Vom Geflüchteten zum Unternehmer
Syrische Geflüchtete bauen mit deutscher Unterstützung in der Türkei erfolgreich Geschäfte auf.
Der Präsident der Handelskammer von Gaziantep redet nicht lange um den heißen Brei. Gefragt, wie es um die Integration der mehr als 400.000 syrischen Geflüchteten in der türkischen Zwei-Millionen-Stadt nahe der Grenze zu Syrien stehe, antwortet Mehmet Tuncay Yıldırım mit einem Sprachbild: „Wenn ich das Haus meiner Schwester besuche, frage ich um Erlaubnis, bevor ich den Kühlschrank öffne.“
Yıldırıms Antwort hat eine doppelte Bedeutung: Zum einen sieht er in den Syrern Familienangehörige, jene „Brüder“, die der türkische Präsidenten Recep Tayyip vor mittlerweile mehr als einem Dutzend Jahren begrüßt hatte. Aber das enthebe sie nicht davon, „die Regeln des Hauses einzuhalten“.
Die Regeln einzuhalten, ist für Geflüchtete nicht einfach. Ausländische NGOs und Regierungsstellen versuchen auch in Gaziantep, dabei zu helfen. Seit Jahren ist die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in der Region aktiv. Sie hilft Geflüchteten bei der Integration in den Arbeitsmarkt und dabei, aus illegalen Beschäftigungen legale Geschäfte zu machen.
Das passt zu den „Hausregeln“ von Kammerpräsident Yıldırım: nicht Schwarzarbeiten und den lokalen Arbeitnehmern und Geschäftsleuten keine unlautere Konkurrenz machen. „Wir können nicht registrierte Geschäfte nicht akzeptieren, das schadet unserer Wirtschaft“, ereifert Yıldırım sich hinter seinem wuchtigen Schreibtisch.
Schwieriger Zugang zu regulärer Beschäftigung
So einsichtig das Verlangen ist, so schwer ist es zu erfüllen. Die „informelle Wirtschaft“ wirft lange Schatten, wie die Weltbank 2023 festgehalten hat. Sie bezifferte den Anteil der Schwarzarbeiter in der türkischen Landwirtschaft auf 30 Prozent. Einen „unmittelbaren Zugang zu Arbeitsplätzen“ habe der informelle Arbeitsmarkt, also Schwarzarbeit, syrischen Geflüchteten auch in Textilindustrie, der Lebensmittelherstellung, im Baugewerbe und im Dienstleistungssektor verschafft. 95 Prozent der erwachsenen syrischen Männer im arbeitsfähigen Alter arbeiteten schwarz, von den Frauen arbeite nur jede Zwanzigste, aber auch sie in der Regel schwarz.
„Leider sind die meisten Syrer keine ausgebildeten Arbeitskräfte. Das hat zu Verwerfungen geführt“, sagt Kammerchef Yıldırım. Vorurteile oder schlechte Erfahrungen behindern reguläre Beschäftigung. So sucht der Textilunternehmer Ibrahim Kara in Gaziantep zwar Leute, aber keine Syrer. Die Kulturen seien zu unterschiedlich.
Gründungen mit Hilfe der GIZ
Kara kennt Muhammed Anwar Kattan, Emel Shamma und Alaa Alani nicht. Drei von 3,3 Millionen syrischen Geflüchteten in der Türkei. Sie treten den Gegenbeweis an, als fleißige Arbeiter, tüchtige Geschäftsleute, ehrbare Kaufleute. Sie sind aus dem syrischen Aleppo nach Gaziantep geflohen, der eine früher, die andere später. Jeder hat in Gaziantep ein Geschäft gegründet, mit Unterstützung der GIZ.
Muhammed stellt filigrane Geschenkverpackungen, Werbemittel und Schulmaterialien aus Holz her. Und er fertigt mit einer Handvoll Mitarbeiter im Auftrag der Teppichindustrie containerweise Teppichmuster. Das Geschäft geht gut. Sein Umsatzziel hat der Architekt 2023 übertroffen. Jetzt überlegt er, ob er sich eine zweite computergesteuerte Fräsmaschine kaufen soll.
Emel hat einen Süßwarenbetrieb aufgezogen. Nach Rezepten ihres Großvaters mischt sie Lokum. Mit Erfolg. 2022 hat die 39-Jährige mit ihren in Fruchtsaft eingedickten Pistazien und Nüssen 160.000 Euro umgesetzt, voriges Jahr waren es mehr als 200.000 Euro. 17 Leute arbeiten in ihrer 2020 gegründeten Lokumküche und im Vertrieb. Türkische Hotels und Tourismuszentren sind ihre wichtigsten Abnehmer. Doch auch in den Golfstaaten und nach Deutschland verkauft Emel, die bis 2017 in Aleppo als Hausfrau lebte, ihre Süßigkeiten.
Alaa will mit seinem Unternehmen Aladdin türkischen Hausbesitzern Solarthermie-Anlagen für die Erzeugung von Warmwasser verkaufen und installieren. Für das weitere Wachstum seines Unternehmens sucht der 40 Jahre alte Ingenieur Kapitalgeber.
Begleitung durch die türkischen Bürokratie
Ohne Begleitung durch die GIZ wären sie kaum so weit gekommen. Die Berater helfen Geflüchteten, in den offiziellen Arbeitsmarkt zu kommen. Sie begleiten sie auf dem Weg zur Geschäftseröffnung durch die türkischen Bürokratie. Ganz am Anfang steht die Arbeitserlaubnis, sagt Beytullah Bayar von der GIZ. Davon stelle die Türkei im Jahr nur 100.000 aus, „eine verschwindend geringe Zahl“, heißt es im Weltbank-Report. Restriktive Vorschriften und die Bürokratie seien auch der Grund, weshalb die große Mehrheit der geflüchteten Menschen in der Schattenwirtschaft arbeite.
Zudem kostet die jährlich zu erneuernde Erlaubnis für Ausländer 200 bis 300 Dollar im Jahr. Ein halber Monatsmindestlohn. „Viele Firmen finden das nicht gut“, sagt Bayar. Deshalb hilft die GIZ direkt, etwa beim Lohn oder der Sozialversicherung bis zu sechs Monate. Die Erfahrung zeige: „Viele Firmen wollen die Leute danach halten. So schaffen wir eine stabile Beschäftigung“, sagt Bayar.
Gründern helfe die GIZ bei der Marktanalyse, Kontakten und Behördengängen, sagt GIZ-Berater Ali Azizi, der selbst aus Syrien stammt. Aber längst nicht jede Startup-Idee werde unterstützt. Lebensmittelläden etwa gehörten nicht dazu. Für eine Firmengründung seien bis zu 17 Arbeitsschritte nötig, sagt Aziz: Das reiche von der Steuerbescheinigung, über die E-Signatur bis zum Kartenlesegerät und dem Nachweis eines Feuerlöschers.
1.000 Geschäfte aus der Illegalität geholt
74 Millionen Euro hat die deutsche Regierung für solche Projekte seit 2019 bis 2024 eingeplant. In Gaziantep seien damit mehr als 500 Firmen aus der Illegalität geholt worden, in der ganzen Türkei mehr als 1.000. So seien 1.300 legale Arbeitsplätze entstanden.
Muhammed, Emel und Alaa wollen in der Türkei bleiben. Emel und Alaa haben bereits die türkische Staatsangehörigkeit beantragt. Damit entfielen auch ihre Reisebeschränkungen als geduldeter Geflüchtete. Sie könnten endlich Kunden außerhalb der Provinz besuchen, ohne die Behörden um Erlaubnis bitten zu müssen.