Arbeit an der Zukunft
Sonnenenergie in Marokko, Wasserkraft am Nil: ein Überblick über zukunftsweisende Energieprojekte in der Arabischen Welt.
Die Arabische Welt ist reich gesegnet mit Sonne und Wind, doch ihre Stromerzeugung basiert zu 94 Prozent auf Öl und Gas. Lediglich 1,3 Prozent der Elektrizität stammen aus erneuerbaren Energien, weitere 4,7 Prozent aus Wasserkraft – gewonnen durch Staudämme an den großen transnationalen Flüssen der Region. Bei staatlichen Investitionen in neuartige oder effizientere Kraftwerke gab es in den vergangenen Jahren Fortschritte, doch bis zu einer ökologischen Wende ist noch ein langer Weg. Vier wegweisende Projekte aus der Arabischen Welt:
Marokko: Sonnen- und Windenergie
Marokko entwickelt sich bei der Sonnen- und Windenergie zu einem regionalen Vorreiter. Das Königreich hat wenig Öl und viel Wüste, mit deren unwirtlicher Hitze durchaus ein Geschäft zu machen ist. Zum Beispiel in Ouarzazate im Süden des Landes. Das Anfang 2016 hier in Betrieb genommene Solarkraftwerk Noor I zählt neben Solar Star in Kalifornien zu den größten der Welt. Zwei weitere Stufen sollen in den kommenden Jahren folgen, die Ende 2020 insgesamt 580 Megawatt produzieren. An der Finanzierung von Noor II, das momentan gebaut wird, ist die deutsche KfW Bankengruppe mit 650 Millionen Euro beteiligt. Insgesamt möchte Marokko fünf Sonnenkraftwerke errichten mit einer Gesamtkapazität von 2.000 Megawatt. Zusammen mit einem halben Dutzend Windparks und 200 geplanten Staudämmen will das nordafrikanische Land bis 2030 mehr als die Hälfte seiner Stromproduktion von 20.000 Megawatt mit alternativen Energien bestreiten.
Vereinigte Arabische Emirate: Eine Stadt ohne Treibhausgase – Masdar City
Einen komplexeren Weg gehen die Vereinigten Arabischen Emirate am Golf. Uralte Erfahrungen, modernste Technik und futuristische Architektur – das sind die Zutaten für Masdar City, geplant nahe der Hauptstadt Abu Dhabi als ökologisches Märchen aus Tausend-und-einer-Nacht. In seinen Architekten-Modellen tragen die geschwungenen Dächer Solarzellen. Die orange-roten Wohnblocks erinnern mit ihren Rundungen an traditionelle arabische Siedlungen. Überall gibt es Gassen und Innenhöfe. Die Bebauung ist bewusst eng konzipiert, um Hitze durch direkte Sonneneinstrahlung zu reduzieren und möglichst viel Schatten zu erzeugen. Selbst die bewährte Kühlung durch althergebrachte Windtürme soll wieder aufleben. Einige große Gebäude will das Team um den britischen Stararchitekten Sir Norman Foster mit einem Ring von riesigen modernen Windkanälen ummanteln. 45.000 Menschen sollen einmal in Masdar City leben, dessen Name übersetzt „Quelle“ heißt. Eine Stadt ohne Autos, Treibhausgase und Müllberge – so lauteten 2008 die ehrgeizigen Ankündigungen ihrer Macher. Inzwischen ist es still geworden um das hochfliegende Zukunftsprojekt. Die finanziellen und technischen Probleme häufen sich, der Schwung ist dahin, das ursprünglich geplante Eröffnungsjahr 2016 verstrichen. Jetzt wird als neuer Termin 2025 genannt.
Ägypten: Das größte Gaskraftwerk der Welt
Ägyptens Ziele dagegen sind realistischer. Zusammen mit dem Siemenskonzern setzt die Nation am Nil auf eine Doppelstrategie – mehr Effizienz bei herkömmlicher Energie und mehr Kapazität bei erneuerbarer Energie. 30 Autominuten vor den Toren von Kairo bauen die Deutschen das größte Gaskraftwerk der Welt. Gleichzeitig entstehen zwei baugleiche Schwestergiganten in Beni Suef am Nil und in Borollos am Mittelmeer, die einmal Strom für 45 Millionen Menschen liefern können, das entspricht etwa der Hälfte der ägyptischen Bevölkerung. 14.400 Megawatt sollen die drei Kraftwerke Ende 2018 produzieren und damit die gesamte Stromversorgung des Landes auf neue Beine stellen – für Ägypten ein Projekt der Superlative und für Siemens der größte Auftrag in seiner Firmengeschichte. Die Gasturbinen sind noch nie zuvor verwendete Giganten mit sechs Metern Durchmesser und einem Gewicht von 500 Tonnen, die von Berlin und Mülheim aus über den Hafen Alexandria herangeschafft werden. Ihr Wirkungsgrad liegt bei 60 Prozent, ein Drittel höher als in den bisherigen ägyptischen Anlagen. Beim Gaseinsatz spart das Land dadurch 1,2 Milliarden Euro pro Jahr, sodass sich die Investitionskosten von sechs Milliarden Euro bereits nach fünf Jahren amortisieren. In einem zweiten Schritt will der Münchner Konzern zwölf Windparks errichten, die weitere 2.000 Megawatt beisteuern. Die Rotorblätter für die 600 Windräder sollen von Ende 2017 an in einer Fabrik in Ain Sukhna am Roten Meer hergestellt werden. 1.000 junge Ägypter will Siemens dafür schulen und einstellen.
Sudan: Wasserkraft
Weniger reibungslos umsetzbar sind in der arabischen Region die großen Energieprojekte mit Wasserkraft. In gesamten Orient fehlen verbindlichen Verträge, um die Nutzung der großen grenzüberschreitenden Flüsse zu regeln. Um Euphrat und Tigris streiten Türkei, Syrien und der Irak. Der Nil entzweit Äthiopien, Ägypten und Sudan, der Jordan Israel und Jordanien sowie der Karun Iran und Irak. Vor allem Staudammprojekte sorgen regelmäßig für Streit und Unruhe. Die größten Dämme der Region entstehen derzeit an den Oberläufen von Nil und Tigris. Am Blauen Nil baut Äthiopien den „Grand Ethiopian Renaissance Dam“, am Tigris die Türkei den Illisu-Damm. Die Wassermengen, die für die Turbinen aufgestaut werden müssen, sind so gigantisch, dass sie den Flüssen beim Befüllen der Becken und später durch Verdunstung erhebliche Mengen ihres Volumens entziehen. Anders als Äthiopien, die Türkei und Iran, liegen die arabischen Staaten alle an den Unterläufen. Entsprechend begrenzt sind ihre Möglichkeiten, neue zusätzliche Staudämme zu errichten. Das jüngste Projekt ging 2009 im Sudan am vierten Nil-Katarakt ans Netz, 350 Kilometer nördlich von Khartum. Der Merowe-Damm liefert maximal 1.250 Megawatt und verdoppelte damit die bisherige sudanesische Stromproduktion. Die lokalen Bewohner jedoch zahlten einen hohen Preis. 50.000 Menschen mussten aus dem fruchtbaren Niltal in die Nubische Wüste umsiedeln. Ihre Dörfer versanken in den Fluten des 175 Kilometer langen künstlichen Sees.