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„Das chinesische Jahrhundert“

Veränderungen in der Weltwirtschaft und ihre Bedeutung für den Standort Deutschland: Ein Interview mit dem Ökonom und Berater Hermann Simon.

Interview: Martin Orth, 27.09.2021
KI-Lösungen in der Blechfertigung bei Trumpf
KI-Lösungen in der Blechfertigung bei Trumpf © Fraunhofer IPA

Hermann Simon ist Unternehmensberater und emeritierter Wirtschaftsprofessor. Als Gastprofessor lehrte er am Massachusetts Institute of Technology, an der Keio-Universität in Tokio, an der Stanford University, am INSEAD in Fontainebleau, an der Harvard Business School und an der London Business School. 1990 schuf er den Begriff „Hidden Champions“ für weitgehend unbekannte (deutsche) Unternehmen, die in ihrer Branche Weltmarktführer sind. Gerade erschien sein neues Buch „Hidden Champions – die neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert“.

Herr Simon, bereits im Titel Ihres aktuellen Buches sprechen Sie von „neuen Spielregeln im chinesischen Jahrhundert“. Was meinen Sie damit?

Es gibt neue volkswirtschaftliche und politische Spielregeln. Wir haben in den letzten zehn Jahren eine relative Deglobalisierung erlebt. Das bedeutet, dass die globalen Exporte schwächer gewachsen sind als das globale Bruttoinlandsprodukt. In den 20 Jahren davor war das anders. Da sind die globalen Exporte praktisch doppelt so schnell gewachsen wie das globale Bruttoinlandsprodukt. Was sind die Folgen davon? Exporte werden durch Direktinvestitionen ersetzt. Zudem findet eine Dematerialisierung des internationalen Austausches statt. Dienstleistungs- und vor allem Daten-Exporte wachsen schneller als die Gesamtwirtschaft. Das bedeutet, dass sich die globale Wertschöpfungskette ganz anders aufstellen muss.

 

Man muss für jede Aktivität den besten Standort in der Welt finden.
Hermann Simon, Ökonom und Unternehmensberater

Was bedeutet das für den Standort Deutschland?

Ganz allgemein gesagt: Man muss für jede Aktivität den besten Standort in der Welt finden. Ich habe mich vor der Corona-Pandemie mit gut hundert chinesischen Automobilzulieferern getroffen und fast alle sagten: Wir wollen mit der Produktion nach Deutschland kommen. Das ist weniger umweltschädigend und leichter, als die Waren rund um den Globus zu verschiffen. Und fast alle chinesischen Automobilhersteller haben ja schon ein Design- und Entwicklungszentrum in Deutschland, weil man das anscheinend hier am besten kann. Das gilt umgekehrt übrigens auch für den Standort China. Zwei deutsche Hidden Champions, die Bergbau-Technik anbieten, haben ihre Aktivitäten nach China verlegt. Denn in Deutschland gibt es keinen Bergbau mehr, in China hat er noch große Bedeutung. Und ein anderer deutscher Hidden Champion baut gerade sein Kompetenzzentrum für Künstliche Intelligenz in China aus.

Hermann Simon schuf den Begriff „Hidden Champions“
Hermann Simon schuf den Begriff „Hidden Champions“ © dpa

Hidden Champions sind ein deutsches Phänomen. Vor welche Herausforderungen stehen sie jetzt?

Ja, Hidden Champions sind ein Phänomen aus dem deutschsprachigen Raum. In Deutschland, Österreich und der Schweiz zählen wir 19 Hidden Champions pro einer Million Einwohner. In anderen großen Ländern gibt es das so nicht. Frankreich, Japan oder die USA haben ein, zwei oder drei Hidden Champions pro einer Million Einwohner. Aber China setzt jetzt auf Hidden Champions. Im Februar hat die Regierung ein Programm gestartet, um tausend Hidden Champions zu schaffen. Anders als in Deutschland gehen sie früh an die Börse, sammeln viel Kapital ein und investieren dies in schnelles Wachstum und in Forschung und Entwicklung. Man kann also schon erwarten, dass in China sehr viele neue Hidden Champions entstehen. Und das bedeutet durchaus eine Konkurrenz für deutsche Hidden Champions.

Sie schreiben in diesem Zusammenhang von einem neuen Modell, in dem sich europäische Hidden Champions, einem Business Ökosystem zusammenschließen, Stichwort: ASML.

Ja, Business Ökosysteme gewinnen stark an Bedeutung. Die Ursache ist, dass Produkte und Systeme immer komplexer werden. Und das macht es gerade für Mittelständler immer schwerer, alles selbst zu machen. ASML ist so ein Beispiel. Der niederländische Hidden Champion ist der weltweit einzige Hersteller von EUV-Lithografiemaschinen, die eine weitere Miniaturisierung integrierter Schaltkreise und Mikrochips ermöglichen. Beteiligt an diesem Ökosystem sind die deutschen Hersteller Trumpf und Zeiss. Trumpf liefert den Laser für das System. Der allein wiegt 17 Tonnen und hat 450.000 Komponenten. Zeiss steuert die ebenfalls hochkomplexe Optik bei. Das zeigt: In komplexen Technologien wird sich der Wettbewerb der Zukunft verstärkt zwischen solchen Ökosystemen abspielen.

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