Eine ungewisse Zukunft
Ob in Marokko oder in Ägypten: Durch die Corona-Krise steht die Entwicklungszusammenarbeit vor ganz neuen Herausforderungen.
Die Straßen sind so gut wie ausgestorben und vor die Haustür darf man nur, wenn man eine staatliche Erlaubnis hat. Marokko ist durch die Corona-Krise weitgehend lahm gelegt. Der Tourismus, von dem hier viele Menschen leben, ist vollständig zum Erliegen gekommen, seitdem der Flug- und Fährverkehr eingestellt wurde. Nicht viel anders sieht es in Ägypten aus. Dort gilt die allgemeine Ausgangssperre zwar nur nachts, trotzdem ist das öffentliche Leben durch die Schließung von Bildungseinrichtungen, Versammlungsorten und der Gastronomie stark eingeschränkt. Zusätzlich verschärfte die Regierung die Reiseeinschränkungen innerhalb des Landes.
Die Strände in der Touristenhochburg Hurghada sind deshalb wie leergefegt. Dabei hatten die Betreiber sogar mit einem Anstieg an Urlaubern in diesem Jahr gerechnet – insbesondere aus Deutschland und Russland. Doch die Buchungen blieben aus. Experten gehen für Marokko und Ägypten von Umsatzeinbußen in Milliardenhöhe aus. Nun könnte vor allem die Entwicklungszusammenarbeit dazu beitragen, alternative Geschäftsmodelle zu fördern. Doch auch sie kann ihrem Auftrag während der Pandemie kaum nachkommen.
Der menschliche Kontakt steht im Fokus
„Unser Geschäft ist der menschliche Kontakt“, sagt Jens Kutscher, Leiter für wissenschaftliche Dienste und Kommunikation des Euro-Mediterran-Arabischen Ländervereins (EMA). „Wir schauen uns vor Ort an, mit wem wir zusammen arbeiten. Wir müssen die Firmen, Büros und Produktionsstätten in Augenschein nehmen und Vertrauen zu den Menschen aufbauen. Das lässt sich nicht alles ins Digitale übertragen.“ Die Aufgabe der EMA sei es, Menschen, Unternehmen und Märkte miteinander zu verbinden. Als Länderverein der deutschen Wirtschaft setzt sie sich für den Ausbau der wirtschaftlichen Kooperation und Völkerverständigung zwischen Deutschland, Europa und der Mittelmeer- und Nahostregion ein.
Doch durch die Corona-Krise können keine Foren, Veranstaltungen oder Delegationsreisen mehr stattfinden, so bricht ein großer Teil der täglichen Arbeit weg. „Meine aktuelle Arbeit besteht hauptsächlich aus der Erstellung von Marktanalysen, Länderberichten und Studien. Den Sommer nutzen wir dann vermehrt, um mögliche Veranstaltungen für den Herbst und Winter vorzubereiten“, sagt Kutscher.
Genau mit dieser Vorbereitung hat Abdelmajid Layadi aus dem marokkanischen Rabat Schwierigkeiten. Als Langzeitexperte arbeitet er an einem Projekt, das die Verbandsstrukturen in Marokko aufbauen und verbessern soll. „Wenn unsere Partner Probleme haben, beispielweise mit der Bestellung von Waren, dann können wir ihnen momentan keine richtigen Lösungen anbieten. Wir wissen nicht, wann der Lockdown endet und wie die Zukunft aussehen wird“, erklärt der Experte. Planungen seien daher sehr schwierig. „Recherchearbeiten, zum Beispiel über neue Lieferketten, können sich über Wochen ziehen. Wenn aber der Lockdown nur für vier Wochen angedacht ist und sich das Land dann eventuell wieder öffnet, gibt es wieder ganz neue Möglichkeiten und die Recherche war umsonst“, sagt Layadi.
Dass die Maßnahmen immer wieder verlängert werden, macht die Sache nicht einfacher. Er könne maximal eine Woche im Voraus planen, sagt Layadi. Das mache in der Entwicklungszusammenarbeit kaum Sinn. „Der Prozess von der Konzepterstellung bis zur Bewilligung von Geldern kann Monate dauern. Bis dahin sieht die Lage schon wieder ganz anders aus.“
Die Hoffnungen ruhen jetzt auf dem Herbst
Glücklicherweise ruht die Arbeit in den arabischen Ländern traditionell während des Ramadans weitestgehend. Auch in den Sommermonaten gibt es erfahrungsgemäß wenige Veranstaltungen. „Wir haben das Sommerloch einfach vorgezogen und hoffen, dass wir die Krise bis zum Herbst soweit ausgestanden haben und dass wir unserer Arbeit dann wieder wie zuvor nachkommen können“, sagt Kutscher.
Bis dahin hat die EMA sich ein neues Format ausgedacht, um Menschen über die Lage in den arabischen Ländern zu informieren. „Wir haben eine neue Serie gelauncht, die nennt sich EMA-Expert Talk“, sagt Kutscher. Dort geben Mitarbeiter der EMA Einblicke in den Alltag verschiedener arabischer Länder während der Corona-Krise und führen Experteninterviews mit Politikern, Gesellschaftern und Personen aus der Wirtschaft. „Das möchten wir mit unserem Netzwerk teilen“, sagt der Kommunikationsleiter.
Ob das Herbstgeschäft in der Entwicklungszusammenarbeit unter den aktuellen Umständen wieder stattfinden kann, ist noch ungewiss. Layadi ist sich jedoch sicher: „Die Zukunft wird ganz anders aussehen als die Vergangenheit – und niemand weiß, wann sie anfängt. Deshalb sollten wir nicht warten, sondern jetzt nach neuen Strukturen und Lösungen suchen, die wir auch nach der Krise weiter nutzen können.“