Alternative Energie für Amazonien
Dezentral und umweltfreundlich: Ein brasilianisch-deutsches Projekt verfolgt einen ganz besonderen Weg der Energieproduktion.
Jair Bolsonaro hat deutlich reagiert. Als die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) wegen der extremen Zunahme der Abholzung im Amazonas-Gebiet ankündigte, Millionen Fördermittel für den Schutz des Regenwaldes zu stoppen, sagte Brasilien Präsident, er brauche das Geld nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel solle damit besser Deutschland wieder aufforsten. Um die deutsch-brasilianischen Beziehungen stand es im Sommer also nicht zum Besten, aber es gibt auch viele positive Beispiele für Kooperationen zwischen Brasilien und Deutschland im Bereich des Klimaschutzes. Das Projekt ProQR zur Entwicklung eines umweltfreundlichen synthetischen Treibstoffs für Flugzeuge, dessen energetische Basis erneuerbarer Strom ist, ist so ein Beispiel.
Seit August 2017 arbeiten das brasilianische Ministério da Ciência, Tecnologia, Inovações e Comunicações (MCTIC, Ministerium für Wissenschaft, Technologie, Innovationen und Kommunikation) und das deutsche Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), das die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beauftragt hat, dabei zusammen. Daran hat auch der Regierungswechsel Anfang 2019 in Brasilien nichts geändert. „Ausgehend von dieser kleinen Gruppe werden weitere Partnerschaften mit Institutionen für Wissenschaft und Technologie, Unternehmen und Behördengeschlossen“, sagt Eduardo Soriano, Ingenieur und Leiter der Abteilung für Branchentechnologien des MCTIC, der auf brasilianischer Seite unter anderem die Nationale Agentur für Erdöl, Erdgas und Biotreibstoffe (ANP) nennt.
Alle Schritte des Projektes würden gemeinsam unternommen. Nach eineinhalb Jahren, in denen geprüft wurde, ob die Ideen auch umsetzbar sind, ist das Projekt derzeit mitten in der zweiten Phase – noch bis Ende des Jahren 2019 sollen zwei Anlagen zur Herstellung von Treibstoffen fertig sein. 2020 können dann Tests mit Flugzeugen gemacht werden. Auf deutscher Seite ist außer der GIZ unter anderem das Deutsche Zentrum für Luft– und Raumfahrt (DLR) beteiligt. Soriano zufolge unterstützt die deutsche Regierung das Projekt mit fünf Millionen Euro, als brasilianische Gegenleistung werde „sicherlich eine sehr viel größere Summe investiert“. Brasilien sei ein ideales Partnerland, sagt Torsten Schwab, Direktor für erneuerbare Energien und Energie-Effizienz und Projektleiter ProQR bei der GIZ in der brasilianischen Hauptstadt Brasília. „Ich kann keine negative Einstellung feststellen.“
Die Nachfrage nach Kraftstoffen im Transportbereich steigt in Brasilien ständig und im Flugverkehr entstehen immer neue Verbindungen in entlegene Gebiete wie Amazonien. Das Land verfügt auch über hohes Potential für klimafreundlichen Luftverkehr. Schon heute ist Brasilien eines der bedeutendsten Länder im Bereich erneuerbare Energien. Ein großer Teil, mehr als 50 Prozent, des brasilianischen Stroms entsteht aus Wasserkraft, zehn Prozent aus Biomasse, etwas mehr als ein Prozent aus Sonnenkraft. Zum anderen ist das Land so vielfältig, dass neben archaischen Gesellschaften etwa im Amazonas-Gebiet in anderen Teilen sich große Ballungen von High-Tech-Industrien finden, zum Beispiel in der Luftfahrtindustrie oder der Erdölindustrie. Embraer mit Sitz im Bundesstaat São Paulo ist nach Boeing, Airbus und Bombardier der viertgrößte Flugzeugbauer der Welt.
Die internationale Luftverkehrsbranche – inklusive Embraer, das nachhaltiges Wirtschaften zu seinen strategischen Zielen zählt – hat sich zu klimaneutralem Wachstum verpflichtet. Deutschland, die Niederlande, Schweden, Finnland und auch Brasilien arbeiten wie viele andere Länder daran, neue Verfahren zum Herstellen von Treibstoffen zu entwickeln. „Die gesamte Branche ist auf der Suche nach Alternativen“, sagt Soriano. „Es gibt geradezu ein weltweites Rennen darum, die Herstellung dieser Treibstoffe rentabel zu machen.“ Dabei kommen verschiedene technische Methoden und unterschiedliche Ausgangsmaterialien, oft aus Biomasse, zum Einsatz. Schwab merkt allerdings an, dass das Rohmaterial nicht in gleichbleibender und ausreichender Menge zur Verfügung steht. „Der große Vorteil des Konzeptes von ProQR ist die Unabhängigkeit von Rohmaterial.“ So soll das Projekt ProQR sogar einen internationalen Referenzfall zur Anwendung alternativer und klimaneutraler Treibstoffe im Luftverkehr schaffen.
Ein neues Produktionsmodell führt dazu, dass durch den Einsatz von erneuerbarem Strom, CO2 und Wasser, mit dezentralen Anlagen, die Treibstoffe auch vor Ort hergestellt werden können. In der Nähe eines Flusses kann Wasserkraft verwendet werden, bei günstigen Windverhältnissen auch Windenergie; Sonnenenergie im allgemeinen in ganz Brasilien. Die Produktionsprozesse laufen dabei in Schiffscontainern ab. Alle zugrunde liegt das Konzept Power-to-Gas, Power-to-Liquids oder Power-to-Fuels, bei dem zeitweilige Überschüsse bei der Stromproduktion (Power) genutzt werden zur Herstellung von Gas, Sprit oder anderen Energieträgern. „Durch den dezentralen Ansatz hat das Projekt sehr großen Pioniercharakter“, sagt Schwab. „Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.“ Schwab geht davon aus, dass das ProQR Projekt globale Auswirkungen haben wird. Der Prototyp wird so entwickelt, dass er an jedem Ort der Welt, auch unter extremen Bedingungen wie in Amazonien funktionieren kann – und das fertige Produkt soll dann auch entsprechend verbreitet werden.
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