Die digitale Spaltung verringern
Wie digital ist Deutschland? Die Initiative D21 hat mehr als 16.000 Menschen zu ihren Gewohnheiten und Einstellungen befragt.
„Unsere Vision ist: Alle Menschen sollen bestmöglich von der Digitalisierung profitieren“, sagt Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin der Initiative D21. Um für den Weg dahin eine Basis zu schaffen, erstellt das Netzwerk seit 2013 jedes Jahr den D21-Digital-Index, ein Lagebild zur digitalen Gesellschaft. Im Februar 2021 ist die neue Ausgabe erschienen. Mehr als 16.000 Menschen nahmen an der Studie teil.
Frau Müller, ganz pauschal gefragt: Wie digital ist Deutschland?
Auf einer Skala von 0 bis 100 haben wir diesmal einen Index-Wert von 60 Punkten ermittelt, also einen mittleren Wert. Er ergibt sich aus verschiedenen Aspekten: Wie ist die Einstellung der Menschen zur Digitalisierung? Wie digital kompetent sind sie? Wie vielfältig nutzen sie digitale Möglichkeiten? Haben sie überhaupt Zugang zur digitalen Welt? Wir sehen bei dem Wert seit Jahren eine leichte Steigerung. Allerdings werden die technologischen Anforderungen ebenfalls höher – wir passen die Messlatte deshalb immer an. Unterm Strich hält die deutsche Gesellschaft mit und legt sogar etwas zu.
Sie sprechen in Ihrer Studie von einem „Corona-Schub“. Wie zeigt der sich konkret?
Bei der privaten Nutzung haben sich viele Aktivitäten stärker in den digitalen Raum verlagert: Kulturelle Angebote, Kommunikation, Einkauf – all das findet in hohem Maße digital statt. Übrigens erschließt sich auch die ältere Zielgruppe zunehmend diese Welt – ein Beispiel ist der Video-Chat der Großeltern mit den Enkelkindern. Daran sieht man: Distanz muss überbrückt werden und die Menschen finden Wege dafür. Auch in der Arbeitswelt hat Corona einen digitalen Schub geleistet: Fast jeder dritte Befragte nutzt die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten – eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr.
Etwas schwerer zu überbrücken scheint die Distanz im Bereich Bildung. Zwei Drittel der befragten Schülerinnen und Schüler sowie Lehrenden sehen Hürden beim Homeschooling. Wo liegen die Probleme und welche Perspektiven gibt es?
Weil in den Schulen vor der Pandemie meist klassischer Präsenzunterricht mit gedruckten Lernmaterialien stattfand, war der Sprung ins Digitale viel größer als in der Arbeitswelt, wo viele Unternehmen schon vorher mit digitalen Tools gearbeitet haben. Um digitales Lernen zu ermöglichen, muss man unserer Ansicht nach an drei Stellschrauben drehen: Da ist zum einen die Infrastruktur, womit nicht nur Geräte gemeint sind, sondern auch Zugang, Wartung und Software. Der zweite Faktor ist die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte. Und drittens müsste man stärker auf digitale Inhalte setzen. Hier sollte Deutschland besser aufgestellt sein – in anderen Bereichen sind wir viel weiter.
Fortschritte gibt es laut Ihrer Studie zum Beispiel bei der Teilhabe: Die „digitale Spaltung“ wird kleiner. Wird sich dieser Trend fortsetzen?
Grundsätzlich werden die Menschen digital souveräner. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, denn wir haben es mit einer enormen Dynamik in der digitalen Entwicklung zu tun, man denke etwa an Künstliche Intelligenz. Das Weltwirtschaftsforum hat gerade seinen neuen Global Risk Report vorgestellt. Digitale Ungleichheit steht auf der Liste der größten Risiken der nächsten Jahre auf Platz 7.
Wo bestehen diese Ungleichheiten in Deutschland?
In Deutschland gibt es immer noch 8,5 Millionen Menschen, die offline sind. Zu ihnen gehören vor allem Menschen über 70 und solche mit niedriger Bildung. Ihre Chancen, am digitalen Fortschritt teilzuhaben, sind gering. Corona hat nochmal klargemacht: Je stärker sich die Digitalisierung beschleunigt, desto mehr muss man tun, um das Risiko der Spaltung zu minimieren.
Ein weiteres Risiko stellen Desinformation und Fake News dar. Ein gutes Drittel der für Ihre Studie Befragten sieht die Demokratie durch die Digitalisierung gefährdet. Wie kann die digitale Gesellschaft mit dieser Bedrohung umgehen?
Die US-Wahlen haben uns gerade wieder gezeigt, wie schnell sich Desinformationen verbreiten und was sie bewirken können. Das Thema wird auch uns in diesem Bundestagswahljahr beschäftigen. Hier muss man frühzeitig aufklären und entgegenwirken, etwa durch die Förderung von Organisationen, die Fact-Checking betreiben, und durch weitere Regulierung. Dabei sollten wir allerdings nicht ausschließlich auf die großen Plattformen blicken, sondern auch auf den Bereich „Dark Social“: Kommunikation verlagert sich zunehmend auf verschlüsselte Messenger-Dienste. Da entstehen ganz neue Dynamiken.
Wie können Ihre Ergebnisse als Impulse für politisches Handeln dienen?
Wir wollen ein verlässliches, neutrales Lagebild zur Digitalisierung in Deutschland schaffen, das Entscheidern als Grundlage zu Weichenstellungen für die Zukunft dient. Darüber hinaus möchten wir die Politik auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen aufmerksam machen, um Lösungsansätze zu schaffen. Damit das gelingt, binden wir relevante Akteure aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft schon in die Planung der Studie mit ein
Sie regen angesichts der Corona-Pandemie eine stärkere Anwendung digitaler Möglichkeiten im Gesundheitsbereich an. Woran denken Sie?
Digitale Gesundheit ist im Alltag in Deutschland noch ein relativ junges Thema – erst Anfang 2020 wurden die rechtlichen Grundlagen für Telemedizin geschaffen. Seitdem kann man beispielsweise digitale Rezepte ausstellen oder digitale Patientenakten anlegen. Allerdings werden diese Anwendungen bislang kaum genutzt, was natürlich auch daran liegt, dass die Gesundheit ein besonderer Vertrauensbereich ist. Wir müssen also Ängste abbauen und den Menschen Gelegenheit geben, Erfahrungen mit den neuen Möglichkeiten zu machen. Hier bietet Corona eine Chance, die wir nutzen sollten.
Die Initiative D21 ist Deutschlands größtes gemeinnütziges Netzwerk für die digitale Gesellschaft. Beteiligt sind Partner aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Mit Studien und Diskussionsforen gibt der Verein Impulse für die Gestaltung des digitalen Wandels.