheidungen. Das geht nur über Kompromisse – sie sind ein Wesensmerkmal der Demokratie. Koalitionen machen das sehr deutlich, daher sollten wir ihnen nicht nur kritisch gegenüberstehen, sondern ihre Leistung wertschätzen.
Umfragen sagen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung eine schwarz-grün-gelbe „Jamaika“-Regierung befürwortet. Die Parteien haben zum Teil aber gegensätzliche Haltungen – wie passt das zusammen?
Die Zustimmung zu Jamaika ist sehr volatil. Vor der Wahl waren die Werte sehr negativ, dann schossen sie mangels Alternativen in die Höhe. Wir müssen lernen, mit diesen neuen Konstellationen umzugehen. Da betreten wir Neuland. Wir müssen auch lernen, dass Parteien und ihre Anhänger zu weitreichenden Kompromissen bereit sein müssen, sonst funktioniert es nicht.
Die Bundesrepublik Deutschland hatte bis in die 1980er-Jahre hinein ein Drei-Parteien-System. Im neuen Bundestag sind sieben Parteien vertreten, das gab es zuletzt in den 1950er-Jahren. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Großgruppen verlieren an Bindekraft, das Parteiensystem differenziert sich, die Repräsentation der Gesellschaft wird facettenreicher. Immer neue Parteien haben Chancen: Grüne, Linke, Piraten – und jetzt die AfD.
Interview: Janet Schayan