„Frauen eine Stimme geben“
Frauen spielen eine wichtige Rolle in Friedensprozessen – auch in Jemen. Im Interview erklärt Marcela Masiarik, wie Deutschland ihre Position stärkt.
Seit 2015 leiden die Menschen in Jemen unter einem Bürgerkrieg und in dessen Folge unter einer großen humanitären und Entwicklungskrise. Trotz zahlreicher Verhandlungen und einer seit April 2022 weitgehend eingehaltenen Waffenruhe hat sich die Situation der Bevölkerung nicht grundlegend verbessert. Mit einer Verbindung von humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung (Humanitarian-Development-Peace Nexus, kurz HDP-Nexus) möchte Deutschland den Friedensprozess unterstützen. Weshalb Frauen dabei eine besonders wichtige Rolle spielen, erklärt Marcela Masiarik, Development Counsellor / Entwicklungshilfereferentin an der Deutschen Botschaft Sanaa und Initiatorin des Women’s Advisory Board.
Frau Masiarik, wie trägt Deutschland mit dem HDP-Nexus dazu bei, die humanitäre Situation in Jemen zu verbessern?
In Jemen spielt sich eine der größten humanitären Krisen weltweit ab. Mit dem HDP-Nexus Ansatz kann es der Gebergemeinschaft gelingen, zusammen mit den UN und den internationalen und nationalen Akteuren Projekte im Land zu koordinieren. Ziel des Ansatzes ist es, Projekte aus der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und der Friedensförderung so zu vernetzen, dass sie auf allen Ebenen bestmöglich zusammenarbeiten. Nur in der Zusammenarbeit der drei Bereiche kann die internationale Gemeinschaft nachhaltig dazu beitragen, dass ein komplexer Konflikt wie in Jemen auf lange Sicht gelöst werden kann.
Deutschland übernimmt bei der Koordinierung der Projekte das Mapping: Welche Projekte gibt es vor Ort und wie kann man sie miteinander vernetzen? Wo gibt es Lücken in der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit oder der Friedensförderung? Wie können wir Synergien zwischen den einzelnen Akteuren und Projekten herstellen, um die Hilfe gemeinsam effektiver und nachhaltiger umzusetzen?
Langfristig sollen unsere jemenitischen Partner nicht mehr von ausländischer Hilfe abhängig sein, sondern die Entwicklung des eigenen Landes selbst bestimmen und Hilfe selbst leisten können. Dies wird sicherlich aufgrund der humanitären Krise noch lange nicht der Fall sein, aber die Entwicklung muss in Richtung Stärkung der Resilienz, wirtschaftliche Stärkung und Lokalisierung gehen.
Ein Schwerpunkt der deutschen Arbeit in Jemen liegt auf der Förderung von Frauen. Wieso ist die Frauenförderung so wichtig?
Jemen ist ein in weiten Teilen sehr traditionelles Land, das politisch wie gesellschaftlich geteilt ist. Im Süden haben wir die international anerkannte Regierung, die nicht so stark traditionell/religiös geprägt ist wie die Huthi-Rebellen, die den Norden des Landes kontrollieren. Im Norden beobachten wir eine fortschreitende Einschränkung von Frauenrechten, überdies bekleiden Frauen keine politischen Ämter und sind nicht Bestandteil von Verhandlungsdelegationen. Zudem wird der Zugang für die humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit im Norden zunehmend schwieriger. Im Süden haben Frauen mehr Rechte, werden zum Teil in politische Prozesse eingebunden und bekleiden diverse Posten in den Ministerien der international anerkannten Regierung in Aden.
Es ist jedoch sehr wichtig, dass Frauen in allen Landesteilen aktiv an der Basis für den Friedensprozess und später am Prozess selbst mitwirken. Das zeigen Vorbilder aus anderen Ländern, zum Beispiel aus Kolumbien. Friedensprozesse, an denen Frauen beteiligt sind, entwickelten sich wesentlich positiver, und der Frieden ist nachhaltiger.
Welche Strategien verfolgt Deutschland, um Frauen in Jemen zu stärken?
