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Wo Grenzen verschwimmen

Von Frankfurt an der Oder ist es nur ein kurzer Spaziergang in die polnische Stadt Słubice. Was Europa bedeutet, kann man hier vielleicht am besten erspüren. Unterwegs mit internationalen Gästen.

Helen Sibum, 15.07.2016
© Markus Hornung - International guests

Unten am Oderstrand stehen Liegestühle und eine Leinwand, auf der am Abend das Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft zu sehen sein wird. Portugal gegen Wales. Auf dem Fußballplatz pflegt Europa dieser Tage die nationale Rivalität. Im richtigen Leben geht es meist deutlich partnerschaftlicher zu, lassen sich Grenzen gar nicht mehr klar abstecken. Das merken auch die internationalen Teilnehmer der Themenreise „Deutschland in Europa – europäisches Deutschland“, die im Rahmen des Besucherprogramms der Bundesrepublik Deutschland eine Woche in Berlin, Frankfurt am Main und Frankfurt an der Oder verbringen. Vertieft in ihre Gespräche, sind sie gerade über die Oderbrücke spaziert – und stehen unversehens auf polnischem Boden. Wären da nicht die polnischsprachigen Schilder und das große Banner der Stadt Słubice, man nähme kaum wahr, dass man soeben eine Landesgrenze überquert hat.

Krzysztof Wojciechowski ist schon viele Male über diese Brücke gegangen. Der 59-Jährige ist Verwaltungsdirektor des Collegium Polonicum, einer gemeinsamen Einrichtung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und der Adam-Mickiewicz-Universität im polnischen Posen. Anfang der 1990er-Jahre arbeitete Wojciechowski im Gründungsbüro der Viadrina, auf der anderen Seite des Flusses, später leitete er dort das Akademische Auslandsamt. Dass es heute ein deutsch-polnisches Universitätsprojekt gibt, eine kleine Bildungswelt an beiden Ufern des Flusses, sei damals kaum absehbar gewesen. „Vor 25 Jahren hätte ich nicht daran geglaubt“, sagt Wojciechowski, nachdem er seine Gäste auf die Aussichtsplattform des Collegium Polonicum geführt hat. „Es ist ein kleines Wunder.“

Wie geht es weiter nach dem Brexit?

Und tatsächlich: Von hier oben, mit dem Blick hinüber nach Frankfurt an der Oder und auf die Brücke, auf der unablässig Fußgänger, Autos und Linienbusse in beide Richtungen unterwegs sind, scheint Europa ganz nah. Omar Cabrera schaut nachdenklich über den Fluss zur deutschen Seite. Auch für den Journalisten aus El Salvador ist das Modell Europa interessant. „Als kleines Land bekommen wir natürlich häufig den Rat, Partnerschaften zu bilden.“ Bei bestimmten Themen gebe es auch in Zentralamerika bereits eine enge Zusammenarbeit. Und wenn er nach Honduras oder Guatemala reist, muss Cabrera nur noch seine Identifikationskarte vorzeigen, nicht mehr den Reisepass. Von einer so intensiven Vergemeinschaftung wie in Europa ist die Region jedoch weit entfernt.

Allerdings ist es ja auch nicht so, als sähe in der EU derzeit alles rosig aus. Gerade die Teilnehmer der Reise, deren Länder Beitrittskandidaten sind oder für die als junge Mitglieder noch Übergangsregelungen gelten, sind nach der Volksabstimmung für den Brexit, den Austritt Großbritanniens aus der EU, verunsichert. „Wir fragen uns, wie es jetzt weitergeht mit der europäischen Integration“, sagt die Journalistin Višnja Starešina aus Kroatien. Vera Didanovic, Expertin für Außenpolitik bei einer serbischen Wochenzeitung, nickt mit Nachdruck. Und auch Krzysztof Wojciechowski, der eben noch vom kleinen europäischen Wunder geschwärmt hat, gesteht mit Blick auf Europas Zukunft manche Sorge. Er erzählt von den Aufmärschen polnischer Nationalisten in jüngster Zeit und von der Flüchtlingskrise, die die Länder Europas vor große Herausforderungen stelle.

Einblick in eine Flüchtlingsunterkunft

 

Wie Deutschland mit dieser Herausforderung umgeht, hatten die Teilnehmer der Reise am Vortag erlebt. In Berlin trafen sie einen Vertreter des Bundesinnenministeriums, besuchten eine Flüchtlingsunterkunft, sprachen mit dem Leiter der Einrichtung, dem Bezirksbürgermeister, einer Vertreterin des örtlichen Jobcenters und einem freiwilligen Helfer. „Ich war erstaunt, wie viele verschiedene Stellen mit der Flüchtlingsfrage betraut sind“, sagt Fahad Alhomoudi. Der Jurist ist Leiter eines Thinktanks in Saudi-Arabien. Es ärgert ihn, dass es oft heißt, die Golfstaaten nähmen keine Flüchtlinge auf. Allein in Saudi-Arabien lebten wahrscheinlich mehr Syrer als in Deutschland, sagt Alhomoudi, aber es gebe keine organisierte Versorgung. „In Saudi-Arabien kümmert sich die syrische Gemeinschaft um die Flüchtlinge, in Deutschland die Regierung.“ Für die beiden Länder mit ihren unterschiedlichen Sprachen, Gesellschaften und Arbeitsmärkten sei die Lösung jeweils die richtige, findet Alhomoudi. Die Situation lasse sich nicht vergleichen.

Die EU als Hort der Zusammenarbeit findet er dennoch spannend. Eine Blaupause für die Kooperation der Golfstaaten könne sie aber nicht sein. Die Einführung einer gemeinsamen Währung beispielsweise wurde dort lange Zeit angestrebt, schließlich aber verworfen. In anderen Bereichen arbeiten die Staaten der Region über den Golf-Kooperationsrat eng zusammen. „Das betrifft vor allem die Außen- und Verteidigungspolitik und die Wirtschaft.“ Auch in der Hochschulkooperation tue sich einiges, sagt Alhomoudi, der das saudi-arabische Bildungsministerium berät. „Die Anerkennung von Studienleistungen innerhalb der Golfstaaten etwa ist klar und einfach geregelt.“ Mit ihrem grenzüberschreitenden Lernen seien Europa und Frankfurt an der Oder für ihn gar nicht weit weg.

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