So reagiert Deutschland auf Krisen
Vernetzt, schnell, rund um die Uhr: Frank Hartmann, Leiter des Krisenreaktionszentrums des Auswärtigen Amts, erklärt, wie er und sein Team arbeiten.
Im Keller des Auswärtigen Amts in Berlin zeigen hinter einer Panzertresortür – früher hatte die Reichsbank hier ihren Sitz – neun Wanduhren die aktuellen Weltzeiten rund um den Globus an, von Washington bis Moskau, Berlin bis Bagdad, Damaskus bis Manila. Zeit ist essenziell im Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amts. Ob Naturkatastrophe, Flugzeugabsturz oder globale Pandemie – sobald sich auf der Welt etwas ereignet, wodurch auch Deutsche gefährdet sein könnten, treten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amts hier in Aktion. Frank Hartmann ist Krisenbeauftragter des AA und erzählt im Interview, worauf es ankommt.
Herr Hartmann, welche Aufgaben hat das Krisenreaktionszentrum des Auswärtigen Amts?
Unsere Hauptaufgabe ist es, deutschen Staatsbürgerinnen und -bürgern in einer Krise weltweit zu helfen. Wir sind für die Reise- und Sicherheitshinweise zuständig und leiten den Krisenstab der Bundesregierung zu Auslandslagen. Zudem sind wir aktuell im Krisenstab Corona/COVID-19 des Bundesinnenministeriums und des Bundesgesundheitsministeriums vertreten. Im Krisenreaktionszentrum arbeiten insgesamt rund 40 Personen. Dazu zählen feste Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Amts sowie mehrere Verbindungsbeamte aus anderen Ministerien und Bundesressorts.
Können Sie uns eine virtuelle Tour durch das Krisenreaktionszentrum geben?
Im akuten Krisenfall kommen die Krisenoperateure in unserem sogenannten Lageraum zusammen, das ist die Operationszentrale im Krisenstab. Wenn zum Beispiel in einer akuten Krise im Extremfall eine Evakuierung deutscher Staatsangehöriger notwendig wird, planen wir diese Operation hier und kommunizieren mit dem Bundesverteidigungsministerium, der Bundeswehr, Fluglinien oder auch dem Bundeskriminalamt. Daneben gibt es das Lagezentrum, eine kleinere, aber wichtige Einheit, die rund um die Uhr und sieben Tage in der Woche besetzt und für die gesamte Krisenkommunikation im Auswärtigen Amt zuständig ist. Und dann ist da noch der Krisenstab-Saal, ein abhörgeschützter Raum, in dem der Krisenstab der Bundesregierung zusammenkommt, den ich leite.
Wenn wir also akute Krisensituationen haben, wie zum Beispiel in der Vergangenheit in Mali, in Venezuela oder aktuell in Myanmar, dann kommen wir dort mit Vertreterinnen und Vertretern aller Behörden zusammen und schalten uns mit der Botschaft oder den jeweiligen Partnern im Land zusammen, um ein Lagebild zu bekommen und zu beraten, was wir an Unterstützung leisten können.
Wer sind diese Partner?
Bei den Krisenlagen im Ausland ist natürlich erst einmal die deutsche Auslandsvertretung, also die Botschaft, der erste Ansprechpartner. Wir versuchen gemeinsam zu klären: Wie viele Deutsche sind zum Beispiel gerade in Myanmar? Wie viele Leute wollen ausreisen? Müssen wir aufgrund der Sicherheitslage die Ausreise empfehlen? Hierzu stehen wir je nach Lage mit allen wichtigen Akteuren vor Ort im Kontakt, z.B. bei Ländern der Entwicklungszusammenarbeit auch mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der GIZ sowie anderen Organisationen vor Ort.
Wie sehen Ihre Aufgaben in der Corona-Pandemie aus?
Unsere Arbeit hat sich hier im Laufe des vergangenen Jahres sehr vielfältig entwickelt. Zum einen haben wir die große Rückholaktion im März 2020 koordiniert, bei der 240.000 Touristen aus 60 Staaten zurück nach Deutschland geholt wurden, darunter 7500 Menschen aus anderen europäischen Ländern sowie 3.500 Menschen aus anderen Ländern. Damals haben wir erstmalig eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen. Danach kam Phase 2: die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Auslandsvertretungen durch Rotations- und Versorgungsflüge. Zum Dritten wirken wir aktiv am nationalen Krisenmanagement mit. Ich bin Vertreter des Auswärtigen Amts im Krisenstab des Bundesinnen- und Bundesgesundheitsministeriums. Wir unterstützen hier unter anderem bei der Ausweisung der Risikogebiete. Ganz neu ist unlängst noch die logistische Unterstützung für die Impfung entsandter MitarbeiterInnen an Auslandsvertretungen in Krisenregionen hinzugekommen.
Woher beziehen Sie Ihre Informationen?
Die wichtigsten Partner sind wieder die Auslandsvertretungen, vor allem wenn es um die Einschätzung der Risikogebiete geht. Die Vertretungen geben bei uns Bewertungen ab, zum Beispiel zur Ausstattung des Gesundheitssystems im jeweiligen Land, zur Zuverlässigkeit der Daten und zur allgemeinen Pandemieentwicklung. Diese Einschätzungen fließen dann in die gemeinsame Risikogebietsauswertung mit BMG, BMI und dem RKI ein.
Wie sieht die internationale Zusammenarbeit aus?
Wir arbeiten mit den Krisenreaktionszentren zahlreicher Partnerländer zusammen. Wir tauschen Einschätzungen zur Risikosituation in einem Land aus. Wir koordinieren uns dazu auch mit der Europäischen Union. Wenn wir beispielsweise in einem Land nicht so gut aufgestellt sind wie vielleicht Frankreich oder Großbritannien, dann besprechen wir uns: Wie schätzt ihr die Lage ein? Wie gefährlich ist die Situation? Was tut ihr für eure Staatsangehörigen? Wir unterstützen uns auch gegenseitig bei Rückführungen, wie bei der Touristen-Rückholaktion im vergangenen Jahr. Dabei haben wir auch andere Europäer mitgenommen. Und unsere Partner haben das in Ländern, in denen sie stärker vertreten sind, auch für uns gemacht. Insofern ist internationale Kooperation im Krisenfall sehr wichtig. Es gibt eingespielte Verfahren, wie man sich gegenseitig helfen kann.
Sie haben schon viele Krisen miterlebt, was macht die Corona-Krise so einzigartig?
Es ist eine chronische und auch eine weltweite Krisensituation, die wir so noch nie erlebt haben. Wir haben es sonst oft mit akuten Krisensituationen zu tun, seien es politische Krisen oder Schadensereignisse wie Flugzeugabstürze, die räumlich und zeitlich begrenzt sind. Die Corona-Pandemie betrifft dagegen alle. Ich erinnere mich noch genau an den „schwarzen Freitag“ am 13. März 2020, als fast der gesamte internationale Flugverkehr plötzlich zusammengebrochen ist. Damit wurde auch die Funktionsfähigkeit des Auswärtigen Amts und anderer, international operierenden Behörden infrage gestellt. Eine unglaubliche Herausforderung. Wie kann unser System der Auslandsvertretungen, der internationalen Zusammenarbeit unter solchen Bedingungen überhaupt noch funktionieren?
Ist es gelungen?
Den Härtetest haben wir bestanden. Wir haben uns auf eine Arbeitsweise verständigt, wie Botschaften in der Balance zwischen Sicherheit für die Bediensteten und nötiger Funktionsfähigkeit auch auch in schwierigen Krisenländern weiterarbeiten können. Vieles wurde erfolgreich auf virtuelle Kommunikation umgestellt. Trotzdem brauchen wir langfristig weiterhin Vertretungen vor Ort. Diplomatie braucht den persönlichen Kontakt.
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