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„Über 30 Prozent mehr Export“

Wer profitiert am meisten vom neuen Freihandelsabkommen der EU und Japan? Marcus Schürmann, Geschäftsführer der Auslandshandelskammer Japan, sieht riesiges Potenzial.

Martin Orth, 05.09.2018
Shopping in Shibuya: Das Angebot dürfte noch größer werden.
Shopping in Shibuya: Das Angebot dürfte noch größer werden. © ferrantraite/Getty Images

Herr Schürmann, die Europäische Union hat mit Japan ihr bislang größtes Freihandelsabkommen abgeschlossen. Ein Grund zum Jubeln nach den protektionistischen Tendenzen in anderen Ländern? 
Der wichtigste Grund zum Jubeln ist, dass das Abkommen die Handelsbeziehungen zwischen Japan und der EU wesentlich intensivieren wird. Ich erwarte eine dynamische Handelsentwicklung in beide Richtungen. Das ist gut für Unternehmen und Arbeitsplätze. Ich betrachte den Vertrag auch als einen weiteren Beweis für eine Neuorientierung Japans. Japan profiliert sich in Asien als verlässliche Stütze des regelbasierten Freihandels und schaltet den nächsten Gang bei der Globalisierung ein. Das ist ein Signal aus Japan, das häufig übersehen wird.

Marcus Schürmann: Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Japan und Geschäftsführer der AHK Japan
Marcus Schürmann: Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Japan und Geschäftsführer der AHK Japan © dpa
Die Brüsseler Kommission sagt ein Wachstum um 180 Prozent im Agrarbereich voraus.
Marcus Schürmann, Geschäftsführer der AHK Japan

In welchen Bereichen werden die EU bzw. Japan am meisten profitieren, wenn das Abkommen 2019 in Kraft tritt? 
Aus EU-Sicht gehören Pharmazeutika, medizinische Geräte, Fahrzeuge und Lebensmittel zu den größten Nutznießern. Zum Beispiel sagt die Brüsseler Kommission ein Wachstum um 180% im Agrarbereich voraus, weil japanische Zölle auf Käse, Wein und Schweinefleisch wegfallen. Eine zweite wichtige Öffnung gibt es bei Dienstleistungen, etwa in den Bereichen Finanzen, Telekom, Transport und Distribution. Japan dürfte sich am meisten über Vorteile für die Automobilindustrie freuen. Der Importzoll von heute 10% wird innerhalb von acht Jahren vollständig verschwinden. Auch die Zölle für Automobilteile fallen weg.

Und welche Branchen der deutschen Wirtschaft können sich Hoffnungen auf bessere Japangeschäfte machen? 
Deutschland ist unter anderem stark in Chemie und elektrischen Maschinen. Für diese Sektoren schafft das Abkommen zusätzliche Freiräume. Auch die deutsche Fleisch- und Milchwirtschaft sehe ich mittelfristig als Nutznießer. Deutsche Unternehmen zum Beispiel aus dem Eisenbahnsektor dürften davon profitieren, dass Japan den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen verbessert. Ein häufig unterschätztes Potenzial der Handelsbeziehungen mit Japan liegt auch in Geschäften mit japanischen Partnern außerhalb von Japan. Laut unserer letzten Geschäftsklimaumfrage erzielen 60% der befragten Unternehmen für jeden Euro Umsatz in Japan mindestens einen weiteren Euro Umsatz mit japanischen Kunden in anderen Teilen der Welt. Und für ein Drittel dieser Gruppe beträgt der zusätzliche Umsatz mit japanischen Kunden außerhalb Japans sogar mindestens das Vierfache des Umsatzes in Japan.

Das Abkommen soll zu einer Steigerung des Handelsvolumens um über 32 Prozent führen.
Marcus Schürmann, Geschäftsführer der AHK Japan

Japan liegt beim Export nur auf Platz 17 der deutschen Handelspartner, beim Import auf Platz 15. Rechnen Sie dennoch mit spürbaren volkswirtschaftlichen Effekten? 
Das Abkommen soll zu einer Steigerung des Handelsvolumens in Richtung Japan um über 32% in den nächsten fünf Jahren führen. Importe in die EU sollen im selben Zeitraum um 23% gesteigert werden. Somit wird Deutschland als größte EU-Volkswirtschaft daran erheblich partizipieren. Gemessen an den Anfragen an die AHK Japan gibt es auf deutscher Seite jedenfalls ein erkennbar gewachsenes Interesse, über Partner oder eine eigene Gesellschaft in den japanischen Markt einzutreten. Darunter sind auch bislang wenig erschlossene Geschäftsfelder, beispielsweise die IT Dienstleistungsbranche und Dienstleister aus der New Economy zu nennen. Die jetzige Zahl von rund 12.000 deutschen Unternehmen, die mit Japan in Geschäftsbeziehungen stehen, könnte daher in den nächsten Jahren um einen zweistelligen Prozentsatz wachsen. 

Und auf welche Vorteile können sich die deutschen Verbraucher freuen? 
Ein gestärkter Handel zwischen der EU und Japan dürfte wohl dazu führen, dass mehr japanische Waren in Europa zu kaufen sein werden – und dies oft zu niedrigeren Preisen, wenn die EU-Importeure den gesparten Zoll weitergeben. Unmittelbar werden wahrscheinlich die Verkaufspreise von PKW und Ersatzteile japanischer Fabrikate sinken und die Auswahl an kulinarischen Angeboten zunehmen. Insbesondere im Bereich alkoholischer Getränke wie Sake dürfen sich die Verbraucher auf mehr Auswahl freuen.
 

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