„Der deutsche PEN ist gelebte Demokratie“
Von Autoren für Autoren: PEN-Vize Sascha Feuchert über sieben Jahrzehnte Kampf für Meinungsfreiheit
Als sich 1921 in London eine Schriftstellervereinigung gründete, wurde sie schnell unter dem schlichten Kürzel PEN bekannt. Schon fünf Jahre später zählte der Internationale PEN 25 Zentren in Europa. Während die Zeiten sich bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 verdüsterten, stießen in Südamerika und Asien viele neue Verbände hinzu. Heute gehören dem Internationalen PEN 146 Zentren an, die meisten von außerhalb Europas.
Die 1924 gegründete deutsche Sektion erlebte eine Geschichte von Uneinigkeit und Spaltungen. Gegen die Gleichschaltung und Umbenennung in "Union nationaler Schriftsteller" unter der nationalsozialistischen Diktatur stellten sich die aus Deutschland geflohenen Schriftsteller 1934 mit dem "P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland". Im Kalten Krieg spaltete sich PEN-Deutschland 1951 erneut. Die Wiedervereinigung der deutschen Schriftsteller aus Ost und West gelang nach heftigen Auseinandersetzungen erst Ende der 90er-Jahre.
Heute versteht sich die Vereinigung von Autorinnen und Autoren als "Anwalt des freien Wortes". Siebzig Jahre nach der Nachkriegsgründung der deutschen Sektion in Göttingen trifft sich PEN-Deutschland vom 26. bis 29. April erneut in der Universitätsstadt – zu Diskussionen über Willkürjustiz in Bangladesch, das Recht auf freie Meinungsäußerung und den Umgang mit der Neuen Rechten.
Sascha Feuchert war sechs Jahre lang Vizepräsident des deutschen PEN, ein Amt, das er jetzt aufgibt. Kurz vor Beginn der Veranstaltung unter dem Motto "Denken Sie Ihre Gedanken zu Ende!" blickt er im Gespräch mit der DW nicht nur zurück.
Vor 70 Jahren wurde in Göttingen das neue "P.E.N.-Centrum Deutschland" gegründet. Was hat der deutsche PEN seit 1948 erreicht?
PEN-Deutschland hat in diesen sieben Jahrzehnten vor allem sein Engagement für bedrohte und verfolgte Autoren weltweit massiv ausgebaut. Die Vereinigung ist eine kräftige Stimme für die Meinungsfreiheit geworden, die gerade für Kollegen, die sich selber nicht mehr wehren können, aktiv wird. Ich glaube, das ist das wichtigste Verdienst des PEN seit 1948.
Wie haben sich die Aufgaben in diesen sieben Jahrzehnten verändert?
Durch die steigende Bedrohung der Meinungsfreiheit weltweit hat sich das Aufgabenfeld stark erweitert. Die Medienrevolution hat jetzt auch andere Autoren wie Blogger in den Blick gerückt. Wenn Sie beispielsweise nach Bangladesch schauen, da sind Blogger sehr bedroht. Wir haben zurzeit zwei von ihnen in unserem Writers-in-Exile Programm, die Bloggerin und Aktivistin Arpita Roychoudhury, die über die Diskriminierung von Frauen, Kindern und Minderheiten schreibt, und den Dichter und Online-Aktivisten Zobaen Sondhi.
Was leistet dieses Programm?
Das Programm Writers-in-Exile gibt acht Autoren und Autorinnen die Möglichkeit, für bis zu drei Jahren in Deutschland im Exil zu leben, finanziert von der Bundesregierung und von der Stadt Darmstadt. Es ist innerhalb der Familie der PEN-Vereinigungen einzigartig, aufgelegt auch im Gedenken an die vielen Schriftsteller, die zwischen 1933 und 1945 Deutschland verlassen und im Exil leben mussten. Es ist damit auch eine Art Begleichung einer historischen Schuld, dass jetzt verfolgten Autoren in Deutschland geholfen werden kann. Dass sie bis zu drei Jahren hier eine Wohnung und ein Stipendium bekommen. Falls sie danach immer noch nicht in ihre Heimatländer zurückgehen können, helfen wir ihnen, hier Asyl zu beantragen.
Es gibt weltweit fast 150 Schriftstellervereinigungen. Was zeichnet – neben dem gerade angesprochenen Programm – die deutsche aus?
