Gestärkt aus der Krise hervorgehen
Lateinamerika und die Karibik wurden von der Corona-Pandemie hart getroffen. Lesen Sie hier, wie Deutschland Solidarität zeigt.
Humanitäre Hilfe, wissenschaftlicher Austausch, Dialog mit der Wirtschaft: Marian Schuegraf, Regionalbeauftragte für Lateinamerika und die Karibik im Auswärtigen Amt, spricht über die deutsche Unterstützung für die Region in der Corona-Pandemie.
Frau Schuegraf, Lateinamerika und die Karibik sind von der Corona-Pandemie besonders stark betroffen…
Ja, das stimmt: Die Länder der Region machen lediglich acht Prozent der Weltbevölkerung aus, aber auf sie entfallen ein Drittel der Todesfälle und ein Viertel der Infizierten. Als klar wurde, wie dramatisch die Lage ist, hat Deutschland umgehend mit konkreten Maßnahmen reagiert.
Wie sieht die Unterstützung genau aus?
Die Bundesregierung hat unter anderem erfahrene Virologinnen und Virologen der Schnell Einsetzbaren Expertengruppe Gesundheit (SEEG) in eine ganze Reihe von Ländern entsandt. Die Fachleute beraten zur Aufbau von Laborkapazitäten, zur Qualitätssicherung der Testergebnisse und zu Abläufen in den Krankenhäusern. Zudem bringen sie Testmaterial und Schutzausrüstung mit. Darüber hinaus hat Deutschland die humanitäre Hilfe für die Region auf 40 Millionen Euro verdoppelt. Als Auswärtiges Amt haben wir außerdem einen Pandemiedialog mit der Region aufgesetzt.
Worum geht es dabei?
Wir wollen auch mittel- und langfristig wissenschaftliche Erkenntnisse austauschen, damit daraus gesundheitspolitisches Handeln in den Partnerländern abgeleitet werden kann. Beim Pandemiedialog arbeiten wir mit einem Team spanischsprachiger Fachleute der Berliner Charité zusammen. Außerdem sind das Robert Koch-Institut und die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) beteiligt.
Wer sind die Ansprechpartner in der Region?
Vor allem die wissenschaftlichen Institute, mit denen die Expertinnen und Experten der Charité im Austausch stehen. Unsere Botschaften vermitteln darüber hinaus Kontakte in die politische Führung der Länder, etwa zu Wissenschafts- und Gesundheitsministerien. Wir wollen Erfahrungen teilen, beispielsweise zum Lockdown und zum Wiederhochfahren des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens nach einem Lockdown – daran ist die Region sehr interessiert.
Welche konkreten Ergebnisse hat dieser Austausch bereits gebracht?
Der mexikanische Außenminister hat uns beispielsweise gebeten, dem Land die deutsche Corona-Warn-App zur Verfügung zu stellen. Dazu haben wir ein Treffen für die Botschafterinnen und Botschafter Lateinamerikas in Berlin organisiert, auch mit SAP (einer der Entwickler). Die Möglichkeit einer Einführung der App wird in einigen Ländern der Region gerade geprüft.
Welche Rolle spielen die deutschen Auslandsvertretungen, über die Vermittlung von Regierungskontakten hinaus?
Die Auslandsvertretungen haben zu Beginn der Pandemie stark mitgewirkt an der Rückholaktion deutscher Staatsbürgerinnen und -bürger. Bei den Flügen wurden oft auch Menschen aus Ländern Lateinamerikas und der Karibik mitgenommen. Zudem haben wir die Mittel aufgestockt, mit denen die Auslandsvertretungen Kleinstprojekte finanzieren können. Für Peru und Guatemala wurde so beispielsweise Testmaterial beschafft, in El Salvador ein Krankenhaus unterstützt.
Neben den unmittelbaren Folgen für die Menschen und das Gesundheitssystem hat die Pandemie in der Region auch schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen. Kann Deutschland dazu beitragen, diese abzufedern?
Die Pandemie hat in Lateinamerika und der Karibik einen Wirtschafts- und Sozialschock ausgelöst, der bestehende Krisen verstärkt und die Region um 10 bis 20 Jahre zurückzuwerfen droht. Der IWF sagt ein negatives Wachstum von minus 8,14 Prozent voraus. Wir haben schon 2019 eine Lateinamerika-Karibik-Initiative ins Leben gerufen, die uns nun hilft, Unterstützung bei der Bewältigung dieser sozioökonomischen Herausforderungen zu organisieren. Im Juni haben wir eine Konferenz mit 26 Außenministerinnen und -ministern aus der Region abgehalten und diskutiert, was aus Sicht der Länder nötig und gewünscht ist. Insgesamt lautet unser Leitbild dabei „Build back better“: Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass die Region gestärkt aus der Krise hervorgeht.
Wie könnte das gelingen?
Zum Beispiel durch Kooperation in den Bereichen Klimaschutz, Digitalisierung oder soziale Inklusion. Im Rahmen der Konferenz gab es auch ein Gespräch mit deutschen Unternehmensvertreterinnen und -vertretern. Es ging darum, wie wir unsere Wirtschaftsbeziehungen beleben können und ob es beispielsweise Möglichkeiten für deutsche Firmen gibt, ihre Produktion vor Ort auf Schutzausrüstung und Medizintechnik umzustellen.
Welche Rolle spielt das Netzwerk Unidas in der Krise?
Unidas ist ein Netzwerk aus Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft, das sich für Chancengleichheit einsetzt. Wir haben es im Zuge der Lateinamerika-Karibik-Initiative gegründet, weil das Thema Frauen in der Region zentral ist. Nun sehen wir, dass die Pandemie die Situation der Frauen weiter verschärft: Sie erfahren mehr Gewalt und ihre beruflichen Chancen sind schlechter geworden. Viele Frauen arbeiten in Pflegeberufen und haben damit ein höheres Ansteckungsrisiko. Frauenhäuser mussten wegen der Pandemie schließen. Als Reaktion ermöglichen wir Erfahrungsaustausche und Webinare auf der Unidas-Plattform und organisieren finanzielle sowie ideelle Unterstützung durch Projekte.
Unabhängig von der Corona-Pandemie: Warum ist die Zusammenarbeit mit Lateinamerika und der Karibik so wichtig?
In Deutschland und Europa stehen oft die Konflikte in Nah- und Mittelost oder Migration aus Nachbarregionen im Fokus. Dabei benötigen wir gerade angesichts der zunehmenden Systemkonkurrenz zwischen den USA und China, zwischen demokratischen und autokratischen Systemen enge Beziehungen zu gleichgesinnten Partnerregionen. Lateinamerika und die Karibik sind die einzige Region weltweit, die überwiegend aus Demokratien besteht und unsere Werte teilt. Wir brauchen diese Länder als Freunde an unserer Seite.