Wir haben dafür das Women’s Advisory Board ins Leben gerufen. Die Idee dafür entstand 2022 anlässlich einer Reise von Vertretern und Vertreterinnen des Auswärtigen Amts und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aus Berlin nach Jemen – der ersten seit 2015. Eine Kollegin aus dem Auswärtigen Amt wollte sich in Aden auch mit Frauen treffen. Ich verfügte über ein sehr breites Netzwerk an Frauen, die ich von meinen Besuchen in Jemen kannte. Rund 30 Frauen haben wir zu dem Treffen eingeladen, die mit uns über die politischen Entwicklungen im Land und die spezifischen Bedürfnisse der weiblichen Bevölkerung diskutierten. Dieses Treffen machte erneut deutlich, wie wichtig der direkte Austausch mit den Frauen vor Ort ist. Aufgrund unserer führenden Rolle in HDP-Nexus konnte ich diese Gruppe gut in den größeren Kontext einbauen und anfangen zu erweitern, um die Förderung der Frauen und ihrer Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen und nach außen im Geberkreis zu kommunizieren.
Inzwischen arbeiten wir mit über 150 Frauen aus Jemen zusammen – auch aus dem Norden. In unseren Meetings diskutieren wir mit den Frauen, vernetzen sie miteinander und unterstützen beim Aufbau lokaler und thematischer Gruppen. Außerdem informieren wir sie über Entwicklungen, Strategien und Projekte der internationalen Gemeinschaft. Denn jemenitische Frauen leiden auch unter einem Mangel an Informationen. Häufig hindert dies sie daran, aktiv an politischen Prozessen mitzuwirken.
Wie arbeitet das Women’s Advisory Board, um die Teilhabe von Frauen in den Bereichen humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung zu verbessern?
Deutschland muss Fingerspitzengefühl beweisen. Wir können niemandem vorschreiben, wie das politische System oder die Gesellschaft funktionieren soll. Denn nachhaltige Veränderung kann nur von innen heraus geschehen. Wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe, dienen als Türöffner. Mit dem Women’s Advisory Board versucht Deutschland, den Frauen eine Stimme zu geben. Da das auf nationaler Ebene aktuell noch schwierig ist, beziehen wir die Frauen in internationale Entscheidungsfindungen ein. Wir laden sie zu Meetings der internationalen Gemeinschaft ein und diskutieren mit ihnen, wie wir Projekte so planen können, dass sie auch auf die Bedürfnisse der Frauen eingehen. Durch ihr Mitspracherecht auf internationaler Ebene stärken wir gleichzeitig ihre Positionen auf nationaler und lokaler Ebene, ohne in die politischen Strukturen des Landes einzugreifen.
Wir stehen den Frauen beratend zur Seite und fördern sie darin, Führungsverantwortung zu übernehmen. Dabei ist es uns besonders wichtig, dass wir Frauen aus allen gesellschaftlichen Ebenen und allen ethnischen und benachteiligten Gruppen einbeziehen. Langfristig ist es unser Ziel, dass Frauen aus allen 333 jemenitischen Distrikten im Women´s Advisory Board vertreten sind.
Spielen Männer bei der Förderung von Frauen in Jemen eine Rolle?
Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben auch Männer in unserer Gruppe. Denn wenn Frauen nur untereinander diskutieren, wird sich nicht viel verändern. Es sind Männer, die aktuell die Rolle der Frau in Jemen definieren. Deshalb ist es wichtig, sie in den Prozess einzubinden und ihnen vor Augen zu führen, wie wichtig es ist, Frauen in Entscheidungsfindungen einzubeziehen. Wenn wir die Männer außen vor lassen, führt das zu zusätzlichen gesellschaftlichen Konflikten, die den Frauen am Ende mehr schaden. „Do no harm“ müssen wir auch beim Thema Gender klar vor Augen haben.
Welche Erfahrungen aus der Arbeit des Women‘s Advisory Board könnten auf andere Konfliktgebiete übertragen werden?
Die wichtigste Erfahrung, die ich gemacht habe, ist, dass jemand die Führung übernimmt. Das hat Deutschland in Jemen getan, und nur so hat sich etwas verändert. In Jemen gehört Deutschland zu den größten humanitären und Entwicklungsgebern, nach Saudi-Arabien und den USA. Der Ansatz des HDP-Nexus wird seit 2016 diskutiert, Strategien erarbeitet. In vielen Ländern diskutieren die Geber darüber, wie man etwas verändern kann. Aber die praktische Umsetzung funktioniert oft nicht, weil niemand die Führung übernimmt. Um etwas zu bewegen, muss man aktiv werden. Das kostet oft viel Kraft und Engagement, weil die internationale Koordination der unterschiedlichen Projekte sehr anspruchsvoll ist. Aber es lohnt sich.