Flüchtlinge bauen an ihrer Zukunft
In vielen Handwerksbetrieben fehlen junge Fachkräfte. Viele junge Flüchtlinge suchen Perspektiven. Ein Programm der Bundesregierung bringt sie Schritt für Schritt zusammen.
Adnan Mohammad steht mitten im Frankfurter Bankenviertel. Dort, wo die Hochhäuser besonders weit nach oben ragen und die Glasfassaden besonders intensiv glitzern. Mohammad macht am Straßenrand gerade „Verdichtungsarbeiten“, wie es in der Fachsprache heißt. Um ihn herum Baustellenzäune, Steine, Erde und der umgeleitete Großstadtverkehr, der permanent an ihm vorbeirauscht. Mit einer Stampfmaschine presst der junge Mann den Boden zusammen, damit er später gepflastert werden kann. Mohammad arbeitet Stück für Stück, Quadrat für Quadrat, konzentriert und gewissenhaft: Der 20-Jährige ist Straßenbauer bei der Firma Bratengeier, bald endet sein erstes Lehrjahr. Bis hierhin auf die Baustelle in der Frankfurter Innenstadt hat er einen wirklich weiten Weg zurückgelegt.
Mohammad kommt aus Pakistan. Seine Heimat hat er vor ein paar Jahren verlassen, um Krisen, Konflikten, Elend und Not zu entgehen. In Deutschland möchte er möglichst schnell Fuß fassen und sich ein neues Leben aufbauen. „Hauptsache, Frieden und Arbeit“, sagt er. Bis er jedoch eine Lehrstelle ergattern konnte, musste er viel Kraft und Energie aufwenden: verschiedene Deutschkurse, der Hauptschulabschluss, Praktika, ein Programm der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Hilfe beim Einstieg – erst dann kam die Lehrstelle. Inzwischen hat er nicht nur das Flüchtlingsheim verlassen, er spricht auch gut Deutsch und hat sich in der Firma bereits einen positiven Ruf erworben. „Der Junge arbeitet top“, sagt Oberpolier René Wendler über seinen Auszubildenden.
Noch nicht ganz so weit hat es Mohamed Nassir Ismail gebracht. Der 22-jährige Somalier ist seit etwa zwei Jahren in Deutschland. Im August 2016 tritt er eine Ausbildung zum Maurer bei der Baufirma Seng an und ist darüber „sehr, sehr glücklich“. Noch absolviert er dort die sogenannte Einstiegsqualifizierung, eine Art längeres Praktikum, finanziert von der BA. Das Programm, das mindestens sechs und höchstens zwölf Monate dauert, bietet Jugendlichen die Möglichkeit, sich in einem Betrieb zu bewähren. Umgekehrt können sich die Unternehmen mögliche Bewerber ohne großes Risiko genauer anschauen und dann überlegen, ob sie ihnen eine Ausbildungsstelle anbieten wollen. „Für beide Seiten ist das eine gute Sache“, sagt Joachim Buhro, Leiter des Bildungszentrums EBL, das zum Bildungswerk Bau Hessen-Thüringen gehört.
Doch schon dieser Schritt ist für viele junge Flüchtlinge nicht einfach zu meistern, wie das Beispiel Ismails zeigt. Denn das Angebot richtet sich an alle Jugendlichen in Deutschland und nicht speziell an Flüchtlinge. Ismail hat es überhaupt nur in das Programm geschafft, weil er das Glück hatte, auf engagierte Unterstützer zu treffen. Dazu gehört Karin Näder, pensionierte Lehrerin, die sich ehrenamtlich um Flüchtlinge kümmert. Ohne ihren Einsatz und den von Matthias Gurth, Ausbildungsberater beim Bildungszentrum EBL, stünde der junge Somalier nun nicht kurz vor dem Beginn seiner Maurerlehre. Karin Näder hatte Kontakt zu Matthias Gurth aufgenommen, der wiederum die Baufirma Seng ansprach. Sie suchte neue Mitarbeiter und war gerne bereit, einem Flüchtling eine Chance zu geben. „Wir haben uns da gemeinsam durchgewurstelt“, sagen Näder und Gurth.
