„Eine wahre Sternstunde für Europa“
20 Jahre EU-Osterweiterung: Deutschland und Polen sind gute Nachbarn geworden.
„Mit dem EU-Beitritt Polens ist wieder zusammengewachsen, was der Eiserne Vorhang künstlich getrennt hat. Polen ist ins Herz Europas zurückgekehrt – eine wahre Sternstunde für Europa“, sagt Dietmar Nietan, Polenbeauftragter der Bundesregierung. „Vor fast genau 20 Jahren, am 1. Mai 2004, stand ich inmitten einer euphorischen Menschenmenge auf der Oderbrücke zwischen Frankfurt/Oder und Słubice. Pünktlich um Mitternacht öffneten der damalige Außenminister Joschka Fischer und sein polnischer Amtskollege Włodzimierz Cimoszewicz die Grenze zwischen Polen und Deutschland. Ich war damals als Bundestagsabgeordnete nach Frankfurt gereist, um den historischen Moment selbst mitzuerleben“, erzählt Anna Lührmann, Staatsministerin im Auswärtigen Amt auf der Seite der Böll-Stiftung. Noch in derselben Nacht überquerten Hunderte Menschen die Oderbrücke zwischen Deutschland und Polen in beide Richtungen und nutzten so erstmals das Recht des freien Personenverkehrs. Seit der EU-Erweiterung gilt die Teilung Europas – rund 15 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs – endgültig als überwunden.
Der sogenannte Eiserne Vorhang, die stark befestigte und abgeriegelte Grenze zwischen den kommunistischen Staaten im Osten und den Demokratien im Westen, hatte Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs mehr als ein halbes Jahrhundert lang geteilt. Erst 1989 wurden infolge des starken Freiheitsstrebens im Osten die Grenzen geöffnet. Für die neuen Mitgliedsstaaten aus dem ehemaligen kommunistischen Teil Europas war der Schritt in die EU ein symbolträchtiger Abschluss ihres Kampfes für Freiheit und Demokratie. „Das ist auch der Verdienst der Polinnen und Polen selbst – sie haben mit der Solidarność-Bewegung entscheidend dazu beigetragen, den Eisernen Vorhang zu Fall zu bringen“, sagt Nietan.
Zehn Staaten traten am 1. Mai der EU bei: Neben Polen die ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen, außerdem Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Slowenien sowie Malta und Zypern. Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder – und gewann fast 75 Millionen neue Bürgerinnen und Bürger dazu. Etwa die Hälfte von ihnen lebte in Polen. Ein Jahr zuvor hatten sie in einer Volksabstimmung mit 77 Prozent für den Beitritt votiert. Auch der Bundestag hatte darüber abgestimmt: Am 3. Juli 2003 befürworteten die deutschen Abgeordneten nahezu einstimmig die EU-Erweiterung.
Gleich welchen Europakurs die unterschiedlichen Regierungen in Polen steuerten, die Zustimmung zur EU fiel in der Bevölkerung nie unter 80 Prozent. „Der Beitritt Polens zur EU zeigt für mich auch klar: Am Ende kommt es immer auf das Volk, auf die Menschen an, gegen die sich auf Dauer keine Regierung, kein Machtapparat stellen kann“, sagt Nietan: „Für mich gilt es deswegen, dass wir jetzt genau hinschauen müssen, wie wir die beiden großen Pfeiler der bilateralen Beziehungen – die Zivilgesellschaft und Grenzregionen – noch näher zueinander bringen, noch enger miteinander verknüpfen können.“
Gefeiert wird der Jahrestag der Erweiterung auch: Gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und Partnerinnen und Partnern aus Deutschland, Polen und Tschechien lädt die Vertretung der EU-Kommission am 27. April zu einem Europafest ein. Der Ort der Feier ist gut gewählt: es ist der Dreiländerpunkt bei Zittau in Sachsen, wo Deutschland, Polen und Tschechien aneinandergrenzen. Eröffnet wird das Fest von den drei Bürgermeistern des Städteverbunds Zittau, Bogatynia und Hrádek nad Nisou – vor 20 Jahren hätte man sich trotz allem Optimismus solche Verbünde wohl kaum vorstellen können. Dabei geht es in diesem Jahr nicht nur ums Feiern: Zwischen dem 6. und 9. Juni ist Europawahl. Polenbeauftragter Dietmar Nietan: „Auch 2024 ist ein Jahr wichtiger Weichenstellungen in Europa. Polen hat in unserem Europa politisch, wirtschaftlich und militärisch ein starkes Gewicht. Gemeinsam mit Polen und Frankreich als Weimarer Dreieck machen wir uns für die Ukraine und die Sicherheit der Nato-Ostflanke stark. Mit unseren polnischen Partnern kehren wir wieder zu einem engen freundschaftlichen und nachbarschaftlichen Verhältnis zurück.“