Singapur rückt in den Mittelpunkt
Ein Interview mit Dr. Tim Philippi, Geschäftsführer der Deutsch-Singapurischen Industrie- und Handelskammer, über den Standort Singapur, deutsche Unternehmen und den gemeinsamen Markt in Südostasien.
Herr Philippi, 2014 hat die AHK Singapur 10-jähriges Jubiläum gefeiert. Wie groß ist die deutsche Community in Singapur inzwischen?
Die Zahl der in Singapur ansässigen deutschen Unternehmen und auch der Deutschen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Jedes Jahr kamen, um es einmal an den Unternehmen festzumachen, immer so zwischen 60 bis 100 neue Unternehmen aus Deutschland hinzu. Heute sind es über 1400. Und was die hier lebenden Deutschen anbelangt: Es dürften so um die 9000 Personen sein, zumeist Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Unternehmen mit Familien, aber auch zum Beispiel Wissenschaftler, die an den hiesigen Universitäten und Forschungseinrichtungen arbeiten.
Was machen die deutschen Unternehmen in Singapur? Und wohin geht der Trend?
Die deutschen Unternehmen nutzen in aller Regel Singapur als regionalen Hub, als Zentrale. Die Zuständigkeiten erstrecken sich in fast allen Fällen zuerst einmal auf Südostasien. Und die Märkte ASEANs, der Staatengemeinschaft Südostasiens, werden sich in Zukunft weiter integrieren: 2015 kommt die ASEAN Economic Community (AEC). Damit wird der intra-regionale Handel noch leichter. Außerdem unterhält Singapur zahlreiche Freihandelsabkommen. Das ist ein Vorteil, wenn man von Singapur aus über die Region hinaus agieren möchte. Der Trend ist klar: Asien-Pazifik wird auch künftig ein ganz wichtiger Wachstumsmotor sein, und Singapur als eine treibende Kraft wird mitwachsen, als Standort deutscher Unternehmen, für die regionale Betreuung des Marktes, aber auch für Produktion, Forschung und Entwicklung (FuE) und Dienstleistungen. Gerade der Bereich FuE wird für mehr und mehr Unternehmen aus Deutschland interessant, etwa um ihre Produkte an die regionalen Kundenbedürfnisse anzupassen.
Was macht Singapur als Standort so attraktiv?
Da sind zunächst einmal die vorteilhafte geographische Lage und die gute Erreichbarkeit, sowohl nach Deutschland als auch in Asien. Auch die Infrastruktur in Singapur ist hervorragend. Das gilt beispielsweise für den vielfach ausgezeichneten Flughafen, den Seehafen, übrigens einer der größten weltweit, aber auch für die medizinische Versorgung, Schulen, Universitäten oder den Öffentlichen Personennahverkehr. Was Unternehmen an Singapur weiter schätzen, ist die englische Sprache, die es einem leicht macht, hier aktiv zu werden. Dazu kommen der stabile rechtliche Rahmen, ein politisches Umfeld, das Planungssicherheit bietet, hochqualifizierte Arbeitskräfte, und die Möglichkeit, Spezialkräfte aus Deutschland oder aus anderen Ländern nach Singapur zu holen.
Und welche Länder Südostasiens sind für in Singapur ansässige Unternehmen die wichtigsten?
Da ist erst einmal Indonesien, mit über 240 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land der Region. Dann auch Malaysia, ein sehr weit entwickeltes Land in Südostasien und der wichtigste Wirtschaftspartner Singapurs, aber auch Thailand und Vietnam. Hervorzuheben ist, dass es in den ASEAN-Ländern sektorale Unterschiede gibt. In Thailand etwa gibt es sehr viel Automobilindustrie, Zulieferindustrie und Lebensmittelproduktion. In Malaysia liegt ein Schwerpunkt auf der chemischen Industrie oder der Elektronik- und Halbleiterindustrie. In Indonesien ist es Maschinenbau und alles, was mit Rohstoffen und Energie oder aber auch mit Konsumgütern zu tun hat. Aber auch wirtschaftlich etwas kleinere Länder sind wachstumsstark, denken Sie etwa an die Philippinen, oder auch an Myanmar, das sich geöffnet hat.
Welche Auswirkungen hat das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Singapur?
Das Freihandelsabkommen (FHA) befindet sich im Ratifizierungsprozess. Singapur ist dann das erste ASEAN-Land mit einem FHA mit der Europäischen Union. Aber weitere werden folgen, Freihandelsabkommen werden auch mit anderen ASEAN-Staaten angestrebt, etwa Malaysia und Vietnam. Das Handelsvolumen zwischen Singapur und der EU sowie gegenseitige Direktinvestitionen (FDI) sind bis 2012 schon stetig gewachsen, und dieser Trend wird sich nun eher noch verstärken. Singapur ist ohnehin schon für viele deutsche Firmen ein wichtiger Standort, und auch hier wird das Freihandelsabkommen zusätzlich positiv wirken.
2015 soll der gemeinsame Markt der ASEAN-Länder kommen. Wie ist der Stand? Was ändert sich, auch für deutsche Unternehmen?
Die ASEAN Economic Commuity (AEC) ist auf dem Weg und kommt Ende 2015. Dies führt dann zum freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital innerhalb der zehn Länder ASEANs. Auch die Mobilität qualifizierter Arbeitskräfte wird noch besser als bisher ermöglicht. Damit entsteht einer der weltweit größten Märkte mit über 600 Millionen Einwohnern und einem BIP von mehr als 2400 Milliarden US-Dollar. Schon heute beträgt der deutsche Export nach ASEAN um die 22 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Dies ist etwa doppelt so viel wie nach Brasilien oder Indien und auch mehr als nach Japan. Und ASEAN hat enormes Potenzial: Das Bruttoinlandsprodukt in der Region soll in den nächsten Jahren durchschnittlich um 6 Prozent wachsen. Auch der Handel zwischen Deutschland und ASEAN floriert: der gesamte bilaterale Handel ist 2012 auf 49 Milliarden Euro gewachsen. Daher ist es auch so wichtig, dass sich Unternehmen aus Deutschland mit ASEAN beschäftigen, sich überlegen, wie sie sich künftig in diesem riesigen Markt strategisch aufstellen.
Sie sind nun schon eine ganze Reihe von Jahren in Singapur. Wie leben die Deutschen in Singapur? Und was gefällt Ihnen persönlich am besten?
Rund ein Drittel der in Singapur lebenden Menschen sind Ausländer. Ein buntes Völkergemisch auf engstem Raum – Singapur ist ja etwa so groß wie Hamburg, aber mit rund 5,5 Millionen Einwohnern. Durch die englische Sprache kann man sich leicht ein- und zurechtfinden, das ist ein großer Vorteil. Aber es gibt natürlich auch eine deutsche Community. Für die deutsche Wirtschaft beispielsweise wichtig ist die GESS, die German European School Singapur, übrigens eine der größten deutschen Auslandschulen in Asien. Hier gehen viele Kinder deutscher Familien zur Schule oder in den Kindergarten und damit ist die Schule natürlich auch ein Treffpunkt für die Eltern. Aber es gibt noch weitere Netzwerke, sei es über die deutsche Auslandshandelskammer (AHK), die German Association oder die Deutsche Botschaft. Und was mir persönlich am besten gefällt? Die ungeheure Dynamik der Stadt und, das kann ich nur empfehlen, die lokale Küche. Probieren Sie einmal Laksa, eines der singapurer Traditionsgerichte, schmeckt einsame Klasse. ▪
Interview: Martin Orth