Tsunami: Wie Deutschland akute und langfristige Hilfe leistet
Vor 20 Jahren tötete ein Tsunami im Indischen Ozean rund 230.000 Menschen. Wir stellen drei Projekte vor, die in der Folge entstanden sind.
Die Tsunami-Katastrophe vom 26. Dezember 2004 gilt als eine der größten Naturkatastrophen der jüngeren Geschichte. Um zehn Meter hob sich der Meeresgrund vor der indonesischen Insel Sumatra. Das darauffolgende Erdbeben der Stärke 9,1 löste gigantische Flutwellen an den Küsten der Anrainerstaaten aus, vor allem in Indonesien, Thailand, Sri Lanka und Indien. Sogar in Ländern Afrikas waren die Auswirkungen zu spüren. Etwa 230.000 Menschen starben dabei, Helfende aus der ganzen Welt reisten in die betroffenen Gebiete. Zum 20. Jahrestag stellt deutschland.de drei Projekte vor, die in direktem Zusammenhang mit dem Tsunami initiiert worden sind.
Ein Frühwarnsystem für Tsunamis – GeoForschungsZentrum Potsdam GFZ
Jörn Lauterjung war zu Hause in der Nähe von Potsdam, als er die Nachrichten sah. „Ich dachte nur: Was mag da in den nächsten Tagen noch an schlimmen Nachrichten auf uns zukommen?“, erinnert sich der Physiker. Vier Tage nach der Katastrophe steckte Lauterjung schon mitten in der Arbeit. Er arbeitet damals am GeoForschungsZentrum Potsdam (kurz: GFZ), einem Zentrum der Helmholtz Gemeinschaft deutscher Forschungseinrichtungen, und erstellte mit seinem Team ein Konzept: ein Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean. Am 5. Januar 2005 nahm der damalige deutsche Außenminister das Konzept mit zur ersten Geberkonferenz in Jakarta.
Wenige Wochen später war klar: Indonesien nimmt die Hilfe aus Deutschland an. Das GFZ und neun weitere deutsche Einrichtungen sowie internationale Partner arbeiteten gemeinsam mit indonesischen Expertinnen und Experten an dem System. Jörn Lauterjung erklärt: „80 Prozent aller Tsunamis werden durch Erdbeben ausgelöst. Die Herausforderung in Indonesien ist, dass die Erdbebenzone sehr nah parallel zur Küste verläuft. Bebt die Erde, beträgt die Zeit zwischen Beben und Auftreffen der Flutwelle nur 30 bis 40 Minuten.“ Um ein Erdbeben möglichst schnell lokalisieren zu können, stationierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 400 Seismografen, also Erschütterungsmesser, an der Küste von Indonesien und in anderen Ländern am Indischen Ozean. Außerdem entwickelten sie eine Software und fütterten sie mit 5.000 verschiedenen Szenarien.
„Wird ein Erdbeben aufgezeichnet, ermittelt die Software, ob ein Tsunami entstehen wird, wie groß er sein und wo er auf Land treffen wird. Dann wird die Bevölkerung gewarnt“, erklärt Lauterjung. 15 kleinere und fünf größere Tsunamis habe das Frühwarnsystem in den vergangenen Jahren schon entdecken und die Bevölkerung rechtzeitig warnen können. Damit diese auch wisse, wie sie sich in so einem Fall verhalten soll, erarbeiteten die Deutschen gemeinsam mit indonesischen Forscherinnen und Forschern Evakuierungspläne und schulten die Bevölkerung.
2004 sei absolut niemand auf einen Tsunami dieses Ausmaßes vorbereitet gewesen, sagt Lauterjung. „Wenn es heute noch einmal zu einem derartigen Tsunami kommen sollte, wird es durch das Frühwarnsystem nicht noch einmal so hohe Todeszahlen geben.“ Seit Ende 2011 liegt das Frühwarnsystem in indonesischen Händen. Der größte Erfolg für den ehemaligen Projektleiter: „Für die Indonesierinnen und Indonesier ist es nicht irgendeine Erfindung aus Deutschland, sondern ihr System, in das sie viel Zeit und Ressourcen gesteckt haben und noch stecken.“
Chancen für benachteiligte Kinder – die Yaowawit-Schule in Thailand
Die Flutwelle machte viele Kinder zu Waisen. Ihnen wollte Philipp Graf von Hardenberg helfen. Im Jahr 2006 gründete der deutsche Unternehmer für zunächst 70 Kinder ein Internat im Süden von Thailand, die „Yaowawit School“. Heute, 18 Jahre später, haben die damals vom Tsunami betroffenen Kinder und Jugendlichen längst ihren Abschluss, machen eine Ausbildung oder studieren. „Sie gehen jetzt ihre eigenen Wege“, sagt Pissamai Komkirin, die seit 2018 Lehrerin an der Schule ist.
