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Energiewende international

Unterwegs mit Besuchern aus der ganzen Welt, die wissen möchten, wie Deutschland sein Energiesystem umstellt. In einem kleinen Ort nahe Greifswald erfahren die Gäste, wie viel Kraft der Wandel kostet – und warum er trotzdem nötig ist.

24.06.2016
© Helen Sibum - International Energy Transition

Vergangenheit und Zukunft deutscher Energiepolitik liegen an diesem Morgen ganz nah beieinander. Vorbei an unzähligen Windrädern in den grünen Weiten der Uckermark geht es zu einem stillgelegten Atomkraftwerk nahe Greifswald. Gerade taucht vor den Fenstern des Reisebusses wieder ein besonders ausgedehnter Windpark auf. Paul Allen Young, der eben noch vom Energiesystem in seiner Heimat Neuseeland erzählt hat, entschuldigt sich und greift zum Fotoapparat: „Sorry, aber das ist jetzt echt beeindruckend.“ Zwar setzt auch Neuseeland auf Erneuerbare Energien, sie machen dort rund 80 Prozent des Strommix‘ aus. Der Großteil davon speist sich jedoch aus Wasserkraft. Beim Ausbau anderer erneuerbarer Quellen fehle es an Entschiedenheit, findet Young.

Deshalb ist der Gründer der Nichtregierungsorganisation „Generation Zero“, die sich für die Reduzierung der CO2-Emissionen stark macht, nun in Deutschland. Er möchte wissen, mit welchen politischen Instrumenten die Energiewende hier vorangetrieben wird. Gemeinsam mit 16 weiteren Journalisten, Wissenschaftlern und Vertretern von NGOs informiert er sich im Rahmen des Besucherprogramms der Bundesrepublik Deutschland an verschiedenen Orten über die Energiewende. Anlass der einwöchigen Themenreise, die das Ecologic Institut organisiert hat, ist die Atomkatastrophe von Tschernobyl vor 30 Jahren. Viele Teilnehmer der Reise kommen aus Entwicklungs- und Schwellenländern, die derzeit einen deutlich steigenden Energiebedarf decken müssen.

Argumente sammeln für die Debatte im Heimatland

So auch Nigeria. „Es gibt in meinem Land ein massives Energie- und Infrastrukturdefizit“, sagt Feyisayo Folashade Ajayi von der Nigerian Economic Summit Group. Die NGO stärkt den Dialog zwischen öffentlichem und privatem Sektor in dem westafrikanischen Land. Dabei geht es zunehmend um die Frage, wie Erneuerbare Energien gefördert werden können. „Wir haben viel Wind und Sonne, die Voraussetzungen sind eigentlich gut“, sagt Ajayi. Doch weil es in Nigeria keine Hersteller von Solar- und Windkraftanlagen gibt, muss die gesamte Technik importiert werden – was sie wegen der hohen Zölle schier unbezahlbar macht. Ajayi will das ändern, in Deutschland versorgt sie sich mit Argumenten. Bei einem Besuch im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und in Gesprächen mit Forschern und Unternehmensvertretern hat sie bereits erfahren, welches Potenzial regenerative Energien für den Arbeitsmarkt haben. „Die Investition zahlt sich aus“, ist sie überzeugt.

Ein paar Reihen weiter vorne im Bus sitzt Syeda Rizwana Hasan aus Bangladesch. Für Solarenergie muss die Umweltanwältin in ihrer Heimat nicht mehr werben – das rasante Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung führt dazu, dass in Bangladesch derzeit so viele neue Solaranlagen installiert werden wie in kaum einem anderen Land der Welt. Doch die Regierung hat angesichts des immensen Energiebedarfs weitere Pläne: den Bau des landesweit ersten Atomkraftwerks. Hasan interessiert sich deshalb besonders für das Reiseziel dieses dritten Tages der Reise, das Atomkraftwerk in Lubmin.

Wo die Hypothek der Kernenergie greifbar wird

Das Werk an der Ostsee ging 1973 teilweise in Betrieb und spielte für die Stromversorgung der ehemaligen der DDR eine wichtige Rolle. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 wurde es stillgelegt – hohe Investitionen wären nötig gewesen, um es auf einen zeitgemäßen sicherheitstechnischen Stand zu bringen. Beim Rundgang erfahren die internationalen Besucher, wie aufwändig nun der Rückbau ist. Fast 700 Menschen arbeiten heute noch auf dem Gelände. Unzählige Teile müssen zerlegt, dekontaminiert und entsorgt werden. Die Gäste wollen es genau wissen: Was wird das kosten – und mit welchem Betrag hatte man gerechnet? Zunächst habe ein Budget von 4,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestanden, sagt Gudrun Oldenburg von den Energiewerken Nord. Das Unternehmen, dessen alleiniger Gesellschafter das Bundesfinanzministerium ist, kümmert sich auch um Entsorgung und Zwischenlagerung der Brennelemente und radioaktiven Abfälle. „Derzeit geht man davon aus, dass Kosten von 6,2 Milliarden Euro entstehen.“

Das macht nachdenklich. „Wenn der Umgang mit dem Atommüll selbst für Deutschland eine solche Herausforderung ist – wie soll er bei uns in Bangladesch gelingen?“, fragt Syeda Rizwana Hasan. Auch Orsolya Fülöp aus Ungarn schaut besorgt. Genau wie in Deutschland stellt sich in ihrer Heimat derzeit die Frage nach der Endlagerung von radioaktivem Abfall – zugleich gibt es Pläne für den Bau eines neuen Atomkraftwerks. Fülöp ist Fachdirektorin von Energiaklub, einem „Think- and Do-Tank“, wie die junge Frau lächelnd betont. An der deutschen Energiewende fasziniert sie, dass es ein Prozess „von unten“ war. Nach wie vor ist ihr allerdings ein Rätsel, woher die deutsche Leidenschaft für diesen Wandel und vor allem für den Atomausstieg kommt. „Das ist weltweit einmalig.“ Bei einem Gespräch am Vortag mit Bärbel Höhn, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Vorsitzende des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, sei sie dem Phänomen ein Stück näher gekommen, glaubt Fülöp. Nun hofft sie auf weitere Antworten am nächsten Tag der Reise. Dann geht es ins Wendland, zur Bürgerinitiative gegen das Atommülllager Gorleben.

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