Zum Hauptinhalt springen

„Raus aus der Komfortzone“

Shada Islam vom Thinktank „Friends of Europe“ streitet für die Zukunft Europas. Sie weiß, wie man erfolgreicher für die europäische Idee werben könnte. 

31.01.2018
Pro Europa: Shada Islam ist Leiterin für Europa und Geopolitik beim Brüsseler Thinktank „Friends of Europe“
© Gleamlight

Shada Islam ist Leiterin für Europa und Geopolitik beim Brüsseler Thinktank „Friends of Europe“. Die Zeitung „Politico“ zählt die aus Pakistan stammende frühere Journalistin zu den „20 Frauen, die Brüssel prägen“. Im Interview spricht Shada Islam über ihre Leidenschaft für Europa und Deutschlands Verantwortung.

Frau Islam, bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 forderte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck, Deutschland solle mehr internationale Verantwortung übernehmen. Ist Deutschland aus Ihrer Sicht seitdem aktiver geworden?

Wie groß auch immer die Skepsis vor der Rolle als Global Player in Deutschland sein mag – Tatsache ist, dass Deutschland eine Machtposition hat. Es wird auf der Weltbühne groß gehandelt, sowohl als führendes Mitglied der Europäischen Union als auch in seiner nationalen Rolle. Ich weiß, dass es in Deutschland eine große Zurückhaltung gibt, und ich respektiere das. Aber wenn in Europa Entscheidungen getroffen werden müssen, sowohl in europäischen als auch in globalen Fragen, war Deutschland immer eine wichtige Stimme und wird es weiterhin sein.   

An welche Entscheidungen denken Sie?

Da gibt es viele: Bei der Flüchtlingspolitik hat Deutschland die Führung übernommen. In der Eurokrise ebenfalls. Gerade warten alle auf Deutschlands Antwort auf die französischen Vorschläge zur Zukunft der EU. Bei den Brexit-Verhandlungen ist Deutschland einer der entscheidenden Gesprächspartner. Auch auf der internationalen Bühne gilt Deutschland als zentraler Akteur, etwa in den Verhandlungen mit dem Iran. Wenn es um Russland geht, werden keine Entscheidungen ohne Deutschland getroffen. In vielen asiatischen und afrikanischen Ländern gilt es ohnehin als die Stimme Europas. Deutschland spielt eine Schlüsselrolle – ob es den Deutschen nun gefällt oder nicht.  

Wir haben das nationalistische Spiel schon gespielt und sind daraus klüger geworden.
Shada Islam, Thinktank „Friends of Europe“

Trotzdem heißt es derzeit oft, Deutschlands Position in Europa werde schwächer, vor allem im Vergleich zu Frankreich mit seinem dynamischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Als ich noch Journalistin war, zählte jeder Tag. Einen Tag war Europa am Boden, am nächsten Tag stand es wieder hoch im Kurs. Als Analytikerin meine ich, wir müssen eher das große Ganze betrachten. Klar, Macron ist ein junger, energiegeladener Hoffnungsträger. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen regiert seit vielen Jahren. Jeder respektiert sie, aber sie hat nicht das Charisma eines „new kid on the block“. Sie mag ein bisschen müde sein und er voller Tatendrang, aber ich lasse mich von kurzzeitigen Trends nicht mehr mitreißen. Ich glaube eher an das Gesamtprofil und die Stärke eines Landes.

Der Thinktank, für den Sie arbeiten, heißt „Friends of Europe”. Nun haben es die Freunde Europas heute recht schwer. Wie kann das Werben für Europa erfolgreich sein?

Zunächst mal möchte ich betonen, dass wir nicht „Freunde der EU“ heißen, wir machen da eine klare Unterscheidung. Wir sind starke Befürworter eines Vereinten Europas, eines starken Europas auf der Weltbühne, das eng verbunden ist mit seinen Bürgern und auf ihre Bedürfnisse eingeht. Aber wir sind sehr kritisch gegenüber den Brüsseler Institutionen. Wir fordern sie auf, proaktiv zu sein statt nur zu schwafeln. Außerdem brauchen wir ein besseres Narrativ zur europäischen Identität. Europa hat so viele Stärken und kann so viele Lehren teilen, aber es übernimmt diese Rolle einfach nicht. Bei internationalen Konferenzen höre ich im Moment viel Gerede von nationaler und territorialer Souveränität. Wir Europäer sind die einzigen, die von Partnerschaft und Zusammenarbeit sprechen. Wir haben das nationalistische Spiel schon gespielt und sind daraus klüger geworden.

Ob ich nun aussehe wie eine Europäerin oder nicht – ich bin eine.
Shada Islam, Thinktank „Friends of Europe“

Es gibt seit einiger Zeit viel zivilgesellschaftliches Engagement für Europa, etwa durch „Pulse of Europe”. Können diese Initiativen etwas bewirken?

Auf jeden Fall. Für mich sind sie die bedeutendste Entwicklung der vergangenen Jahre. Sie sind extrem wichtig, Menschen wie dich und mich dazu zu bringen aufzustehen und wahrgenommen zu werden. Wir haben das nach dem Brexit-Votum unter den jungen Briten gesehen, wir sehen es bei „Pulse of Europe“ oder bei Macrons Idee von den Bürgerversammlungen. Diese Initiativen können den Diskurs verändern. Doch das reicht nicht – auch die politische Führung muss aufstehen. Wir müssen raus aus unserer Komfortzone und mutiger werden.

In Ihrem Twitter-Profil beschreiben Sie sich als „Weltbürgerin. Stolze Progressive. Laute Liberale. Unerschrockene Idealistin.” Das klingt kämpferisch. Muss man als Pro-Europäer heute kämpferisch sein?

Ja. Wissen Sie, ich wurde in Lahore geboren, kam als Studentin nach Brüssel und blieb. Erst vor 20 Jahren, nach langer Zeit hier, ist mir klar geworden, dass ich eine wahre Europäerin bin. Dies ist mein Zuhause. Durch diese Erkenntnis hat sich meine Einstellung gegenüber meinem gesamten Leben verändert. Ob ich nun aussehe wie eine Europäerin oder nicht – ich bin eine. Dann kamen in jüngerer Zeit die Wahl von Donald Trump, das Brexit-Votum, die Flüchtlingskrise und der Aufstieg des Populismus. Alles, was mir lieb und teuer ist, wurde frontal angegriffen: meine progressive Grundhaltung, mein liberales Denken, der Grund dafür, dass Europa in mir so starken Widerhall findet. Also werde ich mich nicht länger verstecken. Ich möchte dazu beitragen, das zu erhalten, woran ich glaube. Europa in all seiner Vielfalt bedeutet eine Menge – für mich persönlich, aber auch für andere Europäer und den Rest der Welt.

Interview: Helen Sibum

© www.deutschland.de