Doch noch heute verfolgt die Schule das Ziel, Kindern aus schwierigen Verhältnissen, die unter Armut oder Missbrauch leiden, Zuflucht zu geben und eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Dreijährige besuchen auf dem von Dschungel umgebenen Gelände den Kindergarten, die Sechs- bis 15-Jährigen gehen zur Schule. Fächer wie Englisch, Mathe, Naturwissenschaften, Kunst, Schwimmen oder „Farm Work“ auf den zum Gelände gehörenden Plantagen stehen auf dem Stundenplan. Den Unterricht übernehmen thailändische Lehrerinnen und Lehrer. Philipp Graf von Hardenberg leitete die Schule bis 2020 und übergab sie dann in die Hände des thailändischen Königshauses.
Von Hardenberg starb im Herbst 2023, doch der Kontakt zu Deutschland blieb: Pro Jahr absolvieren vier junge Menschen aus Deutschland in dem Internat ein Freiwilliges Soziales Jahr, helfen im Kindergarten, der Schule und bei der Freizeitgestaltung. Denn wenn gegen 16.30 Uhr der Unterricht zu Ende ist, können die Kinder Theater spielen, Thai Dance üben oder auf dem Fußballplatz kicken. Manchmal werden sie dabei von Touristen beobachtet, die im Hotel nebenan ihren Urlaub verbringen und so helfen, die Kosten der Schule zu decken. Auch die Regierung unterstützt das Internat finanziell, für die Kinder ist der Aufenthalt komplett kostenfrei. Pissamai Komkirin sagt, sie liebe an ihrem Job am meisten, dass sie den Kindern dabei helfen könne, die Herausforderungen in ihrem Leben zu meistern.
Schneller und koordinierter im Einsatz – die „FAST“-Einheit des ASB
Unterschiedliche Einheiten des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) aus ganz Deutschland machten sich in den Tagen nach dem Tsunami auf den Weg in die betroffenen Gebiete. Die Katastrophe verdeutlichte der Hilfsorganisation: „Wir müssen unsere Ressourcen besser bündeln und koordinieren, damit wir schneller Soforthilfe leisten können“, sagt Florian Hauke, Referent für die 2006 auch als Reaktion auf die Hilfe nach dem Tsunami gegründete „FAST“-Einheit des ASB. Die Abkürzung steht für „First Assistance Samaritan Team“, aber auch für die Schnelligkeit der Einsatzkräfte. „Im Durchschnitt sind wir eine Woche nach dem Vorfall vor Ort.“;
Die Einheit selbst wäre noch schneller, doch oft dauere es einige Tage, bis alle Einsatzorte identifiziert seien. FAST ist auf Trinkwasseraufbereitung und medizinische Grundversorgung spezialisiert. „Wir bauen aus Zelten eine Art Hausarztpraxis, um chronisch erkrankte oder leicht verletzte Personen zu behandeln“, erklärt Florian Hauke. „Solange, bis das lokale Gesundheitssystem wieder funktioniert.“ Seit 2017 ist FAST von der Weltgesundheitsorganisation als „Emergency Medical Team“ zertifiziert.
Das medizinische Team setzt sich aus ausgebildetem medizinischem Personal zusammen, insgesamt sind 120 Ehrenamtliche aus ganz Deutschland im Pool: Menschen, die sich von der Arbeit freistellen lassen oder Urlaub nehmen, um manchmal Tausende Kilometer entfernt von Deutschland zu helfen. „Ohne die Ehrenamtlichen gäbe es FAST nicht“, sagt Hauke. Er selbst hat als Einsatzleiter schon Teams begleitet, unter anderem nach Haiti, Irak, in die Mongolei, auf die Philippinen oder in die Türkei. „Wir steigen mit einem Briefing ins Flugzeug und wenn wir landen, ist die Lage schon wieder ganz anders. Darauf als Team zu reagieren, sich über die – teils schlimmen – Erlebnisse auszutauschen und den Wiederaufbau zu beobachten, das ist für mich die größte Motivation.“