„Mehr Sprachen, mehr Chancen“
Die „Frankreichstrategie“ des Saarlandes gilt als Vorbild innerhalb der EU. Roland Theis erklärt die Ziele dieser Strategie, die auf Mehrsprachigkeit setzt.
Herr Staatssekretär Theis, das Saarland will sich mit der „Frankreichstrategie“ innerhalb einer Generation zu einer multilingualen Region deutsch-französischer Prägung entwickeln. Was steckt dahinter?
Das Saarland will bis zum Jahr 2043 Französisch zur zweiten Verkehrssprache im Saarland machen. Gemäß dem Motto „Mehr Sprachen, mehr Chancen“ soll Französisch als Verkehrssprache neben die Mutter- und Amtssprache Deutsch treten und durch weitere Fremdsprachen ergänzt werden. So eröffnet diese Strategie den Weg zu einer gelebten Mehrsprachigkeit, die wir heute sowohl in kultureller als auch ökonomischer Hinsicht in einem vereinten Europa dringend benötigen.
Das Saarland hat schon historisch einen starken Bezug zu Frankreich. Auf welches Fundament können Sie bauen?
Da Saarland ist bis heute mit Frankreich eng verbunden. Nirgendwo sonst in Deutschland sitzen so viele deutsch-französische Einrichtungen. Auch wirtschaftlich sprechen die Fakten eine klare Sprache: Seit 2017 ist Frankreich unser wichtigster Export-Markt. Über 150 französische Unternehmen verfügen über eine Niederlassung beziehungsweise Tochtergesellschaft im Saarland und mehr als 200 saarländische Unternehmen über eine solche in Frankreich. Der Arbeitsmarkt ist grenzüberschreitend, täglich pendeln allein etwa 18.000 Grenzgänger aus dem Nachbarland ins Saarland.
Im Bildungsbereich kommt dem Saarland ebenfalls eine herausgehobene Position zu. Im Vorschulbereich arbeiten aktuell rund 200 – und damit 40 Prozent – aller saarländische Kitas – mit zweisprachigem Konzept. Auch viele saarländische Grundschulen arbeiten nach bilingualem Konzept. Zudem verfügt das Saarland demnächst über vier Abibac-Schulen und nimmt damit bundesweit einen Spitzenplatz ein. Auf politischer Ebene sind die deutsch-französischen Beziehungen ebenso Bestandteil der saarländischen DNA. So hat unser Ministerpräsident Tobias Hans aktuell den Vorsitz der Deutsch-Französischen Freundschaftsgruppe des Bundesrates und des französischen Senates inne und ist Mitglied im Deutsch-Französischen Integrationsrat.
Wie fällt die Zwischenbilanz der Frankreichstrategie aus?
Die Frankreichstrategie lebt vom Mitmachen und kommt gut an. Laut einer aktuellen Studie befürwortet eine klare Mehrheit von 62 Prozent die Strategie. Die Zwischenbilanz fällt ebenfalls äußerst positiv aus. Seit dem Jahr 2014 hat durch die Frankreichstrategie die ohnehin schon sehr wichtige grenzüberschreitende Zusammenarbeit in unserer Region in den unterschiedlichsten Bereichen stark an Fahrt aufgenommen. Um einige konkrete Beispiele zu nennen: Das landesweite Angebot an sogenannten Élysée-Kitas wurde ausgebaut. Auch ist es gelungen, weitere Grundschulen mit bilingualen Angeboten auszustatten. An der Universität des Saarlandes existiert nun eine bundesweit einmalige Ausbildung der Grundschullehrer mit verbindlichem Schwerpunktfach Französisch, die von Interessenten aus allen Bundesländern stark nachgefragt wird.
Am 11. November 2018 jährt sich zum 100. Mal das Ende des Ersten Weltkriegs. Welche Bedeutung messen Sie der saarländischen Frankreichstrategie im europäischen Kontext zu?
Nirgends erleben Bürger den Erfolg oder das Scheitern der europäischen Idee so hautnah wie entlang der Grenzen. Kürzlich bezeichnete die Europäische Kommission die Frankreichstrategie des Saarlandes als „Best Practice“-Beispiel zur Förderung der Mehrsprachigkeit der Grenzregionen. Wir gehen also mit gutem Vorbild voran. Das Saarland dient als Modell für andere europäische Grenzregionen und somit zugleich als „Versuchslabor“ für europäische Lösungen.
Auch Ihre Biografie ist saarländisch-französisch geprägt. Welche Vorstellung, welchen Traum haben Sie vom Saarland im Jahr 2043, dem Zieljahr der Frankreichstrategie?
Ich bin als Sohn eines saarländischen Vaters und einer elsässischen Mutter nicht nur deutscher, sondern auch französischer Staatsbürger. Ich bin sehr dankbar, dass ich in Studium, Beruf und Politik immer in einem deutsch-französischen Kontext arbeiten konnte. Die Frankreichstrategie, die Annegret Kramp-Karrenbauer durchgesetzt hat, halte ich für eine kluge und weitsichtige politischen Entscheidung, von der unser Land noch immens profitieren wird.
Meine Tochter wird im Zieljahr der Frankreichstrategie 25 Jahre alt sein. Mein persönlicher Wunsch für sie ist, dass sie auf einem friedlichen Kontinent aufwachsen wird, dass sie die unzähligen persönlichen und beruflichen Chancen, die die EU jungen Menschen bietet, nutzen kann. Mein politisches Ziel ist, dass meine Tochter rückblickend auf unsere heutige Zeit sagen wird, dass wir die Weichen richtig gestellt haben, damit Europa weiterhin das große Friedensprojekt bleibt, das uns Europäern Freiheit, Wohlstand und Stabilität sichert.
Interview: Martin Orth
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