Versöhnungsprozess in Mali
Niemand hatte mit einem solchen Ergebnis gerechnet. Drei Tage lang wurde in Gargando, einem kleinen Ort nahe Timbuktu, auf Matten unter Zeltdächern geredet und geredet.
Niemand hatte mit einem solchen Ergebnis gerechnet. Drei Tage lang wurde in Gargando, einem kleinen Ort nahe der malischen Wüstenstadt Timbuktu, auf Matten unter Zeltdächern geredet und geredet. Viele der Anwesenden sahen Mali längst nicht mehr als ihr Land an. Schließlich hat man sich in der Hauptstadt Bamako um die Regionen im Norden, wo es nur noch viel Wüste und wenig Einwohner gibt, kaum je gekümmert. Aber als die Vertreter der Regierung und des Militärs dann so vor ihnen standen und tatsächlich zuhörten, da wollte man dem gemeinsamen Staat doch noch mal eine Chance geben.
Feierlich standen sie an einem heißen Märztag 2016 dann in wallenden Gewändern und Militäruniformen nebeneinander. Die Flagge der bis dahin in der Gegend herrschenden bewaffneten Rebellengruppe wurde eingeholt, die malische gehisst. Sogar die Nationalhymne wurde angestimmt.
"Das war einer dieser Gänsehautmomente", sagt Rebekka Rust, Projektleiterin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Mali. Sie organisiert solche Foren wie in Gargando im Auftrag der Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge sowie humanitäre Hilfe des Auswärtigen Amtes (AA). Im Dialog sei eine Dynamik entstanden, sagt sie, die niemand hätte planen oder vorhersagen können. "Mithilfe von traditionellen Führern haben wir es geschafft, Menschen, die seit der Krise überhaupt keinen Kontakt mehr hatten, wieder ins Gespräch zu bringen."
An den Wurzeln des Konflikts arbeiten
Der Friedensdialog in Gargando ist nur einer von mehreren Dutzend anderen, die die GIZ organisiert und für die manchmal monatelange Vorbereitungen nötig sind. Um zu zeigen, dass Annäherung und Versöhnung sich lohnen, werden die Gespräche von kleinen Stabilisierungsprojekten flankiert: den Wiederaufbau eines Basketballplatz für Jugendliche etwa, der von Dschihadisten zerstört worden war, eine neue Straße oder die Instandsetzung eines Brunnens.
Jede einzelne Friedensdialog ist ein kleiner Schritt in einem großen Konflikt, aber ohne eine Annäherung der Bevölkerung des Nordens und des Südens können noch so viele Soldaten der Blauhelmmission "MINUSMA" nach Mali geschickt werden – die Gewalt droht in Wellen immer wieder auszubrechen. Um eine dauerhafte Stabilisierung zu erreichen, muss an den Ursachen gearbeitet werden. Das AA hat die Versöhnungsarbeit in Mali deshalb seit 2013 mit insgesamt 5,5 Millionen Euro unterstützt. Für 2017 und 2018 sind zusätzlich 9,12 Millionen Euro vorgesehen.
Der Grundkonflikt in Mali ist schon viele Generationen alt: es ist ein klassischer Konflikt zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern um die knappen Ressourcen Land und Wasser. Im Norden leben die traditionell nomadischen Wüstenvölker der Tuareg und Fulbe, die schon sehr lange islamisiert und kulturhistorisch stark von Nordafrika und der arabischen Kultur beeinflusst sind. Der Süden wird dagegen von der Ethnie der Bambara dominiert, lebt von der Landwirtschaft und gehört kulturell zu Subsahara-Afrika. Zum Islam sind die meisten Südmalier erst in Reaktion auf die französische Kolonialisierung konvertiert.
Die Völker des Südens dominieren die Regierung und haben den Norden jahrzehntelang vernachlässigt. Gewaltsame Konfrontationen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen und sogar Massaker hat es seit der Gründung Malis immer wieder gegeben. "All das ist nie aufgearbeitet worden", sagt GIZ-Projektleiterin Rust. "In diesem Konflikt geht es auch um Gleichberechtigung, um Teilhabe und Anerkennung."
Mikroprojekte: Frieden soll sich für die Bevölkerung lohnen
Wut und Frust über die Regierung haben dazu beigetragen, dass sich die Tuareg 2012 abspalten wollten, sich teilweise radikalisierten und mit dschihadistischen Gruppen aus dem arabischen Raum verbündeten, die Nordmali als Rückzugsraum nutzen wollten. Vor dem Eingriff der französischen Armee drohte der westafrikanische Staat in die Hände von internationalen Dschihadisten zu fallen und auseinanderzubrechen.
Um den extremistischen Gruppen die Unterstützung der Bevölkerung zu entziehen, muss sich Frieden für die Menschen lohnen. Zur Stabilisierung der fragilen Lage baut das Auswärtige Amt die mit dem Friedensdialogen verknüpften "Mikroprojekte" aus – Projekte wie ein Getreidespeicher für eine multiethnische Frauenkooperative Frauen in Gao, wo auch die Bundeswehrsoldaten stationiert sind. In den Dialogforen wird gemeinsam entschieden, was die Gemeinschaft braucht. "Solche Projekte sind für den Frieden nützlicher als tausend Reden", sagt Zahabi Ould Sidi Mohamed, Malis ehemaliger Außen- und Versöhnungsminister, der heute der Entwaffnungskommission vorsitzt.
"Um zu versöhnen, muss man die Wahrheit kennen", betont Mohamed außerdem. Mit deutscher Unterstützung ist deshalb eine Wahrheitskommission gegründet worden. Die GIZ hat zusammen mit dem Versöhnungsministerium sieben Regionalbüros aufgebaut und Mitarbeiter für der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen geschult. In diesem Jahr sollen überall im Land Interviews geführt werden. "Das Besondere ist, dass nicht nur die jüngste Krise aufgearbeitet wird, sondern wir gehen bis 1960 zurück", sagt Rust. Deutschland sei geradezu prädestiniert für diese Aufgabe. Zum einen würde es als neutral wahrgenommen. Zum anderen sei es "bei unserer Geschichte sehr glaubwürdig, wenn wir sagen: Aufarbeitung ist wichtig."
Das deutsche Beispiel, ergänzt Mohamed, könne den Maliern außerdem Mut machen. Er sage seinen Landsleuten oft: "Wenn Deutsche und Franzosen nach all den Millionen Toten der Weltkriege enge Partner und Freunde werden konnten, dann können wir es auch."