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Zurück auf den Weltmarkt

Die Lockerung der Atomsanktionen hat Iran zum Joker der Weltwirtschaft gemacht. Viele deutsche Unternehmen bieten sich als Wirtschaftspartner an.

14.12.2016
© Borna_Mir/fotolia.com - Iran

In der Autofabrik läuft gerade ein Mercedes-Sprinter vom Band. Die Roboter in der Halle kommen von Kuka, die Mischzylinder hat Reinhardt-Technik aus dem Sauerland geliefert. Die Blechpressen stammen von der Firma Schuler, einer der vielen Weltmarktführer aus dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg. Dass die Autofabrik, in der alle diese Maschinen im Einsatz sind, 4.000 Kilometer südöstlich von Deutschland steht – in der iranischen Hauptstadt Teheran – mindert nicht die Wertschätzung für die Präzision und Verlässlichkeit der von so weit her importierten Maschinen. „Nichts geht über deutsche Pressen“, schwärmt der Manager, der seine Gäste durch das Werk von Iran Khodro führt.

Der mächtige Staatskonzern ist seit Langem die erste Adresse für Autohersteller und Zulieferer aus dem Westen, die in Iran Fuß fassen wollen. Schließlich ist die iranische Automobilproduktion – mit Iran Khodro an der Spitze – im gesamten Mittleren Osten führend. Seit im Januar 2016 die 2006 verhängten Sanktionen gegen das Land aufgehoben wurden, gilt Iran als Joker in der Weltwirtschaft. Das Land, gut viermal so groß wie Deutschland, befindet sich dank seiner Lage an wichtigen Handelsstraßen nicht nur wirtschaftsgeografisch in einer Schlüsselposition. Seine üppigen Öl- und Gasquellen machen es zudem ungeheuer reich.

Optimistische Stimmung

Doch die Infrastruktur des Landes ist chronisch veraltet, eine Folge von Kriegen und jahrzehntelanger politischer Isolation. Die rund 80 Millionen Einwohner haben in Sachen Weltläufigkeit und Konsum Nachholbedarf. Die Konsequenz: Je Kopf beträgt das iranische Bruttoinlandsprodukt heute nicht einmal ein Achtel des deutschen Vergleichswerts. Jetzt hoffen nicht nur die Iraner, dass eine rasante wirtschaftliche Aufholjagd beginnt; auch in vielen europäischen Außenhandelsbüros herrscht Aufbruchstimmung. Die amtierende iranische Regierung unter Präsident Hassan Rohani will Projekte für rund 200 Milliarden US-Dollar vergeben; um 5 Prozent soll die iranische Wirtschaftsleistung nach Berechnungen der Weltbank wachsen. Überall im Land sollen Fabriken und Raffinerien, Kraftwerke und Stromleitungen, Straßen und U-Bahnen gebaut werden.

Welche Branchen sich besondere Hoffnungen auf zukünftige Geschäfte in Iran machen können, hat die für die deutsche Außenwirtschaft zuständige Agentur Germany Trade & Invest (GTAI) in einer Analyse zusammengefasst. Eine Sonderstellung nehmen demnach die Öl-, Gas- und Chemieindustrie sowie die mit ihr eng verknüpfte Energiewirtschaft ein. Dahinter steht ein einleuchtender Gedanke: Will Iran seine gewaltigen Bodenschätze heben und veredeln – das Land hat die größten nachgewiesenen Erdgasreserven der Erde und liegt in der Rangliste der größten Ölvorkommen hinter Venezuela, Saudi-Arabien und Kanada auf Platz vier –, sind hier besonders kräftige Investitionen nötig.

Bevorzugter Partner

Auch deutsche Maschinenbauer können sich Chancen ausrechnen. Denn die iranische Regierung will mit Hilfe westlicher Partner die einheimischen Hersteller auf den neuesten Stand der Technik bringen. Deutsche Unternehmen hatten bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts dabei mit einem Anteil von knapp einem Drittel an den ins Land importierten Maschinen eine Vorreiterrolle. Sie mussten sie inzwischen aber an die Konkurrenz aus China abgeben.

Wird jetzt tatsächlich alles ganz schnell wieder anders? Wird Deutschland bei der Modernisierung des Landes eine herausgehobene Rolle spielen? In den Augen vieler Iraner ist Deutschland der bevorzugte Wirtschaftspartner. Dafür gibt es Gründe, die weit in die Geschichte zurückreichen. Schon im 19. Jahrhundert sahen sich beide Länder in machtpolitischer Gegnerschaft zum Britischen Kolonialimperium vereint. 1873 schlossen das damalige Persien und das deutsche Kaiserreich den ersten Handelsvertrag. Das begünstigte den wirtschaftlichen Austausch und deutsche Investitionen am Persischen Golf. Umgekehrt kamen bald viele Iraner zum Studium an deutsche Universitäten, vor allem in den technischen Fächern. 1925 wurde in Teheran die Deutsch-Iranische Gewerbeschule gegründet, die bis heute als Keimzelle der iranischen Industrie gilt. Die Beziehungen blühten nach dem Zweiten Weltkrieg neu auf, ein finanzieller und symbolischer Höhepunkt war 1974 die 25-Prozent-Beteiligung des iranischen Staats an der deutschen Industrie-Ikone Krupp, die das Kapital zum Überleben brauchte. Die Islamische Revolution 1979 und der Krieg mit dem Irak in den 1980er-Jahren machten die Geschäfte danach schwieriger. Trotzdem war Deutschland mit Ausfuhren im Wert von gut 4 Milliarden Euro im Jahr noch lange Irans wichtigster Handelspartner.

Fragiles Vertrauen

Erst 2009 trat China an diese Stelle. Damals beschloss die Europäische Union, die 2006 eingesetzten Sanktionen zu verschärfen. Vor allem das Verbot von Finanzgeschäften mit Iran ließ das deutsche Exportvolumen gewissermaßen über Nacht auf weniger als die Hälfte des früheren Niveaus schrumpfen.

Heute ist die Frage nach der Finanzierung entscheidend dafür, wie schnell der europäische und deutsche Außenhandel mit Iran wieder Fahrt aufnehmen kann. Dass die Vereinigten Staaten dem politischen Wandel im Land Iran noch nicht richtig trauen, belegen zur Genüge die sogenannten „Snap Back“-Klauseln in den Bestimmungen zur Erleichterung der Wirtschaftsbeziehungen: Ein Teil der Sanktionen ist demnach nur ausgesetzt, nicht aufgehoben; bei Vertragsverletzungen können sie sehr schnell reaktiviert werden. Und dann, das muss der Manager in der Autofabrik genauso befürchten wie der mit Milliardenaufträgen lockende Minister, könnte die Aufbruchsstimmung im Land genauso schnell enden, wie sie begonnen hat. 

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