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Austausch fürs Leben

Ehemalige Erasmus-Studierende erzählen, was ihnen Europa bedeutet. 2017 feiert das Austauschprogramm Erasmus sein 30-jähriges Bestehen.

Bettina Mittelstraß, 22.03.2017
© oneinchpunch/Fotolia - Exchange

60 Jahre Europa: Am 25. März 1957 unterzeichneten auf dem Kapitol in Rom die Staatschefs von Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Luxemburg Verträge, die als „Römische Verträge“ in die Geschichte eingingen. Sie besiegelten das Abkommen, künftig in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) zusammenzuarbeiten. Es war der erste Schritt auf dem Weg zur Gründung der Europäischen Union. 30 Jahre später wurde das europäische Austauschprogramm Erasmus (heute „Erasmus+“) ins Leben gerufen, mit dem bisher rund drei Millionen Studierende in Europa unterwegs waren – sechs Erasmus-Alumni berichten über ihre Erfahrungen und was das Stipendium für sie verändert hat.

Oliver Guist – „Europa für Frieden und Stabilität“

Maschinenbauer in Frankfurt am Main. 2014 mit Erasmus-Stipendium an der Ecole Central de Nantes, Frankreich

Als Oliver Guist zum Studieren nach Frankreich ging, wurde er herzlich empfangen. Das blieb ihm unvergesslich. Berührungsängste lösten sich auf und ein starkes Interesse für das Nachbarland und die Europäische Union wurden damals geweckt. „Ich bin überzeugt davon, dass wir mehr Europa und nicht stärkere Nationalstaaten brauchen“, sagt er. Für Oliver Guist ist die EU ein Konzept für Frieden und Stabilität und eine Chance für jeden – und das Erasmus-Programm der Motor. „Erasmus sorgt dafür, den Erfahrungsaustausch zwischen Ländern zu verbessern.“ Das sei das Ziel, sagt der überzeugte Europäer, „denn erst die Erfahrungen mit den anderen und ihren Eigenheiten lösen die Furcht vor dem Unbekannten auf“.

Oliver Guist

 

Janina Alisch – „Von Europa zur Weltbürgerschaft“

Soziologie-Studentin an der Universität Leipzig. 2016 mit Erasmus-Stipendium an der Universität in Trondheim, Norwegen

Janina Alisch interessiert sich sehr für die europäische Gesellschaft. Zur Zeit schreibt sie an der Universität Leipzig im Fach Soziologie an ihrer Bachelorarbeit über europäische Identität und dabei speziell über die Frage, welchen Einfluss das Erasmus-Programm darauf hat. 2016 reiste sie selbst mit einem Erasmus-Stipendium für ein Semester ins norwegische Trondheim. Ihre Sprachbarrieren lösten sich dort schnell: „Man hat sie einfach nicht mehr, wenn man an der Universität mit Kommilitonen drauflosredet.“ Ob Menschen eine europäische Identität ausbilden oder nicht, hat ihrer Meinung nach entscheidend mit Bildung zu tun. „Ein Grund mehr, europäische Bildungsprogramme wie Erasmus noch auszubauen“, sagt sie. Gerade erst bekam sie beispielsweise in Leipzig Besuch von Belgiern, die sie während des Auslandssemesters kennengelernt hat. „Das alles wäre ohne Erasmus nicht möglich.“ Mit ihren 21 Jahren ist Janina Alisch ganz selbstverständlich Weltbürgerin: „Unsere Welt ist global geworden. Ich finde es wichtig und richtig, dass Europa das Nationale ablöst – aber der nächste Schritt sollte sein, dass wir uns alle als Weltbürger fühlen.“

Janina Alisch

 

Bartosz Gruszka – „An Vielfalt gewöhnen“

Politikwissenschaftler, lebt in Tallinn, Estland. 2014 mit Erasmus-Stipendium an der Universität Wroclaw, Polen

„Ich begreife mich in erster Linie als Europäer. Als Sohn polnischer Einwanderer wuchs ich in Deutschland unter dem Einfluss mehrerer Kulturkreise zugleich auf. Im multikulturellen Ruhrgebiet verinnerlichte ich Toleranz und gegenseitigen Respekt als wichtigste Tugenden für ein friedliches Miteinander. Die Vielfalt Europas begreife ich angesichts einer zunehmend globalisierten Welt als unsere größte Stärke. Das Erasmus-Programm ist ein hervorragendes Instrument, mit dem sich die Integration in Europa auch in krisenhaften Zeiten vorantreiben lässt. Der grenzüberschreitende Austausch und die dadurch wachsende innereuropäische Verständigung sind das beste Mittel, um Vorurteile abzubauen und den Weg für ein geeintes Europa zu ebnen.“

Bartosz Gruszka

 

Bénédicte Savoy – „An Europa kommt man nicht vorbei“

Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Berlin. 1993 mit Erasmus-Stipendium an der Humboldt-Universität zu Berlin

Die Französin Bénédicte Savoy lernte als Erasmus-Stipendiatin Berlin nach dem Mauerfall kennen. Das war ein Schlüsselerlebnis. „Ich war jung, Berlin unglaublich aufregend und ich wollte nicht mehr weg“, erzählt sie. Der Erasmus-Aufenthalt in Berlin habe ihr Leben verändert. Heute lebt und lehrt die Kunsthistorikerin in Berlin und beschäftigt sich wissenschaftlich nicht nur mit deutsch-französischem Kulturtransfer, sondern auch mit global zirkulierender Kunst. Diese Verflechtung mit ihren Impulsen, die Begegnung und der Austausch mache uns erst zu Menschen, sagt sie, und müsse uns Anfang des 21. Jahrhunderts besonders interessieren. „An Europa und der Welt kommt man nicht vorbei.“ Gerade in Zeiten für sie unerträglicher Re-Nationalisierung ermutigt sie ihre Studentinnen und Studenten, mit dem Erasmus-Programm wichtige Erfahrungen von Grenzüberschreitungen zu machen. „Europa muss nicht nur als Idee, sondern auch als physischer Raum, den man mit dem (bewegten) Körper erfährt, wahrgenommen und lieb gewonnen werden.“

Bénédicte Savoy

 

Sophie Burkard – „Europa als normaler Zustand“

Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin in Münster. 2014 mit Erasmus-Stipendium an der Universität Málaga, Spanien

„Europa ist für mich ein ganz normaler Zustand, über den ich viele Jahre lang nicht nachgedacht habe. Selbstverständlich bezahle ich im Urlaub überall mit dem Euro, problemlos überschreite ich fast unsichtbare Grenzen ohne Kontrolle und völlig problemlos und wunderbar war es, einen Teil meines Studiums mit Erasmus an der spanischen Universität Málaga zu verbringen. Erst seit Menschen fordern, dass man Europa zurückfahren solle, wird mir hingegen bewusst, welche großartige Entwicklung dieses Zusammenwachsen genommen hat. Obwohl ich aus Spanien die andalusische Leichtigkeit mitgebracht habe, die sich dort in dem viel verwendeten Satz 'Mach Dir keine Sorgen' ausdrückt, mache ich mir heute etwas Sorgen um Europa. Der Ausstieg der Briten aus der EU hat mich überrascht. Aber ich glaube an die Institution Europa, dass sie sich langfristig mit meiner jungen Generation durchsetzt, und daran, dass der europäische Austausch ein völlig normaler Zustand wird.“

Sophie Burkard

 

Paula Sophie Prüßner – „Viel europäische Beweglichkeit“

Musikwissenschaftlerin und Archäologin in Münster. 2014 mit Erasmus-Stipendium an der Universität von Pavia, Italien

„Ich habe Europa immer als eine Einheit betrachtet und finde die gegenwärtigen politischen Umbrüche sehr schade. Die Beweglichkeit, die sich durch das Erasmus-Programm im europäischen Raum ergeben hat, finde ich sehr gewinnbringend – für mich persönlich und auf das Studium bezogen. Wenn man sich wie ich mit Musik und Archäologie beschäftigt, kommt man gar nicht umhin, eine grenzüberschreitende Perspektive einzunehmen. Ich wollte die italienische Kultur, eine andere Perspektive auf die Musikwissenschaft, eine andere universitäre Lehre kennenlernen und neue Quellen in einer anderen Sprache auswerten können. Ich wünsche mir sehr, dass diese Chance zur Mobilität noch viel mehr in Anspruch genommen wird. Viele Kontakte und Freundschaften aus meinem Italienaufenthalt pflege ich bis heute und der Austausch der Kulturen ist in meinem Alltagsleben sehr präsent. Die Herzlichkeit, Offenheit und das Wohlwollen der Menschen dort haben meine Sprachkompetenz zudem extrem verbessert – Erfahrungen, die ich ohne Erasmus nie gemacht hätte.“

Paula Sophie Prüßner

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