Gemeinsam raus aus der Kohle
Für viele Regionen in Europa ist der Kohleausstieg schmerzhaft. Um ihn zu meistern, haben sie sich zusammengetan.
Im Jahr 2050 will die EU klimaneutral sein. Vor allem die Kohleregionen stehen deswegen vor einer großen Herausforderung. Damit der Übergang gelingt, sind frische Ideen und eine gute Zusammenarbeit gefragt.
Welche Ansätze gibt es, um Kohleregionen beim Strukturwandel zu unterstützen?
In Deutschland hat die Kohlekommission Empfehlungen erarbeitet, wie soziale und wirtschaftliche Folgen des Kohleausstiegs gemildert werden können. Dazu gehören die Ansiedlung von Bundesbehörden, Forschungseinrichtungen und Hochschulen in den Kohleregionen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Mit Strukturhilfen von mehr als 40 Milliarden Euro will die Bundesregierung die deutschen Kohleregionen beim Umstieg unterstützen. Auch die EU-Kommission hat mehr Geld in Aussicht gestellt: Im Rahmen ihres „European Green Deal“ hat sie den „Just Transition Fund“ eingerichtet, der bis 2027 insgesamt 100 Milliarden Euro für den Strukturwandel in Kohleregionen, aber auch Regionen mit Schwerindustrie mobilisieren soll. Darüber hinaus soll der „Sustainable Europe Investment Plan“ mit einer Billion Euro bis 2030 helfen, grüne Projekte zu finanzieren. So fördert die EU zum Beispiel auch „Regions Beyond Coal“.
Was ist „Regions Beyond Coal“?
Seit 2017 beschäftigt sich das Projekt der Umweltorganisation WWF mit der Frage, wie in Europas Kohleregionen ein sozial gerechter Strukturwandel gelingen kann. Das Projekt, das durch die EU-Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums (EUKI) gefördert wird, konzentriert sich auf Veränderungen vor Ort. Ausdrücklich stellt es die Beteiligung der betroffenen Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Initiativen in den Mittelpunkt. Ziel ist, sie darin zu unterstützen, den Strukturwandel aktiv zu gestalten. Vier Länder mit Kohleregionen sind beteiligt: Deutschland (Ruhrgebiet und Lausitz), Bulgarien (Südwestbulgarien), Griechenland (Westmakedonien) und Polen (Schlesien). Der Schwerpunkt liegt damit auf Ost- und Südeuropa, wo die Abhängigkeit von der Kohle häufig noch besonders groß ist.
Warum genau ist der Ausstieg so schwierig?
In den betroffenen Regionen ist die Kohlewirtschaft oft der wichtigste Arbeitgeber. „Wir können den Betroffenen nicht einfach sagen, dass der Kohleausstieg in ihrer Region nötig ist, ohne uns Gedanken zu machen, was danach kommt“, sagt Juliette de Grandpré vom WWF Deutschland. „Die Kohleregionen haben jahrzehntelang zum Wohlstand Europas beigetragen. Für einen gerechten Wandel müssen wir sicherstellen, dass sie vom Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft profitieren.“ Dabei geht es dem Projekt nicht nur um die Bergarbeiter. „Es geht auch um ihre Community“, sagt de Grandpré. „Also auch um den Bäcker, bei dem die Bergleute ihre Brötchen kaufen.“
Wie geht das Projekt an die Aufgabe heran?
„Wir haben zuerst geschaut, welche Potenziale es gibt und dann gemeinsam Roadmaps erarbeitet, also Übergangspläne und Ansätze für nachhaltiges Wirtschaften“, sagt Juliette de Grandpré. „Und wir haben die Vertreter der Regionen zusammengebracht.“ In Bulgarien beispielsweise saßen zum ersten Mal alle Beteiligten an einem Tisch, um über den anstehenden Strukturwandel zu beraten. „Sie kannten sich vorher gar nicht und kamen so überhaupt erst ins Gespräch.“ Auch der Austausch zwischen den vier beteiligten Regionen wird gestärkt. „Delegationen aus den jeweiligen Ländern besuchen die anderen Regionen, um zu schauen, wie man es machen kann und wie nicht.“ Eine der Studienreisen führte etwa ins Ruhrgebiet, wo die Steinkohleindustrie den Strukturwandel bereits hinter sich hat.
Wichtige Entscheider in den Regionen sind die Bürgermeister der einzelnen Städte. Wie sind sie eingebunden?
Für eine stärkere Vernetzung wurde das „Forum of Mayors on Just Transition“ gegründet, ein Zusammenschluss der Bürgermeister aus Regionen, die vom Strukturwandel betroffen sind. Das Forum trifft sich jährlich in einer der Projektregionen, zuletzt in Weißwasser in der Lausitz. „Auf solchen Tagungen können gemeinsame Herausforderungen und neue Lösungsstrategien diskutiert werden“, sagt Torsten Pötzsch, Bürgermeister von Weißwasser. „Das spart beim Strukturwandel wertvolle Zeit.“ Dass Kommunen, Städte und damit Menschen vor Ort beteiligt werden, erhöht aus Pötzschs Sicht deutlich die Chancen auf Erfolg. Positiv sei auch der Blick über den europäischen Tellerrand hinaus. „Erst dadurch ist es möglich, richtige Entscheidungen im Strukturwandel zu treffen, damit unsere Kinder und Kindeskinder hier vor Ort eine gute Perspektive haben.“ Dem Forum gehören auch Bürgermeister aus europäischen Kohleregionen an, die nicht an dem Projekt beteiligt sind. 61 Bürgermeister haben mittlerweile eine Erklärung unterzeichnet, in der sie mehr Unterstützung fordern und sich zugleich zum Pariser Klimaabkommen bekennen.