„Wir sind aufeinander angewiesen“
Digitalisierung, Ausbildung, Handel, Menschenrechte und Corona – diese Themen beschäftigen den Afrika-Beauftragten des Auswärtigen Amts.
Herr Dölger, Sie sind Afrika-Beauftragter des Auswärtigen Amts. Können Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeit geben?
Als Beauftragter für Subsahara-Afrika und den Sahel bin ich zuständig für 48 Länder in der Region. Dieses weite Feld bearbeite ich natürlich nicht alleine, sondern mit einem sehr großen Team, nämlich der Unterabteilung im Auswärtigen Amt, die für die Afrikapolitik der Bundesregierung zuständig ist. Konkret heißt das: Wir beobachten laufend die aktuelle Lage in den Ländern, schreiben Analysen und machen Vorschläge dazu, wie unsere Politik dort aussehen sollte.
Das geht natürlich nicht ohne rege Kontakte vor Ort: Dazu haben wir einerseits unsere Botschaften und Vertretungen, andererseits reise ich normalerweise auch häufig nach Afrika oder bereite Besuche unserer afrikanischen Partner in Deutschland vor. Wichtige Ansprechpartner neben den Regierungen sind natürlich auch nichtstaatliche Akteure wie Nichtregierungsorganisationen, Religionsvertreter, Verbände, Forschungsinstitute und auch die afrikanische Diaspora in Deutschland.
Leider hat Corona große Auswirkungen auch auf unsere Arbeit: Der Übergang zu Home Office und Videokonferenzen war hier in Berlin noch vergleichsweise einfach. Viel schwerer haben es unsere Botschaften und Konsulate in Afrika: Viele Kolleginnen und Kollegen waren monatelang im Lockdown, haben die Ausreise der Deutschen mitorganisiert und Hilfsgüter verteilt.
Warum ist der afrikanische Kontinent ein zentraler Partner für Europa – und warum ist Europa ein wichtiger Partner für Afrika?
Wir wollen unsere Beziehungen zu Afrika ganz klar weiter vertiefen. Dabei orientieren wir uns eng an den Grundsätzen und Zielen der Agenda 2063 der Afrikanischen Union sowie an den Afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung: Wir wollen bewusst gemeinsame Zukunftsthemen und Interessen in den Fokus nehmen, darunter Digitalisierung, Innovation und Ausbildung, aber auch Handel und Privatinvestitionen stärken. Genauso wollen wir Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und gesellschaftliche Teilhabe – insbesondere von Frauen – fördern und die zivilgesellschaftlichen Kontakte vertiefen. Afrika hat großes Potenzial für erneuerbare Energien und verfügt über eine beeindruckende biologische Vielfalt. Daher ist der Kontinent ein natürlicher Partner für uns beim Klima- und Umweltschutz. Auch das Thema Migration können wir nur gemeinsam gestalten und steuern. Wir sind also in zentralen strategischen Bereichen aufeinander angewiesen und brauchen eine enge Zusammenarbeit. Auch die Pandemie hat uns erneut vor Augen geführt, wie sehr unsere Zukunft miteinander verknüpft ist. Auf dieser gemeinsamen Erfahrung wollen wir aufbauen.
Afrika ist ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020. Um welche Inhalte geht es konkret?
Die Inhalte für unsere Partnerschaft liegen auf der Hand. Wir brauchen gemeinsame Ansätze bei Umweltschutz und Energiefragen sowie guter Regierungsführung. In den Aufbau einer afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur hat Deutschland in den vergangenen Jahren viel investiert. Wie nötig das ist, zeigen uns Beispiele wie der aktuelle Konflikt in Äthiopien. Auseinandersetzungen wie diese haben das Potenzial auszugreifen, auch über die Landesgrenzen hinaus. Mit einer neuen Europäischen Friedensfazilität wollen wir afrikanische Staaten künftig noch besser dabei unterstützen, solche Konflikte und Gewalt zu vermeiden. Hinzukommt: Europa muss der Afrikanischen Union bei ihrem Schlüsselvorhaben zur Seite stehen, eine kontinentale Freihandelszone zu errichten. Auch wir in Europa haben gelernt, dass enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten stabile Verhältnisse schafft und stärkt. Auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung Afrikas sind Investitionen und die Förderung von Ausbildung und Beschäftigung insbesondere für Frauen und Jugendliche wichtige Ziele.
Wie sehr bestimmt die Corona-Pandemie die Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in Bezug auf Afrika?
Natürlich hat die Corona-Pandemie die Agenda unserer Ratspräsidentschaft stark beeinflusst und tut es weiterhin. Zwar sehen wir, dass wir in den meisten afrikanischen Staaten bislang weniger Sterbefälle als befürchtet beklagen müssen, aber: Die sogenannten Sekundäreffekte der Pandemiebekämpfung haben schwerwiegende Auswirkungen. Es bestand schnell Einigkeit in der EU, dass wir den afrikanischen Staaten nicht nur bei der Eindämmung der Krankheit, sondern ganz massiv auch bei der Abfederung der sozio-ökonomischen und humanitären Folgen helfen müssen. Als „Team Europe“ haben wir im April 2020 ein weltweites Maßnahmenpaket vorgelegt, in dem Afrika den regionalen Schwerpunkt bildet. Zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation WHO setzen wir uns beispielsweise für einen gerechten globalen Verteilungsmechanismus für Covid-19-Tests, Impfstoffe und Medikamente ein und unterstützen die Gesundheitssysteme. Auch die negativen Auswirkungen der Covid-19-Krise auf Frieden und Stabilität sowie Ernährungssicherheit in Afrika dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Deutschland hat mit dem G20-„Compact with Africa“ bereits wichtige Ansatzpunkte zur Förderung von Investitionen und Beschäftigung entwickelt. Im multilateralen Rahmen müssen wir auch die Debatte um Handelspräferenzen und Schuldenerleichterungen weiterführen.
Was erhoffen Sie sich vom EU-Afrika-Gipfel 2021?
Zunächst einmal hoffe ich, dass er sobald wie möglich stattfinden kann! Der Gipfel war ursprünglich als physisches Treffen Ende Oktober 2020 mit allen Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union (55 Mitgliedstaaten) und der Europäischen Union (27 Mitgliedstaaten) geplant und musste aufgrund der Pandemiesituation verschoben werden. Um den Gesprächsfaden mit den afrikanischen Partnern bis zum Gipfel nicht abreißen zu lassen, fand am 9. Dezember 2020 ein virtuelles Treffen der Europäischen Union und der Afrikanischen Union in einem kleineren Format statt.
Ich erhoffe mir, dass der bevorstehende Gipfel zum einen ein Zeichen der Solidarität setzt: Europa und Afrika sitzen in einem Boot, nicht nur, was die großen Aufgaben der Zukunftssicherung betrifft wie Umweltschutz oder Klima- und Energiepolitik. Es geht auch um das Prinzip der partnerschaftlichen Zusammenarbeit an sich. Wir wollen eine Alternative schaffen zu internationalen Politikansätzen, die sich eher von nationalen Hegemonialinteressen leiten lassen. Ich hoffe auch, dass der Gipfel konkrete Ergebnisse in der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Gesellschaft erzielt, die für die Bürgerinnen und Bürger beider Kontinente spürbar werden.