Wichtig wäre mir erstmal zu betonen, dass wir tatsächlich ein Teil dieser großen PEN-Familie sind. Wir sind sicherlich sehr stark engagiert in der Writers-in-Prison / Writers-in-Exile Arbeit. Aber das PEN-Zentrum in Deutschland hat in der Öffentlichkeit eine wirklich starke Position. Wir mischen uns als Autoren immer wieder in aktuelle gesellschaftliche Diskussionen ein. Das hat mit unserer Tradition zu tun. In Deutschland sind praktisch alle großen Autoren und Autorinnen Mitglieder des PEN. Und das verleiht natürlich unseren Äußerungen eine gewisse Schlagkraft. Man sieht wahrscheinlich gerade im Moment, in einer Zeit gesellschaftlicher Spaltung und Diskussion, dass es einer Stimme wie der des PEN bedarf.
Reporter ohne Grenzen hat vor wenigen Tagen den neuen Bericht zum Stand der Meinungsfreiheit in der Welt veröffentlicht, der belegt, dass sie besonders in Europa immer stärker gefährdet ist. Wie setzt sich der deutsche PEN konkret ein, um die Freiheit des Wortes zu verteidigen?
Prinzipiell ist unsere Arbeit durch verschiedene Aktionen gekennzeichnet. Das Wichtigste ist tatsächlich, den Autoren, die verfolgt werden, deren Meinungsfreiheit unterdrückt wird, eine Stimme zu verleihen. Oft passiert diese Unterdrückung und Verfolgung ja abseits einer breiteren öffentlichen Wahrnehmung, und unsere Aufgabe ist es, für diese Kollegen eben Öffentlichkeit herzustellen. Das zweite ist, dass wir mit den betroffenen Familien in Kontakt treten. Manchmal muss man auch finanziell helfen, weil die Angehörigen durch die Verhaftung eines Familienmitglieds auch wirtschaftlich arg in Bedrängnis geraten. Das dritte ist, dass wir natürlich auch versuchen, politischen Druck in Deutschland zu erzeugen. Das heißt, die Bundesregierung auf gewisse Fälle aufmerksam zu machen, damit auch auf diplomatischem Weg etwas für die Betroffenen getan wird.
Das letzte ist, dass wir mit den gefährdeten oder inhaftierten Kolleginnen und Kollegen in direkten Kontakt treten, sofern das möglich ist. Auch um ihnen zu signalisieren, dass sie nicht alleine sind. Sie sollen wissen: Es weiß jemand um dich, und wir kämpfen für dich. Das ist für sie oft eine enorm wichtige Botschaft. Wir wissen von Menschen, die das Gefängnis wieder verlassen konnten, wie bedeutsam gerade diese Solidaritätsbekundungen aus dem Ausland sind. Nebenbei bemerken dann auch die Gefängniswärter, dass da jemand zuschaut. Von türkischen Autoren etwa wissen wir, dass sich die Behandlung dann plötzlich verbessert hat.
Für wen engagieren Sie sich aktuell besonders?
Natürlich für die türkischen Kollegen. Es sind fast 150, die aktuell verfolgt werden oder im Gefängnis sitzen. Aber unsere große Sorge gilt im Augenblick auch Liu Xia in China, der Witwe von Liu Xiaobo, die Dichterin und Bildende Künstlerin ist. Sie steht immer noch unter Hausarrest, und es geht ihr überhaupt nicht gut. Es gab keinerlei Verfahren gegen sie. Lediglich die Tatsache, dass sie mit Liu Xiaobo verheiratet war, hat dazu geführt, dass sie so isoliert wird. Wir kämpfen sehr dafür, dass Liu Xia aus China ausreisen darf, was sie gerne möchte. Während unserer Tagung ist sie sehr präsent, weil wir ihr einen leeren Stuhl widmen, auf dem immer ihr Foto steht.
Wie das Liu Xiaobos während der Friedensnobelpreisverleihung 2010 in Oslo…
Ganz genau. Damit wir auch deutlich signalisieren: Sie ist immer bei uns, sie ist eine von uns, unser Ehrenmitglied.
Wie geht der PEN mit der Neuen Rechten um? Ich erinnere an die kürzliche Auseinandersetzung um das Thema Flüchtlingspolitik und Meinungsfreiheit zwischen dem Romanautor Uwe Tellkamp und dem Dichter Durs Grünbein. Engagiert sich der PEN?
