Eine besondere Nachbarschaft
Trotz einiger Meinungsverschiedenheiten sind sich Israel und die Europäische Union besonders nah.
Zumindest geografisch ist die Sache eindeutig: Israel liegt in Asien. Trotzdem nimmt das Land alljährlich am Eurovisionswettbewerb teil. Und nicht nur bei der Weltfußballvereinigung Fifa hat man Israel kurzerhand nach Europa verlegt – das Internationale Olympische Komitee und die Basketballorganisation Fiba sehen das ebenso.
Von engen Bindungen zeugen auch die nackten Zahlen der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Europäischen Union (EU) und Israel: Fast 35 Prozent der nach Israel eingeführten Importe stammen aus Europa. Mehr als 26 Prozent der israelischen Exportprodukte werden in die Europäische Union verkauft. Für Israel ist der große europäische Markt überlebenswichtig; zugleich ist Israel für die 28 Länder der Europäischen Union eines der wichtigsten Abnehmerländer in Nahost.
Es gibt ein Assoziierungsabkommen mit der EU und enge wissenschaftliche, kulturelle und technische Zusammenarbeit in vielen Feldern. Gemeinsame Forschungsprojekte florieren und mit vielen Ländern der europäischen Staatengemeinschaft findet ein reger Schüleraustausch statt. Seit dem Jahr 2000 ist Israel Mitglied der EUREKA-Forschungsinitiative, der Initiative für anwendungsnahe Forschung in Europa, die Industrie und Wissenschaft einen Rahmen für grenzüberschreitende Kooperationsprojekte bietet. In demselben Jahr erhielt Israel den Status eines COST-Kooperationsstaates. Die „Coopération européenne dans le domaine de la recherche scientifique et technique“ ist ein transdisziplinäres Netzwerk für die Koordination von national umgesetzten Forschungsaktivitäten in allen Bereichen der Wissenschaft und Technologie.
Als einziges nicht-europäisches Land ist Israel zudem vollständig in die Forschungsrahmenprogramme der Europäischen Union eingebunden. Und als in der Vergangenheit einige Stimmen vorschlugen, Israel für einen Friedensschluss mit den Palästinensern mit einer EU-Vollmitgliedschaft quasi zu belohnen, da gab es in Jerusalem jedenfalls keinen Widerspruch. Doch sowohl der Frieden wie auch die EU-Mitgliedschaft sind momentan noch Zukunftsmusik.
Heute ist es gerade der Nahostkonflikt, der immer wieder zu Reibereien zwischen Israel und der Europäischen Union führt. Da verlassen mal rechte israelische Parlamentarier die Knesset, weil EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in seiner Rede die schlechte Wasserversorgung der Palästinenser mit nicht ganz richtigen Zahlen untermauerte. Als die Europäische Union gemeinsam mit der Arabischen Liga jüngst die Bildung einer palästinensischen Einheitsregierung von Fatah und der islamistischen Hamas lobte, sah man sich im Außenministerium in Jerusalem zu einer offiziellen Beschwerde genötigt. Und die Israelis ärgern sich, dass Waren, die in israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland hergestellt wurden, im Rahmen des Assoziationsabkommens keine Vorzugsbehandlungen genießen. Die Einfuhr von Waren aus Siedlungen ist zwar unbeschränkt erlaubt, muss jedoch wie bei Einfuhren aus Drittländern verzollt werden. In Europa wiederum würden sich viele eine deutliche Kennzeichnungspflicht für eben jene Waren wünschen.
An den intensiven Verbindungen aber ändern die Meinungsverschiedenheiten nichts: Israel ist auch durch seine Teilnahme an der multilateralen Zusammenarbeit der EU mit ihren Partnern im Mittelmeerraum, zum Beispiel in der Union für das Mittelmeer (UfM), verbunden. Es ist das einzige multilaterale Forum, in dem Israel und arabische Staaten gemeinsam an einem Tisch sitzen. Israel ist auch in das Nachbarschaftskonzept der EU „Wider Europe“ einbezogen. Damit möchte die EU einen neuen Rahmen für die Beziehungen unter anderem zu den südlichen Mittelmeeranrainern schaffen. Ziel der Kooperation ist vor allem, die Stabilität an den Außengrenzen zu erhöhen und ihnen langfristig mehr Zugang in den europäischen Binnenmarkt zu eröffnen. Ein speziell auf Israel zugeschnittener Aktionsplan soll den Weg für eine weitere Intensivierung der Beziehungen zwischen Israel und der EU in verschiedenen Bereichen aufzeigen. ▪
Michael Borgstede