Die Wiederentdeckung Südostasiens
In den vergangenen Jahren lag Südostasien mit seinen im Staatenbund Asean (Association of Southeast Asian Nations) zusammengeschlossenen zehn Ländern im Schatten von Chinas, später Indiens Aufschwung. „Asean hat den Lebensstandard von mehr als 600 Millionen Menschen dramatisch verbessert und Unmengen indirekter Vorteile für Milliarden von Menschen in den umliegenden Ländern gebracht. Gleichwohl hat Asean für diese Leistungen relativ wenig Anerkennung bekommen“, sagt Kishore Mahbubani, Dean der Lee Kuan Yew School of Public Policy in Singapur. Das scheint sich nun zu ändern. Die Gemeinschaft rückt wieder stärker in den Fokus von Wirtschaft und Politik. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.
Einige Asean-Länder, namentlich die Philippinen und Myanmar, verbuchen derzeit Wachstumsraten, die weit über der Indiens liegen und diejenige Chinas relativieren. Die Voraussetzung dafür, überhaupt als ein integrierter Wirtschaftsraum neben Japan, China und Indien betrachtet zu werden, ist aber das Zusammenrücken der Asean-Staaten. Inzwischen werden sie – trotz ihrer Vielfalt – als ein zusammenhängender, eng verbundener Raum von mehr als 600 Millionen Menschen mit schwindenden Handelshemmnissen wahrgenommen. Das größte, grundlegende Verdienst von Asean wird dabei viel zu schnell übersehen: Der Bund und seine Mitgliedsländer haben über Jahre Frieden, wachsenden Wohlstand und eine geopolitische Stabilität in der Region gesichert. Angesichts der Vielfalt der verschiedenen Religionen, Staatsformen und Kulturen in Südostasien ist dies allein ein enormer Erfolg.
Als gemeinsamer Raum kann Südostasien freilich erst genutzt werden, seit die Generäle in Burma eine Zivilregierung einsetzten. Damit geriet das traditionelle Scharnier Südostasiens zum Süden Chinas und zum Osten Indiens, gesegnet mit immensen Bodenschatzvorkommen, wieder in den Fokus der Investoren. Besondere Chancen scheinen auch die Philippinen, Malaysia und Vietnam zu bieten. Die Philippinen verzeichnen einen erstaunlichen Wiederaufschwung. Malaysia entwickelt im Süden, eine Steinwurf von der prosperierenden Finanzmetropole Singapur entfernt, ein riesiges Wohn- und Industriegebiet. Zugleich nähern sich Singapur und Malaysia politisch an. Auf lange Sicht schwebt beiden Ländern eine ähnliche Verbindung vor wie zwischen der chinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong und Südchina. Vieles wird nun davon abhängen, welchen Kurs Indonesien in Zukunft einschlägt. Die größte Volkswirtschaft Südostasiens braucht dringend Investitionen für die Entwicklung ihrer maroden Infrastruktur.
Deutsche Konzerne wie Siemens, BASF oder Bosch haben das neue Südostasien bereits für sich entdeckt – als Partner, Produktionsstandort und Absatzmarkt. Siemens hat als Partner der Stadt Jakarta die Studie „Asian Green City Index“ in Auftrag gegeben und startete die Jakarta21-Initiative, um der Stadt bei der Entwicklung eines Strategieplans zu helfen, der aus Jakarta bis 2050 eine Metropole von Weltrang machen soll. BASF weitete das bestehende Gemeinschaftsunternehmen mit dem staatlichen malaysischen Ölkonzern Petronas aus und baut eine Fabrik zur Herstellung von Riech- und Geschmacksstoffen, um der steigenden Nachfrage der Kunden aus diesem Bereich gerecht zu werden. Und Bosch investiert in Fabriken in Vietnam, gelenkt wird das Geschäft vom Finanzstandort Singapur aus. Alle wollen darauf vorbereitet sein, wenn – voraussichtlich Ende 2015 – die geplante Wirtschaftsgemeinschaft (Asean Econmic Community, AEC) Realität wird. Wesentliche Voraussetzungen sind schon geschaffen: Gut 99 Prozent des Regionalhandels zwischen den führenden sechs Asean-Ländern werden schon heute nicht mehr besteuert. Allerdings müssen dringend noch non-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden. Sie betreffen vor allem Schlüsselbranchen wie die Chemieindustrie, Elektronik und Maschinenbau. „Man muss sich intensiv mit der Region auseinandersetzen“, sagt Axel Stepken, Vorstandschef von TÜV Süd, ASEAN-Sprecher im Asien-Pazifik- Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und selbst lange in Indonesien tätig.
Eins aber wollen die zehn Asean-Länder, die sich nur ein Mini-Sekretariat mit 250 Mitarbeitern in Jakarta leisten, vorerst vermeiden: eine große Bürokratie und eine gemeinsame Währung wie in der EU. Die Experten der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) unterstützen sie dabei: „Obwohl Asean institutionelle Reformen braucht, um die Effizienz zu erhöhen, sollte es nicht einfach die Europäische Union kopieren – es muss seine Flexibilität und seinen Pragmatismus erhalten.“ ▪
DR. CHRISTOPH HEIN ist Wirtschaftskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit Sitz in Singapur und Autor zahlreicher Bücher über die Region.