Viele auf der Seite der Neuen Rechten tun so, als sei Widerspruch bereits Zensur. Dagegen muss man entschieden das Wort erheben. Wenn sich Uwe Tellkamp darüber beschwert, dass seine Meinung nur geduldet sei und nicht akzeptiert, dann kann ich ihm nur sagen: Wenn das ein Grund zur Beschwerde ist, dann hast du Meinungsfreiheit nicht richtig verstanden. Genau das sichert Meinungsfreiheit zu, dass man Meinungen duldet. Aber ich muss doch nicht alle Meinungen akzeptieren! Da für Klarheit in der Debatte zu sorgen, ist auch eine wichtige Aufgabe des PEN.
Welches waren in der 70-jährigen Geschichte die spektakulärsten Fälle, in denen sich der PEN für ein Mitglied einsetzen musste?
Das ist sehr schwer zu sagen. Die Kampagnen für Liu Xiaobo waren sehr bedeutend für uns, wie auch die Debatten, die es zur Wiedervereinigung der beiden PEN-Zentren, die erst 1998 vollzogen werden konnte, innerhalb des PEN gegeben hat. Wir haben uns immer massiv in die Diskussion eingemischt. Der PEN ist eine Stimme, die in allen politischen Konfliktzonen präsent ist und sich für die Freiheit des Wortes einsetzt..
Es gab ja auch aufsehenerregende Austritte aus dem PEN. Wer fällt Ihnen da spontan ein, und was waren die Gründe?
Herta Müller ist zum Beispiel ausgetreten, im Rahmen der Querelen um die Wiedervereinigung der beiden PEN-Zentren. Aber auch andere Autorinnen und Autoren sind damals ausgetreten, die eine Verfolgungserfahrung unter kommunistischen Regimen hatten und die nicht weiter in einem Verein sein wollten, in dem Mitglieder sind, bei denen sie den Verdacht hatten, dass sie möglicherweise diesen Regimen zu nahe gestanden haben. Die Vereinigungsdebatte des deutschen PEN war schon auch eine schmerzhafte. Andere Mitglieder treten aus, weil sie mit einzelnen Mehrheitspositionen innerhalb des PEN nicht einverstanden sind. Das kommt immer wieder vor, das ist gelebte Demokratie.
Günter Grass war Mitglied und bis an sein Lebensende Ehrenpräsident des PEN. Wer sonst noch hat die Vereinigung durch sein oder ihr großes Engagement geprägt?
Ganz sicher etwa Erich Kästner, aber besonders natürlich Heinrich Böll. Böll war nicht nur Präsident des deutschen PEN-Zentrums, sondern auch des Internationalen PEN. Er hat als führende Figur der deutschen Literatur auch die Geschichte des PEN nachhaltig geprägt, bis zu seinem Tod. Ansonsten ist der PEN wirklich Heimat für viele, viele prominente und große Autoren.
Sie geben nach sechs Jahren das Amt des Vizepräsidenten und die Verantwortung für das Writers-in-Prison Programm ab. Was empfinden Sie persönlich als den größten Misserfolg Ihrer Zeit als Vizepräsident?
Da gibt es leider viele Fälle, bei denen sich in meiner ganzen Amtszeit nichts bewegt hat, und wo die betroffenen Autoren weiter im Gefängnis sitzen. Ich denke beispielsweise an die vietnamesischen Kollegen, an deren Situation wir wenig ändern konnten, oder die vielen chinesischen Autoren und Autorinnen. Ein Problem ist auch: Man muss immer schauen, für wen es gut ist, wenn man öffentlich protestiert, und bei wem man eher diplomatische Kanäle bemühen sollte. Denn bei manchen kann öffentliches Engagement komplett kontraproduktiv wirken.
Was wünschen Sie dem PEN für die Zukunft?
Dass er weiterhin so eine gesellschaftlich relevante Stimme bleibt. Und dass er vielleicht noch ein bisschen mehr Druck erzeugt, damit all diese mutigen Kollegen in der deutschen Öffentlichkeit bekannt werden, die sich überall auf der Welt für die Meinungs- und die Kunstfreiheit einsetzen und dafür sogar ihr Leben riskieren.