Der neue Weg
Auf dem 19. Parteitag hat China die Weichen für die Zukunft gestellt. Wohin führt der Weg? Und was bedeutet das für Deutschland? Ein Interview mit China-Experte Sebastian Heilmann.
Herr Heilmann, auf dem Parteitag der KP China wurden die Weichen für die nächsten fünf Jahre und darüber hinaus gestellt. Welche großen Entwicklungen zeichnen sich ab?
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping machte gleich in seiner Eröffnungsrede zum Parteitag deutlich, dass China zu einem Zentrum der Weltpolitik werden soll. Aus Xis Sicht
hat China eine historische Mission, die Zukunft zu gestalten und eine globale Führungsrolle zu übernehmen. Diese Strategie bedeutet eine Abkehr von der zurückhaltenden Außenpolitik Deng Xiaopings. China wird auf internationaler Bühne immer selbstbewusster auftreten, das ist sicher. Neu ist zum Beispiel, dass Xi das chinesische Entwicklungsmodell für andere aufstrebende Länder empfiehlt: Im Gegensatz zu den von politischen Konflikten und Reformstau geschwächten westlichen Demokratien wird Chinas autoritäres Regierungssystem als Garant für Wachstum und Stabilität präsentiert.
Welche Rolle spielt die KPC bei dieser Entwicklung?
Die sicherlich größte Veränderung ist Xis Bestreben, den Einfluss der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) auf lückenlos alle Lebensbereiche auszudehnen und die Arbeit von Partei- und Staatsorganen noch enger zu verzahnen. Auf dem Parteitag erklärte er die zentralisierte Kontrolle der Partei über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zur Voraussetzung dafür, dass China seine innen- und außenpolitischen Ziele erreicht. Eine Reihe konkreter Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass dies Wirklichkeit wird: Die Partei wird zum Beispiel ihre Präsenz in privaten, auch ausländischen, Unternehmen weiter ausdehnen. Was die Regierungsarbeit angeht, will Xi lokale Partei- und Staatsorgane mit ähnlichen Funktionen künftig zusammenführen.
Eines der ehrgeizigsten Programme der KPC besteht darin, ein neuartiges, lückenloses System der Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft mittels digitaler Technologien und Big Data aufzubauen. In diesem Bereich ist in China eine rasante Weiterentwicklung erkennbar, denn Regierung und Unternehmen investieren vehement und mit bereits sichtbaren Ergebnissen in Zukunftstechnologien. In der Wirtschaftsentwicklung setzt die Partei, das wurde sogar in ihre Statuten aufgenommen, künftig verstärkt auf qualitative und nicht länger nur quantitative Zielvorgaben. Es gibt keinen Zweifel: China will bei den Hochtechnologien zur weltweiten Konkurrenz aufschließen und in naher Zukunft in wichtigen Branchen zum Marktführer werden.
Partei- und Staatschef Xi Jinping wurde mit einer Machtfülle ausgestattet, wie es sie in der neueren Geschichte Chinas noch nicht gab. Was bedeutet das für die deutsche China-Politik?
Durch die Stärkung Xis gewinnen natürlich die Beziehungen zu seinem direkten Beraterumfeld immens an Bedeutung. Bei Kontakten auf Entscheiderebene gilt es, künftig nicht nur die Ministerien, sondern auch die Parteizentrale verstärkt in den Blick zu nehmen. Dreh- und Angelpunkte sind die sogenannten „Zentralen Führungsgruppen“, die Entscheidungen in der Parteizentrale vorbereiten. Diese haben in der Regel einen direkten Draht zu Xi. Einige der wichtigsten Führungsgruppen leitet Xi persönlich, zum Beispiel die für Wirtschaft und Finanzen, die für Cybersicherheit und Digitalisierung sowie die für die Militärreform und nationale Sicherheit.
In diesen Gremien sitzen viele von Xis wichtigsten Beratern, also Führungsfiguren, die es für die deutsche China-Diplomatie zu identifizieren gilt. Angesichts der von Xi mit Macht vorangetriebenen Digitalisierung und Vernetzung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens ist es zudem unverzichtbar, mit denen ins Gespräch zu kommen, die in der Industrie- und Digitalpolitik in Partei und Regierung eine Rolle spielen.
Ein Trend geht zu intensivierter politischer Aufsicht durch Parteiorgane. Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft?
Die derzeitige Entwicklung Chinas zu einer effizienten, aber autoritär gesteuerten Big-Data-Ökonomie stellt liberal-marktwirtschaftliche Systeme vor fundamentale Herausforderungen. Deutsche Unternehmen müssen jetzt genau hinschauen, wie sie angesichts der weitreichenden digitalen Kontrollmechanismen ihre Geschäfte in China künftig gestalten können. Nach den Vorgaben der chinesischen Regierung müssen sie sich einer strengen Cyber-Gesetzgebung unterwerfen und auch unternehmensinterne, wirtschaftlich kostbare und sensible Daten auf Anfrage von Regierungsstellen offenlegen. Auch einer Bewertung durch big-data-gestützte Rating-Systeme (Social Credit System), in denen Unternehmen und Individuen erfasst werden sollen, müssen sich ausländische Firmen in China stellen.
Wo liegen die Chancen, wo die Risiken?
Im beiderseitigen Handel stellt sich die Frage, ob digitale Großsysteme aus China ohne Einschränkungen importiert werden können, wenn womöglich Kontrollmechanismen schon in die Technik integriert wurden. Bereits heute werden in europäischen Funknetzen viele Komponenten aus China verwendet. Bei Investitionen und Technologie-Importen aus China wie übrigens auch aus anderen Ländern wird deshalb stets konsequent zu prüfen sein, ob sie mit europäischen Rechts- und Regulierungsstandards konform sind.
Bei digitalen Technologien und Anwendungen droht Europa wegen der dynamischen Entwicklung in China abgehängt zu werden. Andererseits birgt das wachsende globale Engagement Chinas – etwa über das Infrastrukturprojekt „Neue Seidenstraße“ – auch große Chancen für die hiesige Wirtschaft: In Ländern, in denen China im Rahmen der Initiative investiert, könnten mittel- und langfristig profitable Geschäftsmöglichkeiten auch für deutsche Unternehmen entstehen.
Sebastian Heilmann ist Gründungsdirektor des Mercator-Instituts für China Studien (Merics) in Berlin.
Interview: Martin Orth