Forschung zum Schutz von Meereswäldern
Die Europäische Biodiversitätspartnerschaft Biodiversa+ unterstützt länderübergreifende Zusammenarbeit – zum Beispiel bei der Forschung zu Seeigeln.
Meereswälder aus Makroalgen gehören zu den artenreichsten Lebensräumen im Mittelmeer. Auch für Fischerei und Tourismus sind sie von großer Bedeutung. Doch menschliche Einflüsse und die Auswirkungen des Klimawandels setzen diese produktiven Ökosysteme unter Druck. Wie sich gegensteuern lässt, erklärt die Meeresökologin und Fischereiexpertin Lotta Kluger. Die Wissenschaftlerin vom Center for Ocean and Society (CeOS) / Kiel Marine Science (KMS) an der Universität Kiel entwickelt gemeinsam mit Forschenden aus Spanien, Italien und Frankreich Instrumente zum Erhalt der Biodiversität im Mittelmeerraum.
Frau Dr. Kluger, die Europäische Biodiversitätspartnerschaft Biodivera+ plant und finanziert Forschung zu biologischer Vielfalt, Ökosystemleistungen und naturbasierten Lösungen, darunter auch Ihr Projekt „Management nachhaltiger Seeigelfischerei und Schutz von Meereswäldern (MurFor)“. Worum geht es dabei?
Wir schauen uns die Meereswälder aus Makroalgen im Mittelmeerraum an. Das sind sehr artenreiche Ökosysteme – man könnte auch sagen: Hotspots der Biodiversität. Der Seeigel spielt darin eine Schlüsselrolle. In einigen Regionen ist dieses sehr produktive Ökosystem durch menschliche Einflüsse und auch die Auswirkungen des Klimawandels aus dem Gleichgewicht geraten. Doch bislang fehlt ein wirksames koordiniertes Management von Seeigelfischerei und Lebensräumen. Diese Lücke wollen wir mit unserem auf drei Jahre angelegten Projekt schließen.
Wo sind ihre Untersuchungsgebiete?
Wir konzentrieren uns auf zwei Standorte, zum einen in Katalonien in Spanien, zum anderen in Sardinien in Italien. Dort scheint der Kipppunkt bereits in greifbarer Nähe, also die kritische Schwelle, ab der ein Ökosystem „umzukippen“ droht. Im spanischen Katalonien wurden die Fischarten, die sich normalerweise von den Seeigeln ernähren, überfischt, sodass sich die Seeigel unkontrolliert vermehren konnten. Sie sind einer der wichtigsten Pflanzenfresser im Mittelmeer. Steigt ihre Population massiv an, werden die Unterwasserwälder sehr stark von ihnen abgeweidet. In Sardinien ist es umgekehrt. Dort wurde der Seeigel intensiv abgefischt. Das führt zu einem Rückgang der Fischarten, zu deren Beute er gehört.
Warum ist das ein Problem?
Um es ganz schlicht zu sagen: Wenn ein Ökosystem aus dem Gleichgewicht kommt, führt das zu Problemen, etwa bei der biologischen Vielfalt. Man kann sich Meereswälder vorstellen wie Wälder auf dem Land. Sie schaffen Lebensräume oder auch Schutzräume für kleine und große Fische und andere Lebewesen. Wenn sie fehlen, sind sie ihren Fressfeinden stärker ausgesetzt. Andere Arten hängen ihre Eipakete an die Wälder, also auch für die Reproduktion ist das sehr wichtig.
Enorme negative Folgen gibt es aber auch für die Fischerei und für den Tourismus. Die spanische Region, die wir untersuchen, ist zum Beispiel sehr touristisch und für Taucher interessant. Durch die Meereswälder zu tauchen oder zu schnorcheln, ist total beeindruckend. Wenn die Wälder weggegrast werden von den Seeigeln, leidet also auch der lokale Tourismus. In Sardinien hingegen sind Seeigel Teil der lokalen Ernährungskultur und auch bei Touristinnen und Touristen als Delikatesse beliebt – ihre Überfischung stellt hier ebenfalls ein Problem für den Tourismus dar.
Sie arbeiten in dem Forschungsprojekt interdisziplinär und länderübergreifend. Wer ist mit an Bord?
Wir sind rund 20 Forschende aus Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland, die von ganz unterschiedlichen Instituten, Universitäten und Forschungseinrichtungen kommen. Außerdem binden wir auch Master-Studierende ein. Da entstehen während des Projekts oft viele neue Ideen und neue Fragen, aus denen man weitere Folgeprojekte entwickeln kann. Es gibt Ökologen, die vor Ort rausfahren und sich anschauen, wie viele Seeigel es pro Quadratmeter gibt. Beteiligt sind aber auch Ökonomen, die Interviews und Workshops durchführen und die lokalen Nutzergruppen mit einbinden, also die Fischerei, den Tourismus, die Behörden.
Wir arbeiten auch mit lokalen Fischern zusammen, die mit uns aufs Meer fahren und die Küstenregion aus dieser Perspektive einfach am besten kennen. Ich selbst bringe einen starken Fokus auf sozial-ökologische Fragestellungen mit, also eine Perspektive, die schaut, was ist mit der Ernährungssicherheit und wie können Menschen sich anpassen, wenn ein Ökosystem sich verändert und damit auch ihre Lebensgrundlage.
Was passiert mit den Daten, die Sie sammeln?
Wir überführen die Daten beispielsweise in Ökosystem-Modelle oder in Modelle, die das gesamte sozial-ökologische System beschreiben. Das ist ziemlich komplex. Dabei nutzen wir auch Daten, die schon vorhanden sind und von den beteiligten Forschenden in vorherigen Projekten erhoben wurden. Viele arbeiten ja schon seit Langem an diesen Themen. Mit dem Modell, das wir erstellen, können wir dann Szenarien durchspielen, etwa der Frage nachgehen: Was passiert, wenn die Seeigel absterben? Oder: Welche anderen Arten vermehren sich dann stark? Wie wird sich das auf die Biodiversität und die Menschen in der Region auswirken?
Die Ergebnisse sollen mit den Fischern und anderen Nutzergruppen diskutiert werden, auch um ihnen hilfreiche Informationen zur Verfügung zu stellen. Zum Abschluss des Projekts wird es auch eine Zusammenfassung für die politisch Verantwortlichen auf nationaler und auf EU-Ebene geben, um ihnen gut-informierte Entscheidungen zu ermöglichen.