„Über Grenzen hinweg Demokratie stärken“
Der Schriftsteller Ilija Trojanow engagiert sich in der „globalen Versammlung“, die Ideen für eine weltweite Stärkung demokratischer Werte sucht.
Die Frage von Demokratie und Menschenrechten ist nicht auf Nationalstaaten beschränkt – davon sind die Initiatoren der „globalen Versammlung“ überzeugt. Aktivistinnen und Aktivisten aus aller Welt diskutieren deshalb anlässlich des 175. Jahrestags der ersten deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main darüber, wie eine demokratische Globalisierung von unten aussehen könnte. Nach dem Auftakt in diesem Jahr soll die Diskussion über eine kosmopolitische Demokratie bis zu einer großen Versammlung im Frühjahr 2024 fortgesetzt werden. Der in Bulgarien geborene deutsche Schriftsteller Ilija Trojanow gehört zu den Mitinitiatoren. Er spricht über Demokratie, die Zusammensetzung der „globalen Versammlung“ und die Kraft von Prozessen.
Herr Trojanow, als Demokratien werden Nationalstaaten bezeichnet. Was verstehen Sie unter kosmopolitischer Demokratie?
Es gibt zum einen die historische Perspektive auf die erste demokratische parlamentarische Versammlung in Deutschland vor 175 Jahren in der Paulskirche. Bei dieser Betrachtung dominiert der Nationalstaat. Doch heute lassen sich viele Bedrohungen – etwa durch den Klimawandel – nicht mehr nationalstaatlich lösen. Dazu kommt, dass momentan viele Nationalstaaten von autoritären Regimen regiert werden. Wir befassen uns deshalb in der globalen Versammlung damit, wie sich über Grenzen hinweg Demokratie stärken lässt und welche neuen Formen der Teilhabe und Mitsprache für alle es geben könnte.
Wie könnten diese neuen Formen aussehen?
Dazu kann ich zu diesem frühen Zeitpunkt nichts sagen. Denn wir wollen, dass die Teilnehmenden der globalen Versammlungen die Ideen selbst entwickeln. Wir wollen offene Strukturen für Diskussionen schaffen. Ich bin in Afrika aufgewachsen, habe lange in Indien gelebt und alle Kontinente bereist – eine meine zentralen Lebenserfahrungen dabei: Es ist immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich Sachverhalte betrachtet, wie differenziert Forderungen formuliert werden. Egal, wie gebildet oder aufmerksam wir sind: Die eigenen Lebensumstände schränken unsere Wahrnehmung ein. Wir wollen deshalb unterschiedliche Menschen aus aller Welt in den globalen Versammlungen zu Wort kommen lassen.
Wie ist die globale Versammlung zusammengesetzt?
Vorab möchte ich betonen, dass die Auswahl der Teilnehmenden nicht repräsentativ für acht Milliarden Menschen auf der Welt sein kann. Wir haben vor allem Teilnehmende gesucht, die nicht nur in der Theorie beheimatet sind, sondern Ideen tatkräftig umsetzen. Sie sollen wissen, welche die Nöte und Wünsche die Menschen vor Ort umtreiben.
Wie soll der Diskussionsprozess bis zum Abschluss im Jahr 2024 aussehen?
Ich denke vor allem, dass wir zu oft auf das Endergebnis schauen. Dabei ist der Prozess an sich unheimlich lehrreich und wichtig. Und wir wissen vorab auch nicht, wie er ausgeht. Wir wollen einen respektvollen und würdevollen Umgang miteinander auf Augenhöhe ermöglichen.
Wie wird die breite Öffentlichkeit an diesem Prozess teilhaben können?
Diese Aufgabe sollen zuvorderst die sogenannten Chronistinnen und Chronisten übernehmen. Bekannte Autorinnen und Autoren werden die Diskussionen begleiten und darüber Texte verfassen. Damit informieren sie zum einen die Öffentlichkeit, zum anderen sollen ihre Beiträge für weitere Diskussionen sorgen, wie Steine, die ins Wasser geworfen werden.
Die Idee für die „globale Versammlung“ ist wesentlich aus der Initiative „Der Utopische Raum“ in Frankfurt entstanden. Wieso braucht es Utopien?
Ich denke, dass der Großteil der soziopolitischen Errungenschaften als Utopie begann. Ich will dies an einem Beispiel erläutern: Die Abschaffung der Sklaverei begann in Großbritannien mit Forderungen aus Reihen der Quäker, einer kleinen Gemeinschaft. Über 50 Jahre hinweg entstand eine mächtige Graswurzelbewegung. Innerhalb dieser wiederum waren viele Frauen aktiv, die sich allmählich für eine andere Utopie einsetzten: die Gleichberechtigung der Frauen. So entstand aus der Anti-Sklaverei-Bewegung eine Bewegung, die weitere 50 Jahre später das allgemeine Wahlrecht von Frauen errang.
Anders gesagt: Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, stellen wir oft fest: Was einst als utopisch galt, ist heute fester Bestandteil einer gerechten und demokratischen Ordnung. Utopien denken die Möglichkeitsräume voraus, die spätere Generationen betreten.