Doch das Thema Ausbildung – ein besonders wichtiger Baustein für eine gelungene Integration – soll möglichst nicht solchen Zufällen überlassen werden. Um Nachfrage und Angebot besser zu koordinieren, hat die Bundesregierung im Februar 2016 das Programm „Wege in die Ausbildung für Flüchtlinge“ gestartet. Zusammen mit der BA und dem Zentralverband des Deutschen Handwerks will sie in den kommenden zwei Jahren bis zu 10 000 junge Flüchtlinge in eine Handwerksausbildung bringen. Das Programm soll sie fit machen für die Arbeit in deutschen Betrieben. „Wir wissen, dass rund die Hälfte der Flüchtlinge unter 25 Jahre alt ist“, so Bundesbildungsministerin Johanna Wanka bei der Vorstellung der Initiative. „Viele von ihnen haben eine gute Bleibeperspektive. Ihre Integration kann gelingen, wenn wir sie dabei unterstützen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen.“
„Gerade im Handwerk gibt es viele Beschäftigungspotenziale“, betont Frank-Jürgen Weise. Er ist Leiter der BA sowie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Tatsächlich blieben im Handwerk 2015 rund 14 000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Auch bereits ausgebildete Facharbeiter sind gesucht, gerade auf dem Bau. Der Bedarf an Maurern, Straßenbauern, Rohrleitungsbauern oder Fliesenlegern ist hoch, das Interesse deutscher Jugendlicher an einer solchen Lehre hingegen eher gering. „Das Bauhandwerk hat bei jungen Deutschen wenig Attraktivität“, sagt Oliver Seng, Inhaber des Bauunternehmens, bei dem Ismail demnächst seine Ausbildung beginnt. Auch beim Zentralverband des Deutschen Handwerks spricht man davon, Flüchtlinge seien eine Chance für die Branche. Das Problem des Fachkräftemangels sei auf diese Weise zwar nicht völlig zu lösen, aber die Flüchtlinge könnten ein Teil der Lösung sein. Vorausgesetzt, sie lernen Deutsch und schaffen es bis zur Lehrstelle.
Dabei soll ihnen das neue, mehrstufige Programm helfen. Es beginnt mit einem vier- bis sechsmonatigen Integrationskurs des BAMF zu deutscher Sprache und Kultur. Danach sammeln die Teilnehmer – ebenfalls für vier bis sechs Monate – erste Erfahrungen im Handwerk und bekommen einen Einblick ins deutsche Ausbildungs- und Beschäftigungssystem. „Perspektiven für junge Flüchtlinge im Handwerk“ heißt diese Orientierungsphase der BA. Wer für eine Ausbildung infrage kommt, für den schließt sich das Programm „Berufsorientierung für Flüchtlinge“ an, das die jungen Männer und Frauen drei Monate lang gezielt auf drei Ausbildungsberufe im Handwerk vorbereitet – in Ausbildungszentren der Handwerksorganisationen, wie dem Frankfurter EBL, und in einem Betrieb.
Gleichzeitig vertiefen die Jugendlichen ihre Deutschkenntnisse, die sie nicht nur im Alltag, sondern auch für die spätere Ausbildung dringend brauchen. Schaffen sie danach trotzdem noch nicht den Sprung in die Ausbildung, können sie wie Mohammad und Ismail noch das Langzeitpraktikum einschieben, das es weiterhin für alle interessierten jungen Menschen als Sprungbrett in die Arbeitswelt gibt.
Bis ein junger Flüchtling einen Gesellenbrief in den Händen hält und ein volles Gehalt bekommt, vergehen also ein paar Jahre. „Das ist natürlich ein langer Weg“, sagt Joachim Buhro vom Bildungszentrum EBL, „aber es geht nur so, Schritt für Schritt.“ Und bei jedem Schritt kommen neue Kenntnisse und Fähigkeiten hinzu, wachsen Selbstsicherheit und Wohlbefinden – das ist jedenfalls das Ziel.
Adnan Mohammad, der die lange Strecke noch ohne dieses strukturierte Angebot zurückgelegt hat, konzentriert sich jetzt auf das zweite und dritte Lehrjahr. „Ich will die Ausbildung unbedingt schaffen.“ Auch Mohamed Nassir Ismail hat viel vor: „Erst die Lehre als Maurer und dann den Meister machen“, sagt er zielstrebig. Sein Chef Oliver Seng macht ihm Mut: „Er kann hier viel Erfolg haben, denn er ist motiviert und zuverlässig, und unsere Auftragslage ist gut.“ Auch beim Zentralverband in Berlin heißt es, das Handwerk stehe allen offen. „Es kann jedem eine Perspektive bieten.